Feuersbrunst in Groß-Gerau

Von Peter Erfurth.

Quellen: Unterlagen und Kreisblätter aus dem Archiv des Groß-Gerau Stadmuseums

Kreisblatt vom 24. April 1925: Große Holzvorräte, landwirtschaftliche und Holzbearbeitungsmaschinen werden ein Raub der Flammen. Das in der Mainzer Straße gelegene Sägewerk des Herrn Philipp Lämmermann II. wurde heute in den frühen Morgenstunden mit fast sämtlichen Holzvorräten und Maschinen durch eine Feuersbrunst nahezu völlig eingeäschert.

Mächtiges Sturmgeläute, lauter Sirenenschall und lärmendes Straßenbild trieb die Stadtbewohner vor Tagesanbruch zu einer entsetzlichen Brandstelle. In den ausgedehnten Fabrikanwesen des Herrn Ph. Lämmermann 2., der eine Schreinerei, Dreschmaschinen, Lokomotiv- und Automobilwerkstätte nebst Schlosserei dortselbst unterhält, ist kurz nach 4 Uhr ein Feuer ausgebrochen. Infolge der Holzvorräte, Holzhallen und der den Brand fördernden Windstellung nahm das Feuer einen ungeheuren Umfang an. Obwohl die Stadtfeuerwehr Groß-Gerau kurz vor 5 Uhr eintraf, schlugen die verderblichen Flammen immer höher. Mit dem Eintreffen der besser funktionierenden Wehr der Konservenfabrik „Helvetia” und ganz besonders als die denkbar gut modernisierte Wehr des Opelwerkes (Rüsselsheim) heranfuhr, konnte noch in letzter Minute etwa um 6 Uhr die Einäscherung des gesamten Anwesens vermieden werden. An der Hofseite des Wohnhauses loderten zischend die Flammen empor, und nur durch Herausbrechen der Türen- und Fensterbekleidung konnte das Wohnhaus gerettet werden. Der Brandschaden geht in die Hunderttausende. Sämtliche Holzvorräte, landwirtschaftliche Maschinen und die gesamte Schreinereieinrichtung wurden ein Raub der Flammen. Sogar die Wohnungseinrichtung des Sohnes ist fast gänzlich unbrauchbar geworden. Zwei Wagen der der Konservenfabrik „Helvetia”, die hoch mit Holzvorräten beladen waren, sind kaum noch wiederherstellungsfähig. Bei der Löschung des Feuerherds haben sich vier wackere Helfer Brandwunden zugezogen, die sofort an der Unglücksstelle von Sanitätsmannschaften verbunden werden konnten. Nur eine Halle, am südlichen Ende des Fabrikgeländes ist noch einigermaßen erhalten worden. Nach den Aussagen eines der Inhaber kann der Schