Ein kämpferischer Bürgermeister
Von W. Christian Schmitt.
Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein, den Menschen hinter seinem Amt kennenzulernen. Diesmal hat uns Erhard Walther, Bürgermeister der Kreisstadt Groß-Gerau, eingeladen, Gast zu sein im Restaurant „Zum Adler“.
Mit welcher Frage könnte ich unser Gespräch eröffnen? Herr Bürgermeister, sage ich, vielleicht sollten wir mit jener Frage beginnen, die nicht nur an Stammtischen des Öfteren zu hören sein dürfte: „Was macht ein/unser Bürgermeister eigentlich den lieben langen Tag?“ War dieser Auftakt zu salopp? Erhard Walther ist überrascht und antwortet vorsichtig, seine Worte genau abwägend. Er listet all seine Arbeitsbereiche auf und sagt am Schluss noch: „…und Bürgergespräche führen“.
Ich habe die Amtseinführung in der Stadthalle noch vor Augen, ganz besonders die etwas allzu euphorisch anmutende Gratulation und Umarmung durch den SPD-Fraktionsvorsitzenden Jürgen Martin und dessen Ankündigung, man werde dem neuen Stadtoberhaupt „200 Tage“ Eingewöhnungszeit einräumen. Walther sagt, „der Alltag hat mir noch nicht einmal 100 Tage Zeit gelassen“ und er sei im neuen Amt „angekommen“. Außerdem ergänzt er: „Martin und ich sind in derselben Straße aufgewachsen“. Das reicht als Erklärung.
Nach Helmut Kinkel und Stefan Sauer ist Walther der dritte Bürgermeister, den das WIR-Magazin bei seiner Amtsausführung begleiten kann. Was hat Erhard Walther auf seiner Agenda, seiner Prioritätenliste? Wir sind mitten im Dialog, bei dem ich bei Walthers Ausführungen hellwach sein muss, damit ich bei Atempausen die Chance habe, einzuhaken. O-Ton Walther: „Ich habe von meinem Freund und Amtsvorgänger Stefan Sauer bei meiner Amtseinführung ein Staffelholz erhalten, auf dem die Aufschrift zu lesen ist: „…auf die Umsetzung kommt es an“. Dazu Walther: „Ich habe mich auf den Weg gemacht.“ Denn längst nicht alles, was im 2009 auf den Weg gebrachten integrierten Stadtentwicklungskonzept „GG 2020“ festgeschrieben ist, wurde von Sauer, der heute die Interessen von Kreisstadt wie Kreis Groß-Gerau im Bundestag vertritt, auch bis zur Ergebnisreife gebracht. Daran ist weiter zu arbeiten. Der amtierende Bürgermeister: „Es gilt, der Stadt Groß-Gerau Entwicklungspotentiale zu schaffen“. Mehr noch: Er habe sich als Ziel gesetzt, das vorliegende Konzept fortzuschreiben, für die Kreisstadt ein „Entwicklungskonzept 2030“ zu erarbeiten. Details bitte. Antwort: „Nicht alles passiert in den ersten 100 Tagen“.
Okay, kommen wir zu dem, was Journalisten unter „Baustellen“ verstehen. Wie beispielsweise folgende Themen: Umbaupläne der Diakonie, WLan für die Groß-Gerauer Innenstadt, Tierpark Fasanerie, zunehmender LKW-Verkehr im Kreisstadt-Gebiet, die Logistik-Hallen auf dem ehemaligen Zuckerfabrikgelände oder der Fluglärm. Zunächst, sagt Walther, sei es wichtig gewesen, weitere Erzieherinnen für die kommunalen Kindertagesstätten zu gewinnen. Da habe er nicht gezögert, „sondern das Thema positiv angepackt“, sodass der Fehlbestand von 25 auf 11,8 Erzieherinnen reduziert werden konnte. Überhaupt laute seine Devise: „Wertschätzung vermitteln, Dinge attraktiv und zukunftsfest zu gestalten.“
Walther vermittelt den Eindruck, dass er Probleme anpacken und auch lösen kann. Was die Logistik-Hallen angehe, so könne man darüber „begeistert sein oder auch nicht“. Wesentlich sei, dass dieses gewaltige Bauwerk durch den Bebauungsplan abgebildet werden musste und dass z.B. die hohe Schallschutzwand durchgesetzt wurde und damit für die Anlieger der Fabrikstraße auch eine Wertsteigerung erzielt werden konnte. Und wenn Ende 2018/Anfang 2019 auf dem ehemaligen Südzuckergelände der Vollbetrieb beginne, werde man „einfordern, was städtebaulich vertraglich vereinbart“ worden sei.
