Der unsichtbare Feind

Von Stefan Sauer.

Es ist eine Herausforderung, sich gegen etwas zu wehren, das unsichtbar und inhaltlich wie zeitlich nicht greifbar ist. Unglaubliches wurde wahr, eine Krise trifft die gesamte Welt. Die Auswirkung der gegenwärtigen Situation auf alle Lebensbereiche – Familie, Freizeit, Kinderbetreuung, Schule, Wirtschaft – bringt Einschnitte mit sich, die uns bis vor wenigen Wochen unvorstellbar schienen. Dennoch ist die Akzeptanz für die Maßnahmen der Bundes- und Landesregierung sowie der Kommunen im Kreis Groß-Gerau ausgesprochen hoch, und es zeigt sich eine großartige gesellschaftliche Solidarität.

Ein umfangreiches Rettungspaket, geschnürt in kürzester Zeit, schützt unsere Gemeinschaft vor dem Schlimmsten. Wir erkennen, dass wir im internationalen Vergleich hohe Stabilität beweisen. Das schenkt uns Kraft. Vertrauen und Verlässlichkeit haben eine neue Wertigkeit – das fühlt sich gut an. Doch zu Beginn bei den Beratungen in Berlin war dies alles nicht selbstverständlich. Wir mussten uns auf eine noch nie dagewesene Situation einstellen. Klare Prioritäten, wirkungsvolle Maßnahmen und ein konsequentes Umsetzen bei hoher Transparenz waren gefordert – und dabei keine Zeit verlieren! Die Gesundheit der Menschen zu schützen, stand und steht nach wie vor an erster Stelle. Darüber hinaus gilt es, Existenzängsten der Bürger wie auch finanziellen Engpässen von Unternehmen entgegen zu wirken, die Zahlungsfähigkeit der Bevölkerung wie der Firmen sicherzustellen. Und zeitgleich ist es erforderlich, den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen „Neustart“ vorzubereiten. Die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und der Labore sowie die fachlich fundierte Meinung anerkannter Virologen bestimmen unseren Umgang mit der Situation – diszipliniert und sachlich. Von jetzt auf gleich war die Welt anders. Und sie wird nicht mehr werden, wie sie einmal war. Anders wird es sein, doch wie? Aktuell haben viele von uns mehr Zeit, wenige Termine, Gelegenheit zum Nachdenken. Bürger verdeutlichen mir, es fehle ihnen das Zusammensein mit Menschen bei kulturellen oder sozialen Begegnungen. Wir wissen heute genauer als je zuvor, was Lebensqualität, was Freiheit für uns bedeutet. Freunde und gesellschaftliche Kontakte sind in ihrem Nutzen plötzlich tief in uns spürbar. Wir müssen auf Distanz gehen und sind uns doch näher als früher. Mit großem Vertrauen und Zuversicht zeigt sich die Gesellschaft geduldiger, als ich es erwartet habe. Ich hatte wirklich Sorgen, dass restriktive Maßnahmen nicht akzeptiert, dass Rücksichtslosigkeit – Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Mehl & Hefe mal ausgeblendet – uns belasten werden. Die Helden des Alltags sind Ärzte, medizinische Fachkräfte, Pflegekräfte, Beschäftigte im Lebensmittelhandel, Bus- und Bahnfahrer, Müllabfuhr etc. Berufsgruppen, die schon immer verlässlich arbeiteten, erscheinen in neuem Licht. Wir erleben eine Zäsur, die uns geistig und seelisch zutiefst berührt. Viele Fragen stehen im Raum: Was erwarte ich von meinem zukünftigen Leben? Werden wir die richtigen Rückschlüsse aus der Krise ziehen? Werden wir unser Leben verändern? Wird sich der Planet wiederfinden?

Ich bin gespannt, welche wertvollen Rückschlüsse wir aus der Situation ziehen. Bei all dem wird Globalisierung heute anders bewertet: Abhängigkeiten von Lieferketten gilt es neu zu überdenken. Es erschreckt, dass diese Krise hinsichtlich Arznei und Schutzkleidung unsere Abhängigkeit vom Ausland offenbart. Die medizinische Versorgung wird wieder als Daseinsvorsorge erkannt, nicht als reiner Kostenfaktor. Probleme relativieren sich und es stellt sich die Frage: Wird Europa an den Problemen zerbrechen, oder gehen wir gestärkt aus der Situation hervor? Auch solche Überlegungen umtreiben uns in Berlin, denn wir profitieren von Europa wie kein zweites Land. Und Europa braucht uns. Es liegen große Herausforderungen vor uns, aber ich bin zuversichtlich, dass wir diese meistern. Jeder Einzelne von uns trägt seinen Teil dazu bei – darauf dürfen wir gemeinsam stolz sein!

Stefan Sauer
ist ehemaliger Bürgermeister der Kreis­stadt und Bundestagsabgeordneter für die CDU; stefan.sauer@bundestag.de

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