Das Stadtmuseum und die Pandemie

Von Ulf Krone.

Corona hat den Kulturbetrieb vollständig lahmgelegt, einen gesellschaftlichen Bereich, der besonders auf Publikum und Begegnung angewiesen ist. Mit den jüngsten Lockerungen beginnt allerdings auch in Theatern, an Konzertbühnen, Kinos und Museen wieder das Leben, das häufig ein improvisiertes ist – und es vermutlich länger bleiben wird. Ulf Krone hat bei Jürgen Volkmann (Foto), Leiter des kreisstädtischen Stadtmuseums, nachgefragt, wie sich die Lage in Groß-Geraus wichtigstem Museum darstellt.

Hinter uns liegen Wochen des beispiellosen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt kulturellen Stillstands, um der Corona-Epidemie in Deutschland Herr zu werden und das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren. Was bedeutete dieser Stillstand für das Stadtmuseum in der Kreisstadt?

Jürgen Volkmann: Bekanntermaßen wurden von heute auf morgen alle öffentlichkeitsbezogenen Aktivitäten eingestellt. Neben der regulären Öffnung des Museums mit seiner Dauerausstellung zur Römerzeit und Stadtgeschichte fiel auch die geplante Vernissage zweier Sonderausstellungen zum Thema Einkaufen und Handel in Groß-Gerau seit 1900 und Schätze aus dem Groß-Gerauer Stadtarchiv aus. Darüber hinaus fanden bzw. finden zahlreiche vorgesehene Veranstaltungen wie Klavierabend, Benefizkonzert des Lions Clubs oder die traditionelle Jazz-Matinee im Wallerstädter Dorfzentrum nicht statt. Glücklicherweise ist dies, da wir uns ja in öffentlicher, also städtischer Trägerschaft befinden, für uns keine existenzbedrohende Situation wie dies bei freien Kulturträgern der Fall ist. Und es zeigt sich daran einmal mehr, wie wichtig diese öffentliche Verankerung kultureller Einrichtungen in Deutschland auch in der Fläche ist.

Wir haben hier wirklich das, was häufig unter dem Begriff Kulturnation gefasst wird, und die Reaktionen der Menschen geben diesen Rahmenbedingungen auch Recht, denn es wird in vielen Gesprächen deutlich, dass Begegnungen auf kulturellem Parkett einer Bedürfnishaltung großer Teile der Bevölkerung entsprechen. Mich als Kulturtreibenden erstaunt dies natürlich nicht, denn menschliche Existenz impliziert Kultur – der Mensch möchte Dinge durch den Blick in die Vergangenheit begreifen und hinterfragen, er hat, nicht erst seit Schiller, das Bedürfnis nach dem Schönen, und er will seine Erfahrungen und Empfindungen mit anderen teilen. Insofern hat der Stillstand das Bewusstsein und die Wertschätzung für kulturelle Begegnungen bei vielen geschärft, ja befördert und den Kulturinstitutionen nach meiner Auffassung langfristig eher genutzt.

Inzwischen befinden wir uns in einer Phase der vorsichtigen Öffnung, und auch Museen dürfen ihre Türen wieder für Besucher öffnen. Wie geht dies im Fall des Stadtmuseums vonstatten? Was wird die Besucher erwarten?

Jürgen Volkmann: Unter der Maßgabe der bekannten Hygienevorschriften und Abstandsgebote können die Besucher das Stadtmuseum zunächst mittwochs von 10–12 Uhr und donnerstags von 14–17 Uhr besuchen. An Wochenenden können wir derzeit noch nicht öffnen, da unsere Aufsichten altersbedingt der Risikogruppe angehören. Aber auch da sind wir bemüht, Lösungen zu finden. Während die für April geplanten Sonderausstellungen wie oben erwähnt verschoben werden müssen, möchten wir die Aufmerksamkeit der Besucher verstärkt auf die vielfältigen Inhalte der Dauerausstellungen lenken. Während in der Vergangenheit zahlreiche Erwachsenen- und insbesondere auch Schülergruppen durch die Römerabteilung und die Stadtgeschichte geführt werden konnten, sind die vielfältigen und interessant aufbereiteten Inhalte der beiden Abteilungen bei manchem potentiellen Einzelbesucher noch gar nicht bekannt. Hier will ich in Erinnerung rufen, dass unser Stadtteil Auf Esch zu den bedeutendsten archäologischen Fundplätzen Hessens gehört, was sich in der reich ausgestatteten Römerabteilung wiederspiegelt.

