Der Kittelbrennfaktor

Von Dr. Klaus-Peter Sawinski.

Irgendwie war ich mir schon immer drüber im Klaren, auch wenn ich es so nicht wirklich gehört, gelesen oder verstanden hatte: Es traf es. Ein Freund von mir hat es mal so ausgedrückt: „Die Menschen tun erst dann etwas für ihre Gesundheit, wenn der „Kittelbrennfaktor“ groß genug geworden ist.“

Wenn ich in mein Leben auch mal zurückschaue (aber auch nicht nur auf meines), ist es völlig unstreitig. Für mich gilt beispielsweise ein Kilo-Grenze: Wenn ich die überschreite, wird die Fülle im Kühlschrank geringer (weil wir weniger einkaufen), der Sportfaktor zieht an und die Disziplin erhält mal wieder einen höheren Stellenwert. Gekocht wird dann hauptsächlich vegetarisch und Zuckerhaltiges verschwindet.

Ähnliches habe ich erlebt in meiner langjährigen Arbeit in der Suchtselbsthilfe: Drei wichtige Faktoren gehören zum Leben eines Menschen: die Familie, die Arbeit und die Gesundheit. Erst wenn zwei von den Dreien den „Kittelbrennfaktor“ durch Verlust gravierend nach oben jagen, denkt der Mensch ernsthaft darüber nach, dass es Zeit wird, etwas zu ändern. Erfreulich war es dann immer (und auch ein bisschen unsere Motivationshilfe), wenn wir feststellen durften, dass es nicht zu spät, sondern gerade noch rechtzeitig war, dass man diesem Menschen neue Wege zeigen konnte.

Der Mensch ist ein lernfähiges Wesen, wird gern behauptet. Mag stimmen, aber warum „verlernt“ er dann so gern? Konsequenz jedenfalls ist eindeutig nicht seine Stärke. Stattdessen wird die Zeit der Konsequenz groß herausgestellt. Man lässt sich feiern und feiert mit … natürlich mit Saft oder Wasser, bis einem das Bier oder der Wein dann doch wieder schmeckt. Für eine gewisse Zeit hat man bewiesen, dass man den „Inneren Schweinehund“ im Griff hat, aber eigentlich ist es umgekehrt. Außer für Suchtmittel, wie Alkohol, Nikotin, Gras und anderes (incl. seit einigen Jahren auch Spiel- und Internet-Sucht), wird auch für andere Mittel unglaublich viel Geld ausgegeben. Wir leisten uns etwas, denn „Wir haben es ja verdient“. Fatal wird die Geschichte, wenn man mal wieder mit dem Verdienen nicht nachkommt und der Schuldenberg auch noch ein immenses Ausmaß annimmt.

Gesundheit: angeschlagen bis kaputt. Beziehungen werden fragwürdiger, aber sicher nicht mehr verlässlich. Die Familie wendet sich ab – und nun?
Der Kittel brennt! Hier wird es schwierig. Nach Jahrhunderte langer Erziehung hat der Mensch so seine Schwierigkeiten, Hilfe von anderen anzunehmen, um aus seinem Jammertal wieder herauszufinden und sein Leben auf stabile Füße zu stellen. Die Mediziner sehen es oft so: ein paar Pillen oder Spritzen helfen. Oder notfalls auch mit dem Skalpell des Chirurgen könne man alles erledigen – welch ein Irrtum! An erster Stelle steht nun einmal immer noch der einzelne Mensch selbst. Nur wenn er bereit und in der Lage ist, etwas zu tun, hat er auch eine Chance, den brennenden Kittel zu löschen. Worauf warten wir noch?


Dr. Klaus-Peter Sawinski
leitet in Nauheim eine Praxis für Psychotherapie, Hypnose und Lebensberatung;
hpp.sawinski@icloud.com

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