Die Zeitung ist tot? Es lebe die Zeitung!

Von W. Christian Schmitt.

Mit dem Format „Damals/heute“ wollen wir für unsere Leser das journalistische Angebot des WIR-Magazins erweitern. Dabei geht es um Selbst-Erlebtes vor 50 und mehr Jahren und um das, was sich bis heute verändert hat. WIR-Herausgeber W. Christian Schmitt erinnert sich an seine Zeit als Zeitungs-­Volontär beim Darmstädter Echo, die Veränderungen des Beruf­stands und an mehr als fünf Jahrzehnte Tätigkeit im Journalismus.

Die Überschrift zu diesem Beitrag ist einer 2015 im Haymon Verlag erschienenen „Denkschrift zur Zukunft der Printmedien“ entnommen, wobei Frage- und Ausrufezeichen durchaus auch andersherum gesetzt sein könnten. Denn: der Zeitungsbranche geht es seit Jahren merklich schlecht und schlechter. Die Auflagen- wie Abonnentenzahlen gehen parallel zu den Anzeigenumsätzen rapide zurück. Die goldenen Zeiten sind vorbei. Journalist sein, einst Traumberuf vieler, kann zum Albtraum werden, hält man sich vor Augen, dass mittlerweile mehr als 5.000 Kollegen als arbeitslos gemeldet seien. Mehr noch: „Jeder dritte deutsche Journalist arbeitet inzwischen freiberuflich“, ist zu lesen und „viele Verlage streichen Stellen und stellen keine neuen Redakteure mehr ein“. Und dies landauf, landab. Einer von Prof. Klaus Meier unlängst veröffentlichten Studie zufolge – so dessen Prognose – soll gar „die letzte gedruckte Zeitung 2033“ erscheinen.

Wie war das, frage ich mich, als ich 1969 noch voller Begeisterung in Darmstadt (m)eine Volontarsausbildung als Redakteur beginnen durfte, nach zwei Jahren eine Festanstellung im Feuilleton bekam und erste Einblicke in die Bereiche Kunst und Literatur erhielt. Die Welt lag einem vor Füßen, dachte man – und merkte erst allmählich, wie mühsam es noch werden sollte, auf der beruflichen Leiter Sprosse für Sprosse zu erklimmen. In der Kulturredaktion der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung schienen dann allerdings – anders als in der Provinz – die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt, Journalismus zu leben. Denn ich konnte in der gesamten Republik Termine wahrnehmen, Autoren besuchen, an PEN- und VS-Kongressen oder Tagungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung teilnehmen, bei Preisverleihungen wie u.a. dem Büchnerpreis vor Ort mit dabei sein, Serien kreieren und schreiben, schreiben, schreiben. Jahre später dann auch Bücher, quasi als journalistisches „Abfallprodukt“. Als Nächstes folgte der Sprung nach Dortmund, wo ich als geschäftsführender Redakteur das wöchentlich erscheinende Branchenmagazin „Buchreport“ (das u.a. auch die „Spiegel-Bestsellerliste“ ermittelte) mitgestalten durfte und überdies „das Blattmachen“ lernte.

Aber es ging natürlich beruflich nicht nur immer aufwärts. Es gab zwischenzeitlich Enttäuschungen, die sich später jedoch als Glücksfälle herausstellten. So lehnte mich z.B. der „Berliner Abend“ ab mit der Begründung, ich sei wohl noch zu jung, um an der Zeitungsfront in der Hauptstadt bestehen zu können – und musste einige Zeit später (ohne mich) sein Erscheinen einstellen. Auch bei den Lübecker Nachrichten, für die ich später dann als freier Mitarbeiter rund 250 Zeitungsartikel lieferte, konnte ich den Chefredakteur auch nach zwei Besuchen im Norden von meinem Konzept nicht überzeugen, als Kulturchef ein für die Hansestadt gemäßes Feuilleton zu verantworten. Auch hier räumte der Chefredakteur wenige Monate später seinen Chefsessel. Und schließlich: auch der Wechsel als stellvertr. Pressechef zum Medienriesen Bertelsmann scheiterte – allerdings daran, dass ich bereits anderswo unterschrieben hatte, ehe aus Gütersloh das OK zum Wechsel eintraf.

