Eine Frau im politischen Wartestand
Von W. Christian Schmitt.
Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein. Diesmal hat uns Ute Wiegand-Fleischhacker, die noch vor kurzem für das Amt der Kreisstadt-Bürgermeisterin kandidierte, in ihr Groß-Gerauer Domizil Auf Esch eingeladen.
Wie geht es, was macht eigentlich Ute Wiegand-Fleischhacker, die kurzfristig und Erfolg versprechend angetreten war, für frischen Wind in der Groß-Gerauer Kommunalpolitik zu sorgen? So sind wir in den vergangenen Wochen immer mal wieder gefragt worden – und hatten keine Antwort parat. Das wollten wir ändern (dazu sind Journalisten schließlich da) und besuchten jene Frau, die seit 39 Jahren „mit ganzem Herzen“ Kreisstadt-Bürgerin ist, wie in ihrer Wahlbroschüre zu lesen war. Der wir aber in den 18 Jahren, die das WIR-Magazin besteht, noch bei keiner Veranstaltung vor Ort (die Wahlkampf-Auftritte einmal außen vor gelassen) begegnet sind. Jetzt sitzen wir ihr gegenüber. Sie hat uns zum 2. Frühstück eingeladen. Der Tisch ist reichlich gedeckt, der Kaffee duftet, Ute Wiegand-Fleischhacker ist bestens gelaunt und weicht (fast) keiner Frage aus. Wo waren Sie all die Jahre, bevor Sie die politische Bühne betraten, frage ich. Ich war, sagt sie, „bei sehr vielen gewerkschaftlichen Veranstaltungen, im schulischen wie Personalrats-Bereich und im Ehrenamt unterwegs“. Wir waren also an sehr unterschiedlichen Orten aktiv, ergänze ich, ehe wir uns tagesaktuellen Themen zuwenden wollen. Z.B. der Asyl-Praxis, der Politikverdrossenheit, dem offenbar wachsenden Bürger-Unmut, dem Zustand der Parteien, insbesondere der SPD, in der sie seit vielen Jahren Mitglied ist.
Ich sitze einer sympathischen, engagierten wie qualifizierten Frau gegenüber, Mutter von einer Tochter und zwei Söhnen und auch schon Oma. Die ausgebildete Finanzwirtin, die im Groß-Gerauer Finanzamt, in der Frankfurter Oberfinanzdirektion tätig war sowie zuletzt auf ihre Tätigkeit als Leiterin der Darmstädter Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge verweisen kann, spricht glaubhaft davon, dass es ihr bei allem, was sie tut, jeweils „um die Menschen“ geht. Sie sucht den Kontakt, das Gespräch, kann Zuhören, erfährt vor Ort von all jenen Problemen, für die man in Wiesbaden oder Berlin wochen-, monatelang über vermeintliche (also oftmals wohl theoretische) Lösungen nachdenkt, diskutiert, gar ringt – und wieder verwirft.
Eigentlich, denke ich, ein patenter Typ Frau. Eine Mitbürgerin zum Anfassen, eine, von der diese Gesellschaft, in der wir leben, viel, viel mehr bräuchte. „Groß-Gerau kann mehr“ war das Motto, unter dem ihr Bürgermeister-Wahlkampf lief. Bei zahlreichen Hausbesuchen, also dem unmittelbaren Kontakt mit jenen Mitbürgern, für die Kommunalpolitiker im Grunde antreten sollten, konnte sie in der Tat erfahren, was den Wählern unter den Nägeln brennt. Auch, warum sie den einstigen Volksparteien zusehends weniger Vertrauen schenken. Sie ist eine Frau, SPD-Mitglied, die Politik zwischen Theorie und Praxis erlebt. Sie muss nicht lange überlegen, um auf meine Frage, wie unsere Demokratie (wieder) gestärkt werden kann, zu antworten: Zuhören, aufeinander zugehen, Flagge zeigen, diskutieren, was können wir gemeinsam ändern – und entscheiden. Spätestens an dieser Stelle unseres Tischgesprächs kommen wir an der Frage nicht (mehr) vorbei: Wird, muss sich Ute Wiegand-Fleischhacker nicht alsbald in die kreisstädtische Kommunalpolitik einbringen? In welcher Form auch immer. Und sie hätte dafür durchaus auch mehr Zeit. Denn im gewerkschaftlichen Bereich „bin ich nicht mehr tätig“, sagt sie. Und auch die Zukunft der Darmstädter Erstaufnahme-Einrichtung ist – nach Zeitungsberichten – keineswegs gesichert. Groß-Gerau kann mehr. An ihrer Gestik ist erkennbar, dass sie eine wie auch immer angelegte Aufgabe hier reizen könnte. „Ja, ich setze mich gerne für Menschen ein“, sagt sie lächelnd, „gestalten, nicht nur verwalten“, sei etwas, was ihr im Blut liege. Und es herrscht in der Tat kein Mangel an Aufgaben, die ein Gestalten-wollen und –können erfordern. Aber Ute Wiegand-Fleischhacker ist (bislang) ohne kommunalpolitische Funktion. Auch vielen, die bei der Bürgermeisterwahl für sie gestimmt haben, wird dies nun langsam bewusst. Wir sprechen weiter über Politik. Über politisch korrektes Verhalten. Sagen Politiker noch das, was sie denken? Ute Weigand-Fleischhacker spricht Klartext: „Politik ist für den Menschen da. Politik sollte die Realität nicht aus den Augen verlieren“. Und sie sollte „nicht etwas versprechen, was nicht realisierbar ist“. Demokratie, Minderheiten-Voten, Meinungsvielfalt, Ende der Volksparteien, Populismus. Die Liste der Themen sprengt ganz offensichtlich unseren Zeitrahmen zwischen Marmelade-Brötchen und Vier-Minuten-Ei. Wir nähern uns dem Ende des sehr angenehmen Meinungsaustauschs. „Ich denke positiv“, sagt sie beim Verabschieden. Und ich denke an einen Spruch, der dem Dalai Lama zugeschrieben wird: „Nicht zu bekommen, was man will, ist manchmal ein großer Glücksfall“.
Zur Person: Ute Wiegand-Fleischhacker, wohnhaft in Groß-Gerau, geboren 1961 in Schenklengsfeld. Seit 1982 verheiratet, drei Kinder. Nach Ausbildung im mittleren Dienst der Steuerverwaltung beim Finanzamt Bad Hersfeld, Abschluss Finanzwirtin, Versetzung an das Finanzamt Groß-Gerau. 2009 Aufstieg in den gehobenen Dienst. Seit Anfang 2016 Abordnung in die Regierungspräsidien Darmstadt bzw. Gießen mit Einsatz in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung. Derzeit Leiterin des Standorts Darmstadt. 24 Jahre Erfahrung im Personalrat, davon viele Jahre Vorsitzende, des Finanzamts Groß-Gerau und Bezirkspersonalrat der OFD Frankfurt sowie 15 Jahre Frauenbeauftragte beim Finanzamt Groß-Gerau. 20 Jahre gewerkschaftliche Funktionen im dbb Hessen als Vorsitzende der dbb Frauenvertretung, stv. Landesvorsitzende und Landesvorsitzende und 13 Jahre Mitglied der Geschäftsführung der dbb Bundesfrauenvertretung. Mitglied und Vorsitzende in Elternbeiräten im Kindergarten und Grund- und weiterführenden Schulen. Vorstandsmitglied Europakomitee Hessen e.V. und Vorstandsmitglied der dbb Akademie. Derzeit stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Groß-Gerau und seit Juli 2016 Mitglied des Vorstands im Landesverband der Europa Union.