Jahresumfrage 2016

umfrage576x324

von W. Christian Schmitt

Lesern des WIR-Magazins präsentieren wir einmal im Jahr Antworten von Entscheidungsträgern aus dem Gerauer Land zu einem die Bürger beschäftigenden Thema. Diesmal lautet unsere Frage: „Der Flüchtlingszustrom wird unsere Gesellschaft in den Folgejahren grundlegend verändern. Welche Hoffnungen, aber auch welche Befürchtungen verbinden Sie damit?“. Nachfolgend veröffentlichen wir Teil 2 der Antworten auf unsere Umfrage.


Ute Auer, Vors. des SV Blau-Gelb Groß-Gerau:
Gerade zum Jahresende wurde man sich all seiner Hoffnungen und Befürchtungen/Ängste bewusst, unabhängig vom Flüchtlingszustrom. Wir hoffen und erwarten vom neuen Jahr, dass es alle Versprechungen des zurückliegenden Jahres erfüllt, und vergessen mitunter, dass wir es selbst in der Hand haben, unsere Sehnsüchte und Träume zu erfüllen bzw. unser Leben zu gestalten. Es wird immer Veränderungen in unserem Leben geben, sei es durch die kleinen Dinge des Lebens oder durch die großen, wie den Flüchtlingszustrom oder den Klimawandel. Unser Land, unsere Gesellschaft ist im ständigen Wandel.

Gerald Kummer, SPD-Mitglied im Hessischen Landtag: In der Weihnachtszeit dachten wir zurück an eine orientalische Familie, die aus Angst vor den politischen Umständen fliehen musste und lange als Fremde in Ägypten leben musste. Diese Familie konnte später in ihre Heimat zurückkehren. Für die heute zu uns kommenden Menschen, können wir das noch nicht klar prognostizieren. Ich vermute, dass die meisten von ihnen bleiben werden. Und das ist auch gut so. Wir brauchen angesichts der Altersstruktur unserer Gesellschaft diese Zuwanderung sehr dringend. Dies wird uns auf Dauer Nutzen bringen, unabhängig von der menschlichen Frage. Aus der deutschen Geschichte wissen wir zudem, dass wir immer von Migration profitiert haben. Sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen, lohnt also jeden Aufwand. Es gibt einige, die sagen, dass das Unmengen von Geld koste und wir uns das nicht leisten könnten. In Hessen kommt man derzeit auf einen Bedarf für Erstversorgung, Unterbringung, Bildung und Integration in den Arbeitsmarkt von einer Milliarde Euro pro Jahr. Der Landeshaushalt hat aber ein jährliches Volumen von 34 Milliarden Euro. Ich denke, dass dies wichtig zu wissen ist, damit die Relationen bewusst werden. So kann man nur zu dem Schluss kommen, dass diese Investitionen in die Menschlichkeit nicht nur machbar, sondern zudem gute und nachhaltige Investitionen in die Zukunft sind.

Kerstin Geis, SPD-Landtagsabgeordnete: Ich bekenne mich angesichts unserer Geschichte zu einer anhaltenden besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber politisch Verfolgten und an Leib und Leben bedrohten Menschen. Das ist die einmütige Haltung der sozialdemokratischen Fraktion. Dass sich uns und ganz Europa dabei aktuell sehr große Herausforderungen stellen, darf aber niemand verkennen und verschweigen. Flüchtlingspolitik ist nicht zuletzt eine Aufgabe der Haushaltspolitik und vor allem eine Frage der ausreichenden Finanzierung der Kommunen. Die Flüchtlingskrise lässt sich nicht aus der Portokasse bezahlen. Wenn wir die Chancen, die uns die Flüchtlingsfrage bietet, nutzen wollen, müssen wir Geld in die Hand nehmen. Die Eingliederung der zu uns kommenden Menschen in unsere Gesellschaft bedeutet eine Kraftanstrengung. Aber mit klaren und lang angelegten politischen Konzepten wird dies gelingen.

Gabriele Haßler, 1. Beigeordnete der Gemeinde Büttelborn:
Beginnen wir mit meinen Befürchtungen: Die Reaktionen eines Teils der Bevölkerung zeigt, wie dünn manchmal die „Lackschicht“ ist, die der Demokratisierungsprozess nach dem Ende der Nazi-Diktatur hat entstehen lassen. Vieles kommt da zu Tage, das mich erschreckt und abstößt. Aber meine Hoffnungen überwiegen: Die demokratischen Kräfte in der Gesellschaft entdecken doch viele Gemeinsamkeiten und Werte über die Parteigrenzen hinweg und stehen hoffentlich auch in Zukunft eng beisammen. Wenn es uns gelingt, diejenigen, die zu uns kommen, gut zu integrieren, verspreche ich mir viele positive Impulse für unsere Gesellschaft.