Ist Groß-Gerau ein Anziehungspunkt für Lastkraftwagen, frage ich noch. Bürgermeister Walther: „Ihre Sichtweise ist eine erstaunlich falsche.“ Und er fügt an, als wolle er das Gesagte noch untermauern: „Ich bin ein äußerst kämpferischer Bürgermeister – auch was die Missachtung von Halte- und Einfahrtsverboten angeht.“ So habe er in seiner Funktion als oberster Polizeichef vor Ort nach Dienstschluss mehrere Stunden investiert, um LKW-Fahrer aus Parkverbotszonen und Ackerflächen zu entfernen.
Dann will ich aus seinem Munde noch hören, was sich bei dem Menschen Erhard Walther verändert hat, seit er in Amt und Würden ist. Ist ihm die Lebenslustigkeit abhandengekommen, die man von ihm kannte, als er noch in Büttelborn als Fastnachter unterwegs war? Ist er vorsichtiger bei der Wortwahl geworden? Walther: „Ein Bürgermeister muss die Bereitschaft haben, zuzuhören und stets gelassen bleiben. Eine schnelle Antwort ist nicht nimmer eine gute Antwort. Ich bin ein offener Mensch geblieben und lache auch weiterhin gern.“
Mit zunehmender Gesprächsdauer wirkt Bürgermeister Walther lockerer, entspannter. So, als sei dieses WIR-Tischgespräch doch wesentlich unkomplizierter verlaufen, als möglicherweise befürchtet. Das mag stimmen. Ich sehe aber auch, dass wir bei unserem zeitlich begrenzten Termin manches Thema nur streifen können. Zum Beispiel „Lebensqualität in der Kreisstadt“, „Groß-Geraus grüner Gürtel“, „Bürgerbeteiligung“, „Problemgruppen innerhalb unserer Gesellschaft“, „Die Kreisstadt und ihre gesellschaftlichen Strukturen im Jahr 2030“ etc.
Am Schluss unserer Zusammenkunft biete ich ihm an, was das WIR-Magazin allen Entscheidungsträgern anzubieten hat: „Schreiben Sie unseren Lesern, Ihren Bürgern in unserem Magazin, was Sie in dieser Stadt verändern wollen. Im O-Ton. Wir halten Ihnen dafür immer eine Ecke frei“.
Zur Person: Erhard Walther, geboren 1957 in Darmstadt, Wohnort: Groß-Gerau, verh. 1 Sohn, Abitur am Ludwig-Georgs-Gymnasium, Darmstadt, Studium der Rechtswissenschaft, Zulassung zum Rechtsanwalt; Wehrdienst: Soldat auf Zeit für zwei Jahre bei Marine/Sanitätsstaffel. Berufl. Tätigkeiten u.a.: bei der Kurverwaltung Wenningstedt-Braderup/Sylt, bei der Kreissparkasse Groß-Gerau (Kreditüberwachung und Rechtsabteilung), 1991–2018 selbständiger Rechtsanwalt in Groß-Gerau; seit 2018 Bürgermeister der Kreisstadt Groß-Gerau. Hobbies: Motorradfahren; Segeln, Fastnacht.