Dekanat wird groß wie der Landkreis

Von Rainer Beutel.

Vor zwei Jahren haben die Evangelischen Dekanate Groß-Gerau und Rüsselsheim fusioniert. 2019 sollen die nördlichen Gemeinden des Dekanats Ried angegliedert werden. Zu den 55.000 Protestanten aus Groß-Gerau/Rüsselsheim kommen dann weitere 16.000 hinzu. Diese Prozesse erfordern eine mehrjährige Vorplanung, viel Geduld und Einfühlungsvermögen. Dekanin Birgit Schlegel und Dekanatssynodalvorsitzender Holger Tampe wagen im Gespräch mit WIR-Redakteur Rainer Beutel einen Ausblick auf bevorstehende Aufgaben und geben einen Zwischenbilanz.

Herr Tampe, was sind die Gründe für eine weitere Ausdehnung des Dekanats?

Holger Tampe: Die Synode hat in seinem Gesetz zur Neugliederung der Dekanate die Angliederung des nördlichen Teils des Dekanats Ried so vorgesehen. Hauptgrund hierfür ist, dass unser Dekanat mit den Grenzen des Kreises übereinstimmt und Ansprechpartner, wie beispielsweise der Landrat, es einfacher haben werden, sich mit einer Dekanin statt noch zusätzlich mit weiteren Dekanen abzustimmen.

Welche organisatorischen und personellen Folgen hat ein „großes“ Dekanat für die einzelne Pfarrgemeinden?

Birgit Schlegel: Es gibt mehr Ansprechpartner und Angebote. Wir haben jetzt zum Beispiel einen Altenseelsorger, der nicht nur in einem Seniorenheim verortet ist, sondern einen thematischen Schwerpunkt in der Begleitung von Übergängen im Alter hat und entsprechende Schulungen für Ehrenamtliche oder Gesprächsgruppen für Angehörige anbietet. Wir konnten die Klinikseelsorgestelle in Rüsselsheim mit einer ganzen Stelle wieder besetzen – und das in Zeiten von Kürzungen gerade in diesem Bereich. Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten schon jetzt über einstige Grenzen hinweg miteinander an thematischen Schwerpunkten. Auch der Vertretungspool ist größer geworden. Angesichts der kommenden Vakanzen in der einen oder anderen Gemeinde sicher eine sehr gute Sache. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bieten bereits heute für den gesamten Landkreis Fortbildungen, Musikworkshops, Gemeindebriefschulungen oder Freizeiten an.

Holger Tampe: Organisatorisch sind die Folgen hoffentlich gering, außer der Adresse und Telefonnummer vielleicht. Die Verwaltungsfachkraft des Dekanats Ried arbeitet seit 1. Januar 2018 auch schon mit einer halben Stelle bei uns, so dass der Kontakt bleibt. Außerdem können wir dann längere Bürozeiten anbieten. Generell hoffe ich, dass das Dekanat eher als hilfreiche Serviceeinrichtung statt als Genehmigungsbehörde wahrgenommen wird. Wir bieten viele Anknüpfungspunkte für unsere Kirchengemeinden und darüber hinaus.

Was merken denn die Gläubigen von alldem?

Holger Tampe: Vermutlich kaum etwas. Wenn das Dekanat nicht als Veranstalter auftritt, ist das Dekanat für die Gläubigen eher abstrakt. Da wird fast ausschließlich die Gemeinde als Bezugsgröße wahrgenommen. Kirche in der Region spielt da eher bei gesellschaftspolitischen Themen eine Rolle für Kirchenfernere.

Inwiefern ändern sich Zuständigkeiten und Aufgaben innerhalb des Dekanats?

Birgit Schlegel: Es wird vermutlich vermehrt zu regionalen Schwerpunkten im großen Dekanat und auf der Leitungsebene zu Bildungen von Ressorts kommen, damit wir uns um alles adäquat kümmern können. Wir freuen uns auf die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und natürlich auf die Gemeinden mit ihren Menschen, Themen und Ideen.

Holger Tampe: Wir werden mit der Angliederung der Gemeinden aus dem Dekanat Ried zum 1. Januar 2019 eine zusätzliche halbe Stelle „Stellvertretende Dekanin“ bekommen, die über eine reine Abwesenheitsvertretung hinausgeht und sicherlich Aufgaben von Birgit Schlegel übernehmen wird. Welche das sind, wird sich finden, sobald die Besetzung geregelt ist. Die Wahl ist für die Frühjahrssynode 2019 vorgesehen.

Welche Änderungen sind baulich bzw. räumlich zu erwarten, wo wird das Dekanat künftig verwaltet?

Holger Tampe: Wir haben nach der Fusion als vorläufigen Sitz die ehemaligen Räume des Dekanats Rüsselsheim übernommen und jetzt auch noch das ehemalige Pfarrhaus in direkter Nachbarschaft bezogen. Unser Gebäude in Groß-Gerau war einfach viel zu klein. Wie sich Situation zukünftig entwickelt, wird sich zeigen. Zur Zeit sind wir sehr froh, dass wir die Räumlichkeiten haben und unsere Mitarbeiter arbeiten können. Natürlich kann man sich Anderes wünschen, aber auch unsere Kirche muss achtsam mit ihren Ressourcen umgehen.

