Bürgermeister in Zeiten von Corona

Von W. Christian Schmitt.

Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein, Menschen und ihren Wirkungsbereich kennenzulernen. Diesmal hat uns Büttelborns Bürgermeister Marcus Merkel ins Volkshaus eingeladen.

Dies ist ein WIR-Tischgespräch der ganz besonderen Art. Das geht mir durch den Kopf beim Schreiben dieser Reportage. Sie soll – so handhaben wir es üblicherweise – das festhalten, wiedergeben, was besprochen worden ist. Doch diesmal ist alles ein wenig anders. Denn wir haben Corona-Zeit. Zwar auch schon zum Zeitpunkt des WIR-Tischgesprächs, aber vieles von dem, was damals aus dem Augenblick heraus zu Protokoll gegeben wurde, ist von den zwischenzeitlichen Ereignissen in Sachen Corona sowie den staatlichen Beschränkungen im Umgang miteinander längst überholt. Deshalb ist das nachfolgend Geschilderte so etwas wie ein journalistischer Spagat zwischen gestern und heute. Unsere Begegnung und all die spontanen Äußerungen von Bürgermeister Merkel scheinen vergleichbar mit der Kommentierung eines Fußballspiels zur Halbzeitpause, wo man ebenfalls das Endergebnis noch nicht erahnen mag. Dabei nicht einmal berücksichtigt all das, was sich zwischen Redaktionsschluss und Erscheinungstermin unseres Magazins noch verändern wird.

Für Sätze wie z.B. „Zwischenzeitlich haben wir Anfang dieser Woche das Rathaus geschlossen, ebenso die Kindertagesstätten, welche nun für Kinder von Eltern in systemrelevanten Berufen im Notbetrieb gefahren werden“ oder „Die Spielplätze wurden gestern am 18.3. geschlossen, um eine Ansammlung von größeren Kindergruppen zu verhindern“ oder gar „Auch eine Reglementierung der Personenzahl in unseren Trauerhallen war unumgänglich“ bestand zum Zeitpunkt unseres Tischgesprächs noch kein zwingender Anlass.

Als wir relativ locker bei Tisch zusammensaßen, waren eher Aussagen angemessen wie etwa „Man sollte Corona doch ernst nehmen“, nicht spätere wie „Mittlerweile sind Maßnahmen nötig, die vor Wochen noch nicht einmal denkbar oder gar möglich erscheinen“. Wie man Seniorennachmittage oder Gemeindevertretersitzungen handhaben solle, dass Veranstaltungen mit mehr als 1.000 zu erwartenden Teilnehmern abzusagen wären – all dies ist Schnee von vorgestern. Corona bestimmt unser aller Alltag.
Wie groß ist die Verunsicherung in Verwaltung wie Kommune, war eine meiner damaligen Fragen. Was alles kann auf kommunaler Ebene derzeit nicht mehr entschieden werden – außer einer Erweiterung der „Verbotsliste“? So hat sich mancher und sicher auch Bürgermeister Marcus Merkel den Verlauf seiner Amtszeit nicht vorgestellt, die am 8. Juni 2019 begann. „Doch ich merke schon, dass der Ton rauer wird“, sagt er auf meine Frage „Was hat sich im politischen Alltag geändert?“. Was wird mit den Bürgersprechstunden, die er jeden ersten Mittwoch im Monat abhält und wo er eine sehr gute Resonanz registrieren kann? Ein Gespräch mit Mundschutz und eineinhalb Meter Abstand? Kaum denkbar.

Merkel erzählt, dass er aus einem „ur-sozialdemokratischen Haus“ stamme und quasi geprägt worden sei, „sich sozial zu engagieren“. Dann kommen wir auf eine vom Bundespräsidenten zitierte Umfrage zu sprechen, die belegt, dass „knapp zwei Drittel (64 Prozent) aller Bürgermeister in Deutschland mindestens schon einmal beleidigt, bedroht oder sogar tätlich angegriffen“ worden seien. Kann vor einem solchen Hintergrund es überhaupt noch Freude bereiten, als Bürgermeister tätig zu sein? Und ich füge an: „Sind Sie dennoch ein Bürgermeister zum Anfassen?“ Merkel lächelt: „Aber in Zeiten von Corona besser nicht“.
Dann will ich von ihm – Corona hin, Corona her – gerne wissen, wo er in Büttelborn was verändern möchte. Die Deponie, sagt er, habe bis 2030 noch eine Genehmigung zur Befüllung. Aber schon heute sei man dabei, sich Gedanke für die Zeit danach zu machen und arbeite derzeit an einer Erweiterung des Flächennutzungsplans. Denn die Deponie, so seine Vorstellung, solle ein Energie-Hotspot werden mit Bio-Abfall-Vergärungsanlage und – wenn möglich – drei oder vier Windrädern (Nabenhöhe 165 Meter!). Diese könnten pro Jahr ca. 50 Mio. Kilowattstunden Strom liefern und Büttelborn im Stromsektor bilanziell autark machen. Zudem könnten Windräder mit dieser Höhe – so die Erwartung – einen positiven Aspekt der zur Folge haben. Flugzeuge, welche von der Startbahn West starten, müssten schneller an Höhe gewinnen, und somit wird es in der Großgemeinde Büttelborn weniger Fluglärm geben. Dann komme ich doch noch einmal auf das gute Ergebnis bei der Bürgermeisterwahl im vergangenen Jahr zu sprechen. War‘s das nun, Bürgermeister in Büttelborn zu sein und mehr nicht? Oder gibt es bereits weitere Ambitionen? „Derzeit reicht mir das“, meint der Bürgermeister und erzählt, dass sein siebenjähriger Sohn ihn am Wahltag gefragt habe: „Willste jetzt Bundeskanzler werden?“. Dann verabschieden wir uns und tauchen wieder ein in den von zunehmend mehr Einschränkungen bestimmten Corona-Alltag.

Zur Person: Marcus Merkel, geboren 1971 und im Ortsteil Büttelborn aufgewachsen; verheiratet und stolzer zweifacher Papa. Er war als Vertriebsleiter und Energiewirt im Bereich erneuerbare Energien in verschiedenen Führungspositionen tätig. Neben Familie und Beruf seit vielen Jahren Sport treibend (SKV Büttelborn Fußballabteilung); ehrenamtliche Vereinsarbeit. Ganz gleich, ob als Spieler der ersten Mannschaft oder als Jugendleiter aktiv: „Leidenschaft, Engagement und das Verfolgen gemeinsamer Ziele waren stets mein Antrieb“. Mehr Infos unter www.buettelborn.de

Das könnte Dich auch interessieren …