Aufstehen und widersprechen
Von Jörg Cezanne.
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kenan Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov – dies sind die Namen der Anfang Februar ermordeten Hanauerinnen und Hanauer. Es sind die letzten Namen in einer langen Reihe von über 200 Menschen in Deutschland, die seit 1990 von Rechtsterroristen getötet wurden.
Bundestagspräsident Schäuble fordert „Aufrichtigkeit vom Staat, der sich eingestehen muss, die rechtsextremistische Gefahr zu lange unterschätzt zu haben.“ Innenminister Seehofer hatte vor zwei Jahren noch die Migration als „Mutter aller Probleme“ bezeichnet und damit viele nach Deutschland eingewanderte Menschen selbst zum Problem erklärt. Heute sagt er, der Rechtsterrorismus sei die größte Gefahr für die Demokratie – eine wichtige Einsicht.
Der Staat muss entschieden vorgehen. Rechte Netzwerke müssen endlich verfolgt und zerschlagen statt verharmlost werden. In der Frankfurter Polizei gab es ein Netzwerk von Beamtinnen und Beamten, die Drohbriefe an eine Anwältin der NSU-Opfer schickten, um sie einzuschüchtern. Bundeswehroffizier Franco A. konnte mit Freunden Mordanschläge auf Politiker vorbereiten. Stephan E., der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU), stand mit dem Verfassungsschützer Andreas Temme in Kontakt, der schon bei dem NSU-Mord in Kassel eine unrühmliche Rolle gespielt hatte. Dennoch sollen die NSU-Akten für viele Jahrzehnte geheim bleiben. Das ist nicht hinnehmbar.
Auf Trauerkundgebungen wird von „ausländischen Mitbürgern“ gesprochen. Die Ermordeten von Hanau waren Deutsche, einige waren Kurden, Bulgaren, Rumänen. Ab wann ist die Enkelin von Einwanderern Bürgerin und nicht mehr „Mitbürgerin“? Ab wann gehört ein Mensch „richtig“ dazu? Nach drei Generationen, nach hundert Jahren? Nie – weil der Name immer erkennbar nicht-deutsch bleibt?
Meine Vorfahren sind vor dreihundert Jahren als Glaubensflüchtlinge aus Frankreich nach Hessen gekommen. Außerhalb von Walldorf schreibt kaum jemand meinen Nachnamen richtig. Offene Ablehnung habe ich nie erfahren. Ist Migration weniger „schlimm“, wenn es sich um Menschen mit französischen statt um kurdische oder marokkanische Namen handelt?
Jeden Tag werden in Deutschland Menschen wegen ihrer Haut- oder Haarfarbe, ihrer Religion, ihres Namens bepöbelt und angegriffen, im Job diskriminiert oder gar nicht erst eingestellt. Sie machen Erfahrungen mit demütigenden Polizeikontrollen oder offenkundiger Ungleichbehandlung bei der Wohnungssuche. Das dürfen wir nicht zulassen.
Rechte Hetze gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, anderer Herkunft oder Religion müssen wir alle entschieden zurückweisen. Wenn die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel im Bundestag „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“ in einem Atemzug verächtlich macht, ist das menschenverachtender Rassismus. Wenn Alexander Gauland sagt, „Hitler und die Nationalsozialisten sind nur ein Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ verharmlost er die Ermordung von Jüdinnen und Juden, von Sinti und Roma, von polnischen und russischen Gefangenen der Wehrmacht.
Was Fußballnationalspieler Antonio Rüdiger im Stadion fordert, muss für uns alle überall gelten: „Taten müssen folgen. Leute, die daneben sitzen, müssen endlich aufstehen und solche Sachen melden. (…) Da gibt einer neben dir solche Sachen von sich – da bist du Mittäter, wenn du schweigst.“