Ein Kribbeln in den Beinen
Von W. Christian Schmitt.
Mit dem Format „Damals/heute“ wollen wir für unsere Leser das journalistische Angebot des WIR-Magazins erweitern. Dabei geht es um Selbst-Erlebtes vor 50 und mehr Jahren und um das, was sich bis heute verändert hat. Diesmal erinnert sich WIR-Herausgeber W. Christian Schmitt an die Zeit, als er im Teenageralter die Tanzstunde besuchte – und wie er unlängst noch einmal an einem Sonntagnachmittag Gast im Büttelborner Tanzstudio Stoll sein durfte.
War es tatsächlich die „gute, alte Zeit“, an die man sich mit zunehmendem Alter des Öfteren erinnert? Als – nach der Konfirmation – der Besuch einer Tanzschule der nächste wichtige „Schritt ins Leben“ schien. Als mit 15, 16 eine feste Freundin noch kein Thema war. Was veranlasste uns damals, eine Tanzschule zu besuchen? In meinem Tagebuch zumindest ist auf diese Frage keine Antwort zu finden. Zusammen mit einem Schulfreund belegte ich einen Anfängerkurs bei der Darmstädter Tanzschule Stroh. Einmal die Woche hieß es: Konfirmanden-Anzug anziehen und mit weißem Hemd, ordentlich gebundener Krawatte sowie geputzten schwarzen Schuhen antreten, um u.a. zu lernen, was es heißt, eine Tanzpartnerin korrekt übers Parkett zu führen. Aber es waren nicht nur die Tanzschritte, die geübt wurden, sondern auch, wie man sich gegenüber dem anderen Geschlecht zu verhalten habe. Hier auf der Tanzfläche, wie auch im öffentlichen Raum.
Schnell geübt waren die Foxtrott-Schritte, aber auch Twist, Rumba, Walzer, Cha Cha und sogar Rock´n Roll gehörten damals mit zum Lern-Programm. In der Zeitschrift „Bravo“, so erinnere ich mich, waren die jeweiligen Tanzschritte zudem fürs Üben zuhause abgebildet. Und heute? Wenn ich bei Stoll am Rande der Tanzfläche stehe und beobachten kann, was die Tanzschüler zwischen Boogie-Woogie und Schmusesongs alles anzubieten haben, dann fallen durchaus Unterschiede auf. Schon beim Äußeren, bei der Kleidung. Freizeitdress ist angesagt, alles scheint erlaubt. Ob T-Shirt, kurze Hose, Rock, Kleid, Sakko mit oder ohne Turnschuhe – wichtig ist, man trägt, was einem gefällt.
Im Stoll-Prospekt finde ich auf die Frage „Warum tanzen?“ eine Vielzahl von Antworten: „Tanzen ist Allgemeinbildung“, „Tanzen hilft bei Demenz (auch präventiv)“ etc. Neben den Anfängerkursen gibt es heute Workshops, Angebote für Rentner (60+) und sogar Hochzeitskurse. Gab es das zu unserer Zeit auch schon, frage ich mich. Oder hat man darauf nicht geachtet. Die sicher nicht unwichtige Frage indes war damals (und wohl auch heute noch): Wer darf, soll, muss beim Tanz die Führung übernehmen? In Billy Wilders Film „Manche mögen´s heiß“ (u.a. mit Jack Lemmon, Tony Curtis und Marilyn Monroe) gibt es übrigens eine Szene, in der es genau darum geht.
Dann frage ich Sascha Stoll noch, ob er aus seiner Erfahrung etwas sagen könne, ob aus Tanzpaaren gelegentlich gar Paare fürs richtige Leben geworden sind. Der Tanzlehrer bejaht dies so: „Durch das Tanzen habe ich meine Partnerin kennengelernt“. Bevor ich mich aus meinen Erinnerungen sowie dem Tanzstudio Stoll verabschiede, gestehe ich mir ein: Ein Kribbeln in den Beinen ist geblieben.
