E. Heinz-Joachim Hill denkt quer

Von Rainer Beutel.

Unternehmerisches Denken und Handeln haben den 1949 in Groß-Gerau geborenen E. Heinz-Joachim Hill von Kindesbeinen an geprägt. Früh erwies sich sein Drang, über den Tellerrand hinauszuschauen, mitzugestalten und durch ein freigeistiges Querdenken Zusammenhänge ressortübergreifend zu erkennen, so dass systemische Veränderungen möglich werden. Das kann Menschen begeistern, beispielsweise WIR-Redakteur Rainer Beutel, dem Hill völlig unprätentiös und zuvorkommend Rede und Antwort stand.

Herr Hill, Sie pendeln nicht nur zwischen Ihren beiden Büros in Groß-Gerau und Düsseldorf, sondern sind beruflich an vielen Orten in Deutschland und anderen Ländern tätig. Wenn es nichts Geschäftliches ist: Was zieht Sie eigentlich immer wieder nach Groß-Gerau zurück?

E. Heinz-Joachim Hill: In all den Jahren, in denen ich auf Vorstands- und Geschäftsführungspositionen für internationale Konzerne und Banken gearbeitet habe, ist Groß-Gerau für mich der Rückzugsort gewesen. Es scheint so, als bräuchte ich die Ambivalenz, als ob dieser Gegensatz etwas in Gang setzte. Auch wenn ich altersbedingt in den letzten Jahren einiges zurückgefahren habe, ziehe ich viel Energie und Anregung aus meinen Aktivitäten in Düsseldorf, Frankfurt, Berlin und anderen Orten. Um dann auch schnell wieder zurück zu kommen zu meiner Familie, zu meinen Freunden. Beides bedeutet mir sehr viel.

Ihr vielfältiges berufliches Wirken führt zu einem engen Austausch mit hochrangigen Persönlichkeiten. Was ist anders oder zumindest ähnlich, wenn Sie mit Entscheidungsträgern in Berlin oder in der Kreisstadt bzw. dem Gerauer Umland reden?

E. Heinz-Joachim Hill: Ich versuche, positiv auf Menschen zuzugehen, ganz gleich, mit wem ich spreche. Wenn ich selbst mich in einer Begegnung wohl fühle, dann hat das Ausstrahlung auf mein Gegenüber. Und da macht es auch keinen Unterschied, ob das Bundespolitiker oder hochrangige Persönlichkeiten sind oder jemand mit einem anderen Hintergrund. Wichtig für eine Begegnung auf Augenhöhe ist, dass es spannende, gemeinsame Themen gibt und der Informationsaustausch für beide Seiten ein Gewinn ist.

Wenn Sie aus Ihren reichhaltigen Erfahrungen im Umgang mit hochrangigen Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Banken und Politik einen Rat geben sollten, was auf regionaler oder gar lokaler Ebene dazu beitragen könnte, dass Kompromisse zielstrebiger erreicht und Visionen allgemeinverträglicher realisiert werden können – was wäre das?

E. Heinz-Joachim Hill: Ich versuche, auch in Politikern und Wirtschaftsgrößen weniger die Funktion, sondern in erster Linie den Menschen und sein Tun zu sehen – mit all seinen Vorzügen und Nachteilen. Meine Erfahrung ist: Auf der menschlichen Seite sind die „Großen“ genauso umgänglich wie wir alle. Allerdings ist es schwierig, an das Ohr der „Obrigkeit“ zu gelangen. Hier muss auch ich erst einmal all die vorgelagerten Wälle erklimmen. Es gibt dort durchaus die Tendenz, sich abzuschirmen. Ob bewusst oder unbewusst, das will ich mal offen lassen.

Sie haben „ganz unten“ angefangen, als junger Mensch schwierige Zeiten erlebt und überwunden. Schule, sagen Sie, war auch langweilig, weil Sie ein Quer- und Andersdenker sind. Was genau meinen Sie damit?

E. Heinz-Joachim Hill: Ich denke einerseits sehr komplex und an anderer Stelle wieder extrem einfach. Die einen können damit umgehen oder sind genauso „verrückt“ wie ich, andere haben ihre Schwierigkeiten. In jedem Fall bin ich damit sehr individuell. Haben Sie schon einmal ein Fahrzeug mit viereckigen Rädern gesehen? Wohl kaum. Und doch sind viereckige Räder das Optimum für die Standfestigkeit stehender Fahrzeuge. Was ich damit sagen will: Man muss sich von überlieferten Bildern, Mustern lösen können, um komplett frei zu denken. Meine Karriere gründete auf genau auf dieser Fähigkeit. Das Managementboard einer der größten US-amerikanischen Technologiekonzerne, Tenneco, konnte ich in der Automobilzuliefersparte mit dem Konzept für „viereckige“ Räder überzeugen. Ich wurde von da an im Konzern als eines der weltweit ausgesuchten Führungskräfte-Nachwuchstalente gefördert. In Deutschland bin ich mit meiner Denkweise immer wieder angeeckt. Aber sie macht mich unabhängig und nicht so leicht austauschbar.

Sind eine rasche Auffassungsgabe und freigeistiges Denken erlernbar? Was kann ein junger Mensch tun, um sich dies anzueignen?