Schließlich die Berufung in die Chefredaktion des buchhändlerischen Verbandsmagazins „Börsenblatt“ und die sich anschließende Zeit als freier fester Mitarbeiter mit der Möglichkeit, alle wichtigen Verleger, Buchhändler, Autoren sowie Vertreter kultureller Institutionen (wie z.B. die Frankfurter Buchmesse) persönlich kennenzulernen. Es war die Zeit, wo man als Freier Journalist noch sein Auskommen hatte. Wenn ich in meinen Unterlagen (und speziell in der damals eigens angelegten „Beleg-Analyse“) blättere, dann bin ich heute selbst überrascht, wo überall Beiträge aus meiner Feder zum Abdruck kamen. 60 Zeitungen, Wochenblätter und Magazine waren es insgesamt, in denen in der Zeit von 1978 bis 1997 mehr als 6.000 Artikel erschienen. Die meisten davon u.a. in der Westfälischen Rundschau, den Lübecker Nachrichten, der Kölnischen Rundschau, dem Wiesbadener Kurier, der Passauer Neuen Presse, der Aachener Volkszeitung, den Nürnberger Nachrichten, dem Hamburger Abendblatt, der Rheinischen Post, aber auch (nach der Wende) in der Leipziger Volkszeitung, der Märkischen Oderzeitung, der Freien Presse Chemnitz, der Lausitzer Rundschau etc.

Kaum vorstellbar, dass heutzutage ein frei arbeitender Journalist noch Zugang zu so vielen einst renommierten Regionalzeitungen haben könnte. Vorbei auch die Zeit, wo man das Gefühl hatte, mit einem Artikel nicht nur (über den Literatur- und Buchmarkt) zu informieren, sondern auch Denkprozesse in Gang setzen zu können. Geblieben indes ist der journalistische Anspruch, dass man alles darf, nur eben die Leser nicht langweilen.

Um noch einmal zu spüren, wie es heute in einer Zeitungsredaktion abläuft (und nicht nur, wie in unserer WIR-Redaktion), habe ich quasi als Teilzeit-Volontär einen Tag beim Griesheimer Anzeiger verbracht. All die Probleme, von denen vielerorts die Rede ist, sind auch hier gegenwärtig: Gibt es uns in ein paar Jahren noch als Zeitung? Wie weit müssen wir uns anpassen, damit wir als Journalisten überlebensfähig bleiben? Wie wird sich das Leserverhalten weiter verändern? Wie die Zahl der Abonnenten, der Anzeigenkunden? Ist das noch der Traumberuf, für den wir uns einst entschieden haben? Was ist Qualitäts-Journalismus? Gilt noch – vor dem Hintergrund, dass selbst die FAZ mehrmals in der Woche „Berichtigungen“ in eigener Sache abdruckt -, worauf der Leser früher setzen konnte: Was in der Zeitung steht, ist richtig? Was ist von schlauen Ratschlägen zu halten: „Es ist die Pflicht der Journalisten, der Öffentlichkeit zuzuhören, der sie dienen“, verkündet von einer New Yorker Professorin?

Journalismus damals und Journalismus heute sind kaum mehr vergleichbar. Wenn ich etwa daran denke, wie ich zum Journalismus gefunden habe. Ich rief damals von einer Telefonzelle in Darmstadt das „Echo“ in der Holzhofallee an und wollte mit dem Chefredakteur verbunden werden. Und dann war er am anderen Ende der Leitung tatsächlich, der Chefredakteur, bei dem ich keck nachfragte, ob ich denn in seinem Hause volontieren dürfe, da ich Journalist werden wolle. Ich höre es noch wie heute, als er sagte: Dann solle ich ihm doch einmal schreiben. Und als ich erwiderte, ich sei gerade in Darmstadt, und es wäre wohl das Einfachste, wenn ich kurz mal vorbeikäme, meinte er: „Na, dann kommen Sie“. Kaum vorstellbar, was aus mir geworden wäre, wenn er mich mit einem der gängigen Argumente abgewimmelt hätte.

 


W. Christian Schmitt
Ist Herausgeber und Redakteur des WIR-Magazins;
wcschmitt@wir-in-gg.de

 

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