Die Beruflichen Schulen Groß-Gerau
Sabine Kämpf und Martin Gonnermann im Gespräch mit Ulf Krone.
Aktuell herrscht rege Geschäftigkeit am Rande der Kreisstadt im Schatten des Wasserturms. Auf dem Gelände der Beruflichen Schulen Groß-Gerau (BSGG) in der Darmstädter Straße 90 wird gebaut, und auch im inneren der Bildungsanstalt wird konsequent daran gearbeitet, auf veränderte Anforderungen zu reagieren und die Schüler und Auszubildenden bestmöglich auf die Berufswelt vorzubereiten. Im Gespräch geben Schulleiter Martin Gonnermann und Studiendirektorin Sabine Kämpf Einblicke ins Gefüge der BSGG und sprechen von den Herausforderungen, die das Schaffen der idealen Bildungsvoraussetzungen mit sich bringt.
Wer sich mit den BSGG beschäftigt, merkt rasch, dass sich dahinter mehr als „bloß“ eine Berufsschule verbirgt. Skizzieren Sie doch bitte für unsere Leser einmal, welche Bildungsangebote in den BSGG zusammengefasst sind!
Sabine Kämpf: Die Beruflichen Schulen Groß-Gerau sind eine der beiden beruflichen Schulen in der Trägerschaft des Kreises Groß-Gerau. Die BSGG hat ca. 2.800 Schülerinnen und Schüler, davon befinden sich ca. 1.700 in der dualen Berufsausbildung, früher sagte man „Lehre“, z.B. im Bereich Wirtschaft, Technik, Gesundheit oder Körperpflege, etwa zum KFZ Mechatroniker/in, Friseur/in oder zahnmedizinische/r Fachangestellte/r, Bankkauffrau/mann, oder Kauffrau/mann für Büromanagement. Darüber hinaus können ca. 1.000 Vollzeitschüler/innen jeden existierenden Schulabschluss bei uns erlangen: in der Berufsvorbereitung den (qualifizierenden) Hauptschulabschluss; die Berufsfachschule endet mit dem mittleren Abschluss; die Fachoberschule führt zur allgemeinen Fachhochschulreife und das berufliche Gymnasium zur allgemeinen Hochschulreife. Die Besonderheit besteht darin, dass die Schüler/innen zusätzlich eine berufliche Orientierung in der gewählten Fachrichtung erlangen, etwa im Bereich Wirtschaft oder Technik. Im Rahmen der Flüchtlingswelle haben wir acht Flüchtlingsklassen gebildet, in denen die jungen Menschen neben den Sprachkenntnissen eine berufliche Orientierung erlangen, die sie befähigen soll, sich in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt zu integrieren oder einen Schulabschluss zu erlangen.
Wie viele Schüler besuchen derzeit die BSGG, und wie groß ist das Lehrerkollegium?
Sabine Kämpf: Unterrichtet werden unsere etwa 2800 Schüler/innen von ca. 140 Lehrkräften. Das Kollegium setzt sich zusammen aus Studienräten und Oberstudienräten im Berufsschullehramt, Fachlehrkräften für arbeitstechnischen Unterricht und Gymnasiallehrkräften. Ebenso haben wir Quereinsteiger insbesondere in den so genannten Mangelbereichen Elektrotechnik, Fahrzeugtechnik oder Medizin/Gesundheit. Die Berufsschullehrkräfte haben neben ihrer qualifizierten universitären Ausbildung zumeist auch betriebliche Erfahrungen.
Digitalisierung, Globalisierung, Flüchtlingswelle und Fachkräftemangel – es gibt derzeit viel, mit dem die Gesellschaft umgehen lernen muss. Wie schlagen sich diese gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen an den BSGG nieder, und wie werden die Schüler auf die veränderten Verhältnisse vorbereitet?
Martin Gonnermann: Als berufliche Schule müssen wir uns flexibel und schnell auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Veränderungen einstellen. Es ändern sich Berufsbilder oder es kommen neue Fachrichtungen hinzu. So haben wir beispielsweise im Jahr 2010 als eine von vier hessischen Schulen den Schwerpunkt Umwelt in unserem beruflichen Gymnasium eingerichtet. Auch bei den dualen Ausbildungsberufen gibt es kontinuierlich Änderungen, ab und zu sogar neue Berufe. Zum 1. August wird es den neuen Beruf Kaufmann/-frau im E-Commerce geben. Derzeit gibt es ca. 320 duale Ausbildungsberufe in der Bundesrepublik, die BSGG bietet 17 an. Die Veränderungen der Arbeitswelt werden aber durch die Überarbeitungen der Ausbildungsordnungen und der Lehrpläne berücksichtigt. Zum 1. August wird es außerdem erhebliche Neuerungen in den technischen Berufen geben. Inhalte, die wir unter dem Stichwort Industrie 4.0 subsumieren, finden Einzug und erfordern noch tiefere Kenntnisse und Fertigkeiten in den Bereichen der Vernetzung. Ähnlich wie die Vernetzung, die durch das Internet sichtbar ist, möchten wir auch Menschen vernetzen und unseren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeiten geben, Einsichten und Erfahrungen im Ausland zu erlangen. In den beiden vergangenen Jahren haben wir im Rahmen eines EU-Programms einen Austausch mit Auszubildenden in Dobczyce, Polen durchgeführt. Unser nächster Austausch führt die Schüler/innen nach Örebro, Schweden.
An den BSGG gibt es derzeit bauliche Veränderungen zu beobachten. Was steckt dahinter, und wie ist der aktuelle Stand?
Martin Gonnermann: Das Hauptgebäude, was Sie von der Darmstädter Straße sehen, ist 1964 errichtet worden. Es wurde in den Jahren 1998 bis 2003 saniert, damals ist man aber im Wesentlichen im Bestand geblieben und hat technische Verbesserungen herbeigeführt. Ebenso wurde das Gebäude B, das aus dem Jahre 1951 stammt, renoviert. Das Oberstufengebäude der PDS, das von der BSGG etwa zu einem Viertel genutzt wurde, steht nicht mehr zur Verfügung. Klassenräume und naturwissenschaftliche Räume fehlen, deshalb stehen jetzt Container auf dem Schulhof. Vom Berufsschulunterricht erwartet man, dass er anwendungsorientiert und handlungsorientiert ist. Dies ist derzeit nur eingeschränkt möglich. Die Lücke zwischen dem klassischen Theorieunterricht und dem praxisgebundenem Erfahrungswissen der Azubis soll vermindert werden, Arbeitsprozesse sollen in der Berufsschule simuliert und ausprobiert werden können. Ebenso fehlen uns gut gestaltete Bereiche zum selbstständigen Lernen und eine Mensa. Die Schule ist mit ihrer derzeitigen räumlichen Situation nicht mehr in der Lage, auf die veränderten Anforderungen der Wirtschaft wie Industrie 4.0 oder Digitalisierung adäquat reagieren. Wenn der Wirtschaftsstandort Groß-Gerau zukunftsfähig sein soll, ist eine moderne berufliche Schule unabdingbar. Dies soll mit der Erweiterung und Sanierung erreicht werden.