Die Geschichte der Riedbahn
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Von Klaus Drodt
Ohne die Erfindung und Entwicklung der Eisenbahn wäre die Industrialisierung in Deutschland und anderen Ländern nicht so schnell und effektiv erfolgt. Nun konnten Güter wie Kohle, Holz, Düngemittel, Getreide und Stückgüter aller Art ohne die Nutzung der Straßen in kürzester Zeit vom Erzeuger zum Verbraucher transportiert werden.
Natürlich profitierten auch der Personenverkehr und ganz besonders die Pendler in unserer Region davon und konnten ihre Betriebe wie Opel, MAN und in Groß-Gerau die Firma Faulstroh, die Helvetia und die Zuckerfabrik ohne große Probleme erreichen. Aber auch Arbeitsplätze in Frankfurt oder Darmstadt konnten nun in kurzer Zeit angefahren werden.
Das neue Verkehrsmittel hatte eine große strategische Bedeutung. Das betraf nicht nur das Militär, sondern auch die ganze Infrastruktur. Bei uns wollte das Großherzogtum Hessen von Darmstadt zu seinen beiden wichtigsten Städten Mainz und Worms schnell und sicher verbunden sein. 1855 wurde ein Vertrag mit der Hessischen Regierung und einem Bankhaus über die Finanzierung der Strecke Darmstadt nach Mainz abgeschlossen und 1858 konnte die Bahnstrecke eröffnet werden. 1862 wurde die neue Rheinbrücke dem Verkehr übergeben und Mainz war direkt von Darmstadt erreichbar. Um die andere bedeutende Stadt Worms mit Darmstadt zu verbinden, wurde vom Hessischen Großherzog eine Eisenbahnverbindung für die Strecke über Griesheim, Goddelau, Biblis nach Worms-Rosengarten gewünscht, 1868 genehmigt, erbaut und 1869 eröffnet. Auch diese Bahnlinie erhielt zu Ehren von Großherzog Ludwig II. von Hessen und bei Rhein den Namen Hessische Ludwigsbahn. Der Bau einer Rheinbrücke bei Worms begann 1898 und nach zweieinhalb Jahren konnte im November 1900 die Brücke dem Verkehr übergeben werden, was eine durchgehende Verbindung zwischen den beiden Städten bedeutete. Es fehlte aber im Kreis Groß-Gerau immer noch eine Eisenbahnlinie in Süd-Nord Richtung. 1871 wurde zusammen mit der Hessischen Ludwigsbahn und der Taunusbahn vereinbart, eine Verbindung von Frankfurt bis zur Einmündung in die Riedbahn bei Goddelau zu bauen. Die Eröffnung war im November 1879.
Vorerst endete die Strecke in Niederrad, da die Brücke über den Main noch nicht fertig war. Es gab aber schon eine Verbindung, um von Niederrad über Sachsenhausen nach Frankfurt zu fahren. Ein zweites Gleis wurde 1898 in Betrieb genommen, und gleichzeitig wurde eine 4. Wagenklasse für die Arbeiter eingeführt. Die Brücke über den Main wurde in den Jahren 1880 bis 1882 gebaut und am 16. Januar 1882 für den Güter- und im August 1888 für den Personenverkehr geöffnet. Auch in Mannheim wurde in dieser Zeit eine Brücke über den Neckar geplant und zwischen 1877 und 1880 erbaut, sodass nun eine durchgängige Verbindung zwischen Frankfurt und Mannheim bestand. Nach Elektrifizierung der Riedbahn 1964 ist die Strecke heute eine der wichtigsten Bahnlinien in Deutschland. Hier läuft der ICE-Verkehr in die Schweiz und natürlich durch die Anbindung des Flughafens in Frankfurt auch die Züge in Richtung Stuttgart und München.
Aufgrund von immer weniger Güterverkehr auf der Schiene und bedingt durch die Zunahme von Lastkraftwagen wurde im Winter 1970/71 der Schienenverkehr auf der ursprünglichen Strecke der Riedbahn von Darmstadt nach Goddelau eingestellt. Glücklicherweise war bereits damals die Verbindungskurve – die sogenannte Eichmühlkurve – von der Riedbahn zwischen den Bahnhöfen Dornberg und Klein-Gerau fertiggestellt, sodass weiterhin Züge zwischen Goddelau und Darmstadt fahren konnten. Anfangs gab es sechs Zugpaare, anschließend nur noch zwei Züge am Morgen und am Abend. Der letzte Personenzug fuhr im Mai 1995. Heute rollen nur noch Güterzüge über diese Verbindung.
Drei besondere Ereignisse zur Riedbahn sollten nicht unerwähnt bleiben. Ab 1879 fuhren regelmäßig sogenannte „Badezüge“ von Darmstadt auf der Riedbahn nach Stockstadt. Besser gestellte Fahrgäste konnten diese Züge zur Erholung mit einem Bad im Rhein nutzen. Für die unteren Schichten, wie Diener und Handwerker, war ein solcher Ausflug weder von der Zeit noch vom Entgelt her denkbar. Der Betrieb des Badezuges wurde vermutlich mit Beginn des 1. Weltkrieges eingestellt. Ab Mai 1928 fuhr der legendäre Fernschnellzug „Rheingold“ von Hoek van Holland über das Rheintal in die Schweiz und bog von Mainz über Groß-Gerau nach Dornberg auf die Riedstrecke ein. Natürlich fuhr der Zug auch in die andere Richtung von Dornberg nach Groß-Gerau. Der Zug hatte historische Wagen im Pullmanformat und wurde meist von einer der schönsten und elegantesten je in Deutschland von der Firma Krauss Maffei in München gebauten Dampflokomotive der Reichsbahn der Baureihe S 3/6 gezogen. Ab September 1939 fuhr der Zug nicht mehr.
Ein großes gesellschaftliches Ereignis war der Besuch des russischen Zaren Nikolaus II. am 3. November 1903 zu einem Jagdausflug auf den Kühkopf. Die Einladung kam von Cornelius Wilhelm Freiherr von Heyl zu Herrnsheim. Außer dem Zaren waren der Hessische Großherzog Ernst Ludwig und Prinz Heinrich von Preußen dabei. Diese kamen mit dem PKW aus Wolfsgarten zum Kühkopf. Mit der Riedbahn fuhr die Jagdgesellschaft – mit den hohen Damen – von Darmstadt über Griesheim, Goddelau nach Stockstadt. Alle trafen sich im ehemaligen Wohnhaus des Gastgebers. Am Nachmittag fuhr der gesamte Besuch – nun mit dem Zaren – in einem Sonderzug zurück nach Darmstadt.
Klaus Drodt beschäftigt sich mit der Geschichte von Dornberg; k.drodt@gmx.de