Dolce vita?

Von Heidi Förster.

Ja, darum geht’s auch von Mitte September bis Mitte Oktober in Groß-Gerau – aber nicht nur! Italienisch kochen – aus dem Programm der Interkulturellen Wochen Groß-Gerau 2018 – passt schon mal zur Überschrift. In italienischen Cafés sieht oder trifft man übrigens auch in Groß-Gerau immer Eritreer, warum?

Weil deren Ur-Ur-Ur-Großeltern „italienisch“ geprägt sind, in der ehemaligen Kolonie nördlich von Kenia und Somalia in Ostafrika. Was könnte das Land am Roten Meer mit italienischer Architektur für ein schönes Urlaubsland sein… Aber seit 1989 tobt ein erbitterter Grenzkrieg mit den südlichen äthiopischen Nachbarn, mit denen es trotz eines Friedensabkommens der UN von 2002 weiter zu gewaltsamen Grenzstreitigkeiten kam. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed Ali herscht seit kurzem Frieden, und der Grenzkrieg wird endlich beendet, nachdem Zehntausende gestorben oder geflücht sind. Dolce vita? Dieses Lebensgefühl tragen viele Eritreer/Innen dennoch – trotz Zwangsarbeit, Enteignung und Flucht aus der Heimat in ihren Herzen. Ich habe in den 90er Jahren, bevor ich Journalistin wurde, fünf Jahre als Sozialarbeiterin Flüchtlinge in Frankfurt beraten und besucht. Deren Gastfreundschaft und Esskultur, die ich bei Hausbesuchen in den Frankfurter Bahnhofshotels, wo die Flüchtlinge untergebracht waren, erleben konnte, bleiben unvergessen. Das selbstgemachte Honigbier hatte ich allerdings bei einem Kindergeburtstag einmal unterschätzt. Kommen Sie doch mal vorbei am 20. September im Ev. Gemeindehaus Groß-Gerau-Süd. „Fluchtursachen kompakt – Eritrea“ heißt die Veranstaltung um 19 Uhr, und am 26. September steht Somalia im Fokus, gleicher Ort, gleiche Zeit. Die Interkulturellen Wochen Groß-Gerau werden auch 2018 kulturell, gesellschaftspolitisch, interreligiös und auch in Punkto Information, Unterhaltung, Kino und Musik ein Highlight, das man so vielgestaltig nur in Frankfurt oder Mannheim erwarten würde. Schauen Sie ins Programm, auf die Internetseiten der Stadt Groß-Gerau oder des Evangelischen Dekanats oder blättern Sie im Programmheft, es liegt u.a. im Stadtbüro in Groß-Gerau aus. Am 15. September um 11 Uhr eröffnen wir sie, die Interkulturellen Wochen Groß-Gerau 2018 am Sandböhl, wie immer, mit einem Vorgeschmack auf das, was kommt: mit Bühne, Musik, Tanz, Gesprächen und lecker Essen. Und da wird man sie schon spüren, die Stimmung – dolce vita. Pfarrer Wolfgang Prawitz vom Ev. Dekanat und Birgit Ruland vom Integrationsbüro der Stadt und mit ihnen viele Veranstalter/Innen und Teams freuen sich auf Sie. Und ich auch! Und im Programm kommt das „hoffentlich dolce vita für alle!“ Gott sei Dank nicht zu kurz!


Heidi Förster
Öffentlichkeitsarbeit beim Ev. Dekanat Groß-Gerau-Rüsselsheim;
Tel.: 06142/9136723

www.interkulturellewoche.de

 

Integration, einmal anders erzählt

Von Edelgard Rietz

Zwei Brüder meiner Großmutter sind nach dem 1. Weltkrieg nach Amerika ausgewandert. Vorfahren meines Mannes sind nach Südschweden gegangen; 1710 der erste Rietz. Er war Gärtner, und in Südschweden wurde zu der Zeit ein großer Park angelegt. Meine schwedische Freundin erzählt mir, dass die Kirchenbücher in Schweden exzellent geführt sind, und so konnte sie mir eine ganze Liste geben.