E. Heinz-Joachim Hill: Neben Veranlagung kann man Effekte bis zu einem gewissen Grad durch kognitives und neuronales Training erzielen. Aber bei einer schnellen Auffassungsgabe kommen viele Faktoren zusammen: Neben dem Zusammenspiel der verschiedenen Gedächtnisarten, die wir aktivieren können, oder Logik spielen vor allem intuitive Prozesse eine wichtige Rolle. Im Berufsleben braucht es allerdings auch eine große Portion Glück, dass Förderer die besonderen Qualitäten erkennen und weitsichtig einzusetzen wissen. Was aber jeder tun kann: neugierig und offen für Unbekanntes sein, Rollen tauschen, andere Perspektiven einnehmen.

Bisweilen scheitert politisches, wirtschaftliches oder soziales Handeln an Strukturen, die über Jahre oder Jahrzehnte festgefahren sind. Das Erkennen dieser starren Bedingungen führt noch nicht zum Erfolg. Wie gehen Sie vor?

E. Heinz-Joachim Hill: Ein Begriff beziehungsweise der Inhalt dahinter fasziniert mich gerade, die lateinische-englisch Wortbildung Disruption. Sie bezeichnet Zerstörung, Unordnung, Brüche. Disruption kann sehr radikal sein, aber heilsam. Bei den wenigsten Organisationen gibt es allerdings eine entsprechende Kultur, die das zulassen würde. In der Regel können radikale Veränderungen nur von außen kommen. Ich habe fast zwei Jahrzehnte im forensischen Audit gearbeitet, Schwachstellen in Unternehmen und im Management identifiziert, Empfehlungen abgegeben. Ich habe nicht die Illusion, dass ein solches Vorgehen im politischen Raum oder bei gesellschaftlichen Fragen umsetzbar wäre. Nötig hätten wir’s an vielen Stellen.

Was sind außer eigenen charakterlichen Eigenschaften die Voraussetzungen dafür, mein Gegenüber überhaupt davon überzeugen zu können, ein Projekt nicht nach „Schema F“ abzuwickeln?

E. Heinz-Joachim Hill: Unsere Gesellschaft ist derzeit stark geprägt vom Postulat der Optimierung, wobei man den Eindruck gewinnt, dass dem Prozess als solchem eine höhere Bedeutung zukommt als dem Gegenstand, um den es geht. Indem wir dem Optimierungszeitgeist nachlaufen, übersehen wir die Lösungen rechts und links des Mainstreams. Gegen den Trend schwimmen zu wollen – und zu können –, ist weniger eine Frage des Charakters als der Persönlichkeit. Es ist bequem, bekannte Schemata zu perpetuieren. Man schielt dabei mehr auf den Applaus anderer, als sich einer Sache um ihrer selbst willen anzunehmen und ein möglichst bestes Ergebnis aus sich selbst heraus zu entwickeln. Wir müssen vermitteln, dass es für alles Variationen, viele Wege und verschiedene Perspektiven gibt. Und wir sollten Mut machen, Denkstrukturen zu verändern, Unsicherheiten zuzulassen. Wir müssen es ertragen, dass jemand möglicherweise auch mal an der falschen Kreuzung abbiegt, und dann den Weg zurück zeigen. Vielleicht lernen wir daraus sogar etwas Wichtiges. Der Stellenwert des Ergebnisses wird dann auch viel höher, die Zufriedenheit steigt, ebenso die Lust, das nächste Projekt, die nächste Aufgabe anzugehen.

Und wenn man dann erfolgreich ist, wie gelingt es letztlich, doch bodenständig zu bleiben?

E. Heinz-Joachim Hill: Ich hatte das Glück, dass die Boards etwa von Tenneco USA/GB oder skandinavischer Konzerne und Banken, wie der schwedischen SEB/Wallenberg Gruppe und andere internationale Konzerne meine zugegeben sehr speziellen Qualitäten erkannten und einzusetzen wussten. Als „Spinner“, als Quer- und Andersdenker braucht man aber auch dringend emotional ein gutes Gegengewicht. Das hatte ich und bin dankbar dafür. Meine Bodenständigkeit verdanke ich meiner Frau, meiner Familie und meinen klugen Freunden hier in Groß-Gerau.

 

Zur Person: E. Heinz-Joachim Hill. Beruflicher Einstieg 1977 beim Technologiekonzern Tenneco. Zehn Jahre in den USA, Großbritannien und weiteren europäischen Ländern und anschließend beim internationalen Automotive-Konzern Uni-Cardan Service auf Geschäftsführungsebene in Positionen des Chief Financial Officer (CFO, kaufmännischer Geschäftsführer) und Chief Human Resources Officer (CHRO, Personalleiter) tätig. 1988 Eintritt in die Nokia/Fujitsu-Gruppe; tätig in mehreren Captive Finance Gesellschaften auf Geschäftsführungs- und Vorstandspositionen. Aus diesen Unternehmen die CM Finance GmbH und die CM Leasing GmbH entwickelt, dort heute Chief Executive Officer (CEO, Leiter der Finanzabteilung), Geschäftsleiter (nach Kreditwesengesetz) und persönlich haftender Gesellschafter. Zudem Vorstandsvorsitzender der CM Deutsche Rating AG; ferner wirtschaftlicher und politischer Gesprächspartner auf nationaler und internationaler Bühne bis hin zu internationalen Regierungsstellen.

Foto von Susanne Theisen-Canibol

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