Die Tinnitussi im Ohr

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Anette Welp
ist Autorin, Verlegerin und Frauenbeauftragte in der Treburer Gemeindeverwaltung;

augenauf.welp
@t-online.de

von Anette Welp

Ich sitze von Ohr bis Zeh entspannt im Café, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippt und brüllt: „Hörst du schlecht?“ Erschrocken drehe ich mich herum und rufe ebenso laut: „Ja!“ Mein Gegenüber lächelt mich an und wird im nächsten Augenblick ernst. „Also dann spitz mal die Ohren“, werde ich gleich korrigiert. Und schon liegt mir der Schultertippende in den Ohren, dringend einen HNO-Arzt zu konsultieren, weil ich mit Sicherheit schwerhörig sei.

Ich habe mir daraufhin die Nacht um die Ohren geschlagen, weil meine Gedanken um ein Hörgerät kreisten, das größer war als mein Ohr. Ich habe mich mal umgehört. Mir ist zu Ohren gekommen, dass viele Menschen ein Geräusch im Ohr quält, das alles Gesagte überdeckt, was gehört werden will. Ärzte sprechen vom Tinnitus, der durch Stress, durch Schock auslösende Erlebnisse oder ungeklärte Probleme ausgelöst werden kann. Ein Tinnitus entsteht durch Stress, gleichzeitig stresst er, weil er da ist. Eine Endlosspirale.
Mein Tinnitus ist extrem anstrengend und launenhaft. Er taucht auf, wenn es turbulent zugeht, oder wenn es um mich herum geräuschlos ist. Mein Tinnitus fordert enorme Konzentration und Aufmerksamkeit. Kurzum: Er stresst mich. Er rauscht und piept in hohen Tönen. Ich höre konzentriert hin. Es ist gar kein Mann in meinem Ohr. Es ist eindeutig eine Frauenstimme. Das Geräusch ist eindeutig eine Tinnitussi.
Ich habe viel über die Tinnitussi gelesen, ihre Entstehung unter medizinischen, spirituellen oder schamanischen Aspekten. Eine schamanische Erklärung ist beispielsweise, dass das Geräusch im Ohr auf eine erweiterte Bewußtseinsebene hinweist. Die Tinnitussi läutet das Zwischenstadium einer neuen Bewußtseinsstufe ein. So wird aus einem Krankheitsbild eine Entwicklungsphase, der ich positiv entgegen hören darf. Wir befinden uns auf einer Reise in eine höhere Bewusstseinsstufe. Offensichtlich gehöre ich dazu. Mein Fazit: Ich höre zwar schlecht, aber das ist auch gut so!

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