Erst vor zwei Jahren wurde das Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim gebildet. Ist alles so gelaufen, wie Sie sich es vorgestellt haben?

Holger Tampe: Natürlich nicht, aber das liegt in der Natur der Sache. Zum einen hatten wir falsche Vorstellungen: Von einer kleinen überschaubaren Einheit zu einem großen Dekanat mit doppelt so viel Menschen und auch Mitarbeitern, das macht schon etwas aus. Da bleibt nicht alles beim alten, man muss trotz aller Vorbereitung einander neu kennen lernen. Es muss auch ganz viel im Detail neu geregelt werden, denn vieles, zum Beispiel Arbeitsabläufe und Teambesprechungen, war unterschiedlich und musste sich erst einschwingen. Das fängt mit der Kaffeetasse im Schrank an und hört mit der Haushaltsstelle auf. Zum anderen war mit dem Dekanatsstrukturgesetz zwar die Fusion im Wesentlichen beschrieben, aber viele Rechtsverordnungen und Handreichungen zur Konkretisierung mussten noch von der Kirchenverwaltung in Darmstadt aktualisiert bzw. erstellt werden. Darauf waren wir nicht vorbereitet. Aber unsere Fusion 2016 hat auch dazu beigetragen, dass Dekanate, die erst jetzt oder später dran sind, unterstützende Maßnahmen abfragen können.

Wie fällt Ihre vorläufige Bilanz aus, Frau Schlegel?

Birgit Schlegel: Wir sind schon sehr frühzeitig im Gespräch miteinander gewesen, lange, bevor die Landessynode die Dekanatsfusionen beschlossen hatte. Größe, Ausstattung, Region – vieles schien gut zueinander zu passen. Aber natürlich musste trotzdem vieles neu geregelt werden. Wir sind noch jetzt dabei, neue Gesamtkonzeptionen zu erstellen, zum Beispiel für den Bereich Gemeindepädagogischer Dienst oder Kirchenmusik. Die Mitarbeitenden mussten sich kennen lernen, Absprachen mussten getroffen werden. Wir hatten auch gleich spannende Herausforderungen, etwa den Hessentag 2017 in Rüsselsheim und natürlich das Reformationsjubiläum mit zahlreichen Veranstaltungen.
Ich glaube aber, dass es jetzt noch einmal wichtig ist, nach vorne zu schauen: Wie wollen wir Kirche in dieser Region sein, die im Norden den größten Industriestandort Hessens aufweist und im Süden oft noch sehr ländlich geprägt ist? Was brauchen die Gemeinden von unserem Dekanat? Wo können wir in gesellschaftlichen Fragen etwas beitragen und Akzente setzen? Wohin entwickelt sich Kirche angesichts der Veränderungen in der Gesellschaft?

Welche Vorteile sind durch die Fusion entstanden? Und gibt es auch Nachteile?

Holger Tampe: Die kleineren Einheiten hatten zu einer Vereinzelung der Mitarbeiter und oftmals zu halben oder gar viertel Stellen und Teildienstaufträgen geführt. Mit größeren Dekanaten können wir uns professionalisieren und ganze Stellen schaffen. Außerdem gibt es eher die Möglichkeit, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu ähnlichen Themen auszutauschen.
Da wir unsere Mitarbeiter in zwei getrennten Gebäuden haben und auch manche ihren Arbeitsplatz in einer Kirchengemeinde, müssen wir verstärkt kommunizieren. Es bekommt nicht jeder automatisch alles mit und man weiß auch nicht mehr selbstverständlich, wo die Kollegin im Urlaub gewesen ist. Es ist etwas unpersönlicher geworden und manche trauern dem noch nach. Wir in der Leitung müssen deutlich mehr Zeit mitbringen (Personal-/Mitarbeitergespräche, Geschäftsführung…) und achtsamer sein.

 

Zur Person: Birgit Schlegel (55) ist seit 2016 Dekanin im fusionierten Evangelischen Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim. Seit 2009 war sie Stellvertreterin im Dekanat Groß-Gerau, zuvor seit 2003 zunächst als Pfarrvikarin und anschließend als Pfarrerin in der Evangelischen Kirchengemeinde Nauheim tätig.
Holger Tampe (51) ist Kirchenvorsteher in der Stadtkirchengemeinde in Groß-Gerau und seit März 2013 Vorsitzender der Dekanatssynode. Der Diplom-Ingenieur arbeitet als Account Manager im Vertrieb bei einem Automobilzulieferer in Rüsselsheim.

Welche Gemeinden kommen hinzu? Aus dem Evangelischen Dekanat Ried werden 2019 die nördlichen Kirchengemeinden, die im Landkreis Groß-Gerau liegen, dem Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim angegliedert. Dazu zählen fünf Kirchengemeinden in Riedstadt (Leeheim, Erfelden, Wolfskehlen, Goddelau und Crumstadt) sowie Stockstadt, Biebesheim, Allmendfeld und Gernsheim. Insgesamt wachse das Dekanat deckungsgleich mit den Landkreisgrenzen um zehn Kirchengemeinden, teilt Heidi Förster, zuständig für Öffentlichkeitsarbeit im Dekanat, mit.

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