Wer tanzt, lernt neue Leute kennen
Als ich vor fast 60 Jahren die Tanzstunde besuchte (Foto), wurde – wenn ich mich recht erinnere – Wert darauf gelegt zu vermitteln, wie man sich gegenüber seinem Tanzpartner auch außerhalb der Tanzfläche zu verhalten habe. Das reichte soweit, dass ich meine Tanzpartnerin damals nach der Tanzstunde wie selbstverständlich bis vor deren Wohnung zu begleiten hatte. Wie dies und vieles andere heute gehandhabt wird, konnten wir Tanzlehrer Sascha Stoll bei einem Besuch in seiner Tanzschule fragen.
Herr Stoll, an was denken Sie, wenn Sie das Wort „Twist“ hören?
Sascha Stoll: Twist ist ein toller Tanz aus den 60er Jahren. Musikalisch denke ich da als erstes an Chubby Checker. Obwohl ich erst 1989 als Kind mit dem Tanzen angefangen habe, gehört der Twist auch zu meinen Kindheitserinnerungen, da wir ihn damals im Training getanzt haben. In einigen unserer Spezialkurse nutzen wir den Twist gerne zum Aufwärmen.
Was alles tanzt man heute nicht mehr – und warum eigentlich?
Sascha Stoll: Das ist eine schwierige Frage. Das liegt jedoch daran, dass mittlerweile wieder zahlreiche vergessen geglaubte Tänze aktueller sind denn je. Wir unterrichten zum Beispiel Rock‘n‘Roll und Boogie Woogie und selbst Charleston taucht wieder auf.
Was lernen Teilnehmer eines Tanzkurses heute darüber hinaus noch alles bei Ihnen?
Sascha Stoll: Das „Drumherum“ ist zwar etwas weniger geworden, jedoch empfinde ich es enorm wichtig, bestimmte Verhaltensweisen zu vermitteln. Wir nennen das „Tanzknigge“. So lernen unsere Tanzschüler im Jugendtanzkurs zum Beispiel, dass die Dame nach dem Tanz ausgedreht wird und man die Tanzfläche immer gemeinsam betritt und verlässt.
Welche Möglichkeiten bietet Tanzen, dass Menschen, über Grenzen und Kulturen hinaus – gewissermaßen Völker verbindend – zueinander finden können?
Sascha Stoll: Natürlich lernt man durch das Tanzen immer neue Menschen kennen. Die Standard- und Lateintänze sind jedoch kulturell sehr stark im europäischen und angloamerikanischen Raum verankert. Bei Tänzen wie Salsa, Kizomba oder Bachata sieht das schon wieder ganz anders aus. Das spiegelt sich dann auch in unseren jeweiligen Spezialkursen wieder. Tanz und Musik sind jedenfalls universelle Sprachen und werden in allen Kulturen praktiziert. Ich selbst habe schon mit vielen Menschen getanzt, deren Sprache ich nicht beherrschte.
Beschreiben Sie doch bitte einmal, was Tanzen für Sie persönlich bedeutet.
Sascha Stoll: Extrem viel. Durch das Tanzen habe ich meine Partnerin sowie den Großteil meines Freundeskreises kennengelernt. Weiterhin konnte ich mein Hobby zum Beruf machen, was mich natürlich auch sehr glücklich macht.
Was würden Sie jemanden empfehlen, der von sich sagt, er könne gar nicht tanzen?
Sascha Stoll: Demjenigen würde ich sagen: Komm zu uns! Wir garantieren dir, dass du bereits nach der ersten Stunde tanzen kannst und sogar noch Spaß dabei hast. Wer tanzt, lernt neue Leute kennen, betreibt Sport mit seinem Partner, erweitert seine Allgemeinbildung und macht sogar präventiv etwas gegen Demenz. Das sind wohl genug Gründe, mal einen Tanzkurs zu besuchen.
Gesprächspartner: W. Christian Schmitt
Zur Person: Sascha Stoll ist 1982 in Groß-Gerau geboren und begann bereits im Alter von sieben Jahren mit dem Tanzen; Jahre später dann Leistungssport im Lateinformationstanz bis hin zur Regionalliga. 2005 Gründung Tanzstudio Stoll. 2010 bis 2013 Trainer einer eigenen Turniermannschaft; festes Tanzstudio in Büttelborn seit 2016. Weitere Info: 2018 haben Roman Lochmann und Katja Kalugina in Stolls Tanzstudio für die RTL-Show „Let‘s dance“ trainiert.