Meine drei Geschwister haben Ausländer geheiratet. Wir sind vom Orient bis Skandinavien vernetzt. Meine Schwiegerkinder kommen aus Familien, die auch weltweit unterwegs sind. Von Spanien bis zum Libanon. Von Frankreich bis nach Amerika. Was ich sagen will: Allein meine Familie hat sich gut vermischt, über mehrere Kontinente hinweg. Alle gingen oder kamen aus sehr unterschiedlichen Gründen.
Mein iranischer Schwager kam, um Medizin zu studieren. Mein Belgrader Schwager kam zu seinem Vater nach Düsseldorf. Der Vater war im Krieg als Soldat bei den Engländern und konnte natürlich nicht mehr zurück, als der eiserne Vorhang fiel. Die anderen sind der Liebe wegen gekommen. Alle sind geblieben, alle sind hier zu Hause.
Die kulturellen Unterschiede, die es natürlich gibt – am deutlichsten bei meinem Teheraner Schwager – verstehen wir alle als eine Bereicherung. Das sogenannte „Fremde“ war bald das Vertraute. Seit 50 Jahren kenne ich orientalische Gewürze, die ganze Familie kocht den Reis auf persische Art, und das dänische Smörrebröd meiner Schwägerin aus Kopenhagen lässt keiner stehen. Mein Belgrader Schwager punktet mit Mussaka oder Gibanica. Das Potpourri internationaler Küche ist nicht mehr wegzudenken.
Heute gibt es Schwierigkeiten, die Kommenden zu integrieren. Es ist doch klar, wir müssen sie erst einmal hineinlassen in unsere Gemeinschaft, erst dann kann sie wieder ein Ganzes werden. Sonst gibt es am Rand permanent Störungen. Aber die Regeln menschlichen Zusammenlebens gelten für alle. Und da fehlt oft das Wollen.
Hier nur drei Beispiele. Meine Familie hat sieben Jahre lang einen Jugendlichen aus Guinea betreut. Alle Behördengänge begleitet, Kleidung und Fahrrad besorgt, Möbel, Arbeit, Musik aus der Heimat, jede Woche kam er zum Essen. Als er dann aus der Baracke raus konnte, um ein kleines Apartment zu beziehen, hat er nein gesagt. Ab da war Schluss bei meiner Schwiegertochter, die die Hauptlast getragen hatte. Mamadou wollte lieber zu seinen Kumpels nach Köln. Und gerade am Sonntag erzählte mir eine Freundin, die in Eschborn Sprachunterricht leistet, die Jugendlichen hätten keinen Bock. Sie kommen, hängen rum oder erscheinen erst gar nicht. Eine Freundin, die in Offenbach an der Stelle gearbeitet hat, die die Gelder verteilt, hatte in den letzten Jahren einen Notknopf an ihrem Schreibtisch, und manchmal mussten sie Wachleute zu ihrem Auto begleiten. Sie hat es nicht mehr ausgehalten und den Bettel hingeschmissen. Ohne Mithilfe funktioniert Integration niemals.
Aus meinem Berufsleben könnte ich viele gelungene Lebensgeschichten erzählen. Ich denke da an eine anatolische Familie, die bettelarm war, als sie nach Deutschland kam. Alle vier Kinder haben einen Beruf erlernt, auch die Mädchen. Die Eltern freuen sich, wenn ich auf meinen Radtouren an ihrem Schrebergarten Pause mache und mir von den Kindern erzählen lasse. Die Eltern haben es gewollt und darauf geachtet, dass die Kinder lernen. Weil es noch nicht das große Angebot an Sprachförderung gab, hat der Vater Fibeln besorgt, und die ganze Familie, Vater, Mutter, Kinder haben daraus gelernt, jeden Abend alle gemeinsam. Das wäre doch auch heute eine Idee, so ein familiärer Wettstreit ums Lernen.


Edelgard Rietz
ist Malerin mit Wohnsitz in Groß-Gerau;
edelgard.rietz@gmx.de

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