In der parallel dazu präsentierten Stadtgeschichte seit 1920 sind neben vielen interessanten Exponaten auf der graphisch erstklassig gestalteten gläsernen Fotowand Dutzende Groß-Gerauer Personen und Themen zu einem Kaleidoskop der Stadt- und Alltagsgeschichte versammelt. Man muss wissen, dass sich dahinter über 60 Konvolute aus privaten Fotoalben verbergen, die bei der Neueinrichtung im Jahre 2010 dafür ausgewertet wurden.

Und nicht zuletzt besitzt das Stadtmuseum seit dem Jahr 2014 mit dem Altheim-Kabinett die größte Sammlung an Werken dieses 1871 in Groß-Gerau geborenen Malers und Zeichners, dessen künstlerische Qualität – immer wieder mit Humor gewürzt – von überregionalem Interesse ist. Auf Anregung des Fördervereins sind wir gerade dabei, zusammen mit Zeitzeugen kleine Videos zu Themen und Exponaten der Dauerausstellung zu produzieren, sie ins Internet zu stellen und damit die Dauerausstellung einem größeren Interessentenkreis auch außerhalb der Öffnungszeiten bekannt zu machen und auf diesem Weg zu einem anschließenden Besuch zu animieren.

Sicher hat die wochenlange Schlies­sung Auswirkungen auf das eigentlich geplante Programm. Gibt es bereits Perspektiven für den Rest des Jahres? Wird es ein neues, „Post-Corona-Programm“ geben, und sind Gruppenführungen noch möglich?

Jürgen Volkmann: Was unser Veranstaltungsprogramm angeht, so lautet das Gebot angesichts der Sicherheitsvorgaben im Moment: Abwarten. Nach meiner Vorstellung sollen aber so viel Veranstaltungen wie möglich und inhaltlich sinnvoll verschoben und nachgeholt werden. Ich denke dabei natürlich an die Sonderausstellung zum Thema Einkaufen in Groß-Gerau, mit der die lange Tradition des vielgestaltigen Handels in der Kreisstadt beleuchtet werden soll und die in Kooperation mit unserer Wirtschaftsförderung und dem Gewerbeverein geeignet ist, einen Teil dazu beizutragen, dass der Handel wieder die notwendige Aufmerksamkeit nach der Zwangspause bekommt.

Sehr am Herzen liegt uns auch die Tradition des Jazz in Groß-Gerau, die wir in diesem Jahr mit einer Marching-Session zu den entsprechenden Orten in der Stadt begehen wollten. Gruppenführungen, die ja nicht nur im Stadtmuseum selbst, sondern in Gestalt der sehr beliebten Stadtführungen zu verschiedenen Themen angeboten werden, müssen im Moment und auch absehbar warten. Und warten müssen eben auch die vielen schönen Veranstaltungen des Museums, wie auch der zahlreichen Kooperationspartner wie der Buchhandlung Calliebe, dem Lions-Club, der GEW oder dem Sozialpsychiatrischen Verein und natürlich ganz besonders dem Förderverein Stadtmuseum mit seinem erfolgreichen Programm, wie etwa der Herbstfahrt oder dem Museumsfrühstück. Wir hoffen natürlich sehr, dass es gelingt, nach und nach weitere Lockerungen der Abstands- und Hygieneregeln zuzulassen, denn Kulturveranstaltungen, die auf Kommunikation, also physische Nähe angelegt und oftmals begleitend auch mit kulinarischen Angeboten verbunden sind, lassen sich unter den momentan notwendigen Einschränkungen kaum sinnvoll vorstellen.

www.gross-gerau.de

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