Christian Wieser, Stadtverordnetenvorsteher der Kreisstadt Groß-Gerau:
In Groß-Gerau sind wir es schon seit Jahrzehnten gewohnt, in einer bunten Gesellschaft mit ihren vielen kulturellen Unterschieden und Besonderheiten zu leben. Wir haben gelernt, unsere christlichen Werte zu leben und Andersgläubigen und Menschen mit einer anderen Herkunft mit Respekt zu begegnen, so wie es an den Stadteingängen auf großen Plakaten zum Ausdruck gebracht wird. Insofern bin ich überzeugt, dass die Menschen in Groß-Gerau die große gesellschaftliche Herausforderung durch Flüchtlinge, die in Groß-Gerau zukünftig leben werden, annehmen und positiv begleiten werden. Natürlich ist das kein Selbstläufer: Politik und Verwaltung müssen durch eine offene und transparente Informationspolitik, z. B. im Rahmen von Bürgerversammlungen, die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, damit von vornherein Befürchtungen entgegengewirkt werden kann. Und natürlich müssen menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt sowie Programme entwickelt und umgesetzt werden, damit eine Integration auf der Basis unseres Grundgesetzes erfolgreich gelingen kann. Ich wünsche mir, dass wir in ein paar Jahren sagen können: wie schön, dass unsere Gesellschaft noch bunter und vielfältiger geworden ist und die Flüchtlinge sich gesellschaftlich und arbeitsmäßig voll integriert haben.

Sabine Bächle-Scholz, CDU-Mit¬glied im Hessischen Landtag: Kein Thema hat uns alle in den letzten Wochen und Monaten so beschäftigt, wie die Frage des Flüchtlingsstroms, der nach Deutschland gekommen ist und noch nachkommt. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, können wir auch als Wertschätzung an unserer Gesellschaft sehen. Die Menschen, die Deutschland als Ziel haben, sehen wie wohlgeordnet und chancenreich unser Land ist. Sie wollen diese Gesellschaft und ihre Ordnung nicht ändern, sondern wollen ein Teil dieser Gesellschaft und Ordnung werden. Viele Mitbürger haben sich entschieden, in der Not zu helfen. Oft nicht nur durch eine Spende, sondern auch durch persönlichen und dauerhaften Einsatz. Viele Mitbürger haben im Hinblick auf die Flüchtlinge Angst um unsere christlich geprägte Kultur. Ich möchte aber jeden darauf hinweisen, dass Christus und seine Familie nach der Geburt auch Flüchtlinge waren und in ein anderes Land fliehen mussten.

Willi Blodt, Landrat a.D.: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, so sagt es unser Grundgesetz. Obwohl eine Welt ohne Grenzen nicht funktioniert, wollen und dürfen wir die Grenzen nicht schließen, was nicht ausschließt, dass wir sie zeitweise sicherer, überschaubarer machen. Es macht auch mir Angst, dass der ungebrochene Zustrom der Flüchtlinge die Menschen in Deutschland verunsichert. Deren Integration ist allerdings die größte Herausforderung seit 1945, sie ist eine Generationenaufgabe. Flüchtlinge waren und sind keine Terroristen, sie fliehen vor dem Terror. Die Politik muß deshalb schnellstens Zukunftspläne der Integration entwickeln. Schrecklich, was zuletzt in Paris geschah! Ich bin mit meinen Gedanken und meinem Herzen bei den Menschen in Paris. Der Hass kommt auch bei uns gefährlich näher, wird greifbar, hörbar, körperlich und mörderisch. Die offene freie Welt ist herausgefordert, entsetzt und betroffen zugleich. Trotzdem dürfen wir uns keiner Angst hingeben, denn Angst ist ein schlechter Ratgeber. Dennoch fürchte auch ich für die nahe Zukunft, dass wir uns auf Schlimmeres vorbereiten müssen. Rücken wir noch enger zusammen. Gemeinsam können wir, ja müssen wir es schaffen.

Das könnte Dich auch interessieren …