Bildung als Weltbegegnung
Von Ulf Krone.
Zum 1. August wurde Dr. Annette Petri mit der Nachfolge von Dr. Michael Montag, der zum Ende des vergangenen Schuljahrs in den Ruhestand verabschiedet worden war, und damit der Leitung der Prälat-Diehl-Schule (PDS) betraut. Die 40jährige ist damit die erste Frau an der Spitze der PDS. WIR-Redakteur Ulf Krone hat nach den ersten Wochen in der neuen Position bei Dr. Annette Petri nachgefragt. Wie war der Start, was sind Ihre Pläne, und wie sieht ihre Vorstellung von Schule aus?
Vor einigen Wochen hat das neue Schuljahr begonnen und damit auch Ihre Tätigkeit als erste Direktorin der PDS. Wie haben Sie die Zeit an der neuen Schule bisher erlebt?
Dr. Annette Petri: Offenheit, Hilfsbereitschaft, Neugierde – das sind nur drei Begriffe, die mir unmittelbar zur Frage einfallen, wie ich die ersten Wochen an der Prälat-Diehl-Schule erlebt habe. Die gesamte Schulgemeinde ist mir vom ersten Tag an mit großer Offenheit und Freundlichkeit begegnet. Die mir dabei entgegengebrachte Hilfsbereitschaft war und ist riesig. Das trifft sowohl auf die Schulleitungsrunde und das Kollegium als auch auf die drei Verwaltungsexpertinnen in den Sekretariaten und die beiden Hausmeister zu. So befindet sich beispielsweise in jeder Postmappe, die ich aus den Sekretariaten erhalte, Klebezettel mit nützlichen Hinweisen, Rückmeldungen und Informationen. Das ist toll und erleichtert mir die Arbeit ungemein. Neugierde spürte und spüre ich besonders in der Begegnung mit den Schülerinnen und Schülern. In den ersten beiden Wochen habe ich alle Klassen und Kurse besucht. Das Spektrum an Fragen und Wünschen war riesig und reichte von der Frage nach meinen Hobbies über Hitzefrei bis hin zur Frage, was man als Schulleiterin denn den ganzen Tag zu tun habe, wenn man doch gar nicht unterrichte. Nachhaltig beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang auch das erste Gespräch mit der Vertretung der Schülerinnen und Schüler (SV). Die anwesenden Schülerinnen und Schülern fragten mich sehr konkret danach, wie wichtig mir z.B. die künftige Zusammenarbeit mit der SV ist. Ebenso wollten Sie etwas zu meiner Haltung gegenüber „Fridays for future“ wissen. Ich finde es großartig, wenn Kinder und Jugendliche Erwachsene dazu herausfordern, Position und Haltung zu beziehen.
Sie hatten sich ausschließlich auf die Direktoren-Stelle an der PDS beworben. Warum gerade Groß-Gerau und die PDS?
Dr. Annette Petri: Die Entscheidung, mich im Sommer 2018 auf die damals ausgeschriebene Stelle an der Prälat-Diehl-Schule zu bewerben, war selbstverständlich mit einem längeren Prozess verbunden. Ausschlaggebend war für mich zunächst der immer präsenter werdende Wunsch, über meine damalige Tätigkeit als Fachbereichsleiterin am Gymnasium Gernsheim hinaus noch mehr Verantwortung für das Gelingen von Schule übernehmen zu wollen. Zudem konnte ich in meiner Zeit im Staatlichen Schulamt in Rüsselsheim am Main und zuletzt im Hessischen Kultusministerium in Wiesbaden erfahren, dass ich große Freude daran habe, schulisches Verwaltungshandeln durch die „pädagogische Brille“ zu betrachten, Prozesse daran auszurichten und Entscheidungen entsprechend zu treffen. Der Entschluss, meinen Hut in den Ring der offenen Schulleitungsstelle an der Prälat-Diehl-Schule zu werfen, hatte sicherlich vielfältige Gründe. Am entscheidendsten war für mich die pädagogische Ausrichtung der Schule. Diese orientiert sich in besonderer Weise am Unterricht und damit am Kerngeschäft von Schule. Die Vielfalt an Fachwahlmöglichkeiten in der Oberstufe ist nur ein Beispiel, an dem sich zeigt, dass die Prälat-Diehl-Schule diesen eigenen Anspruch auch lebt. So wurden beispielsweise in der Planung dieses Schuljahres alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrer Talente Leistungskurse in Fächern belegen können, die nur von wenigen Lernenden angewählt wurden. Die Kooperation mit dem Beruflichen Gymnasium Groß-Gerau macht dies u.a. möglich.
Wie gehen Sie an die neue Herausforderung heran? Was ist Ihnen besonders wichtig? Wo werden Sie Ihre Schwerpunkte setzen?
Dr. Annette Petri: Im Mittelpunkt meines aktuellen Tuns steht das Kennenlernen der Schule und dabei besonders das Kennenlernen der handelnden Personen. Aktuell, und noch mindestens bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres, führe ich mit allen Lehrkräften Kennenlerngespräche. Der Blick jeder einzelnen Kollegin und jedes einzelnen Kollegen auf die Schule ist mir besonders wichtig und bringt mich in meiner eigenen Orientierung enorm weiter. Sowohl der Schulleitungsrunde als auch dem schulischen Personalrat bin ich dankbar dafür, dass sie diese Herangehensweise nicht nur unterstützen, sondern mittragen. Denn in der Zeit, in der ich in Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen die Schule Stück für Stück kennenlerne, stehe ich als Ansprechperson nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung. Eine externe Beraterin, die allen neuen Schulleiterinnen und Schulleitern in der Anfangsphase zur Seite gestellt wird, unterstützt mich dabei, die vielen neuen Eindrücke zu sortieren.
Die Frage nach zukünftigen Schwerpunkten kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, frei von vorgefertigten Konzepten und damit offen für die Schule meine neue Aufgabe als Schulleiterin anzutreten. Diese Offenheit bedeutet jedoch nicht, dass ich keine Vorstellungen und Visionen von guter Schule habe. Mein innerer Kompass für das, was aus meiner Sicht Schule ausmachen muss, ist tief von der Vorstellung von Bildung als Prozess der aktiven Begegnung von Kindern und Jugendlichen mit aktuellen, zukünftig relevanten und überzeitlichen Fragen und Herausforderungen geprägt. Ein breites Fächerangebot kombiniert mit herausfordernden außerunterrichtlichen Angeboten und Aktivitäten ermöglicht jungen Menschen diese Weltbegegnung. Dafür stehe ich.
Bei der PDS gibt es die besondere Situation, dass sich die Schule auf verschiedene Standorte verteilt und zumeist die Oberstufe am Bahnhof im Fokus steht. Wie werden Sie damit umgehen?
Dr. Annette Petri: Streng genommen kommen Kreissporthalle und Sportpark zu den von Ihnen genannten Standorten noch hinzu. Dies bringt die Kolleginnen und Kollegen der Fachschaft Sport ebenso wie das Stundenplanteam um die stellvertretende Schulleiterin, Frau Burschel, zusätzlich ins Rotieren. Aber auch für alle anderen Kolleginnen und Kollegen ist der tägliche Wechsel zwischen den beiden Gebäuden eine Herausforderung. Für mich verknüpft sich mit den beiden Schulstandorten hauptsächlich die Frage, wie der nötige fachliche und pädagogische Austausch im Kollegium gut gelingen kann. Die Schule hat hierfür seit vielen Jahren verlässliche Strukturen etabliert. Ein fester Konferenznachmittag ist nur ein Beispiel dafür. Daran kann und werde ich anknüpfen. Was die Frage nach dem Fokus der beiden Standorte betrifft, so sind für mich beide gleichermaßen bedeutungsvoll. Entsprechend bin ich morgens meist an der Mittelstufe anzutreffen bevor ich mich mit dem Ende des Vormittagsunterrichtes an der Mittelstufe auf in Richtung Oberstufe mache.
Sie sind Lehrerin für Biologie sowie Politik/Wirtschaft? Wie wichtig ist es Ihnen, trotz der neuen Aufgabe noch selbst zu unterrichten?
Dr. Annette Petri: Mit der Entscheidung, Schulleiterin an einer weiterführenden Schule zu werden, entscheidet man sich bewusst auch immer dafür, dass die eigene Unterrichtstätigkeit in den Hintergrund rückt. Dies gilt selbstverständlich nur für die Anzahl an Unterrichtsstunden. Denn sobald ich das Klassenzimmer betrete, bin ich ganz bei den Lernenden und damit bei der Frage „Wie kann ich die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, sich möglichst eigenständig neue Inhalte und Problemstellungen anzueignen“. Die Funktion der Schulleiterin spielt dann keine Rolle mehr.
Auch wenn das eigene Unterrichten ein immer kleineres Zeitfenster in meinem eigenen Tagesgeschehen einnimmt, ist die Auseinandersetzung mit den Fragen „Was ist guter Unterricht?“, „Welche Rahmenbedingungen und Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Lehrkräfte gut unterrichten können?“, „Welche Lernarrangements benötigen Kinder und Jugendliche in ihren individuellen Lernprozessen?“ für mein Verständnis von Schulleitung essentiell. Fragen wie diese bieten mir die notwendigen Bezugspunkte für mein eigenes Leitungshandeln.
Sie treten Ihre neue Stelle in einer Zeit an, in der sich die Schüler wieder verstärkt politisch engagieren – Stichwort: Fridays for future. Wie stehen Sie zu der Bewegung und den Protesten, und wie werden Sie sich als Direktorin dazu verhalten – müssen?
Dr. Annette Petri: Ich bin tief beeindruckt von dem politischen Engagement, mit dem sich Jugendliche in ganz Europa mit großer Ernsthaftigkeit für Klimaschutz und Nachhaltigkeit einsetzen. Das hat mit Schule schwänzen und blau machen aus meiner Sicht nichts zu tun. Vielmehr machen die Jugendlichen ihrem Unbehagen gegenüber vergangenen klimapolitischen Entscheidungen Luft und setzen sich für eine engagiert geführte gesellschaftliche Diskussion ein. Die europäische Union sucht seit Jahren nach einem verbindenden Thema zwischen den Bürgerinnen und Bürgern: Hier liegt es auf dem Tisch. Sowohl als Bürgerin und Mensch als auch als Lehrerin für die Fächer Politik und Wirtschaft sowie Biologie bin ich dankbar für den Mut und die Hartnäckigkeit der Jugendlichen.
Als Schulleiterin wünsche ich mir, dass sich das Engagement für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung auch in der Schulgemeinde und vor allem im schulischen Alltag langfristig etabliert. Themen wie die Vermeidung von Plastik, eine engagierte Reduzierung von Müll, Regionalität und Saisonalität in der Auswahl und dem Konsum von Lebensmitteln, klimafreundliche Mobilität bis hin zur Frage nach Zielen von Klassenfahrten sollten in der Schulgemeinde engagiert und kontrovers diskutieren werden, sodass wir auf der lokalen Ebene miteinander gute Entscheidungen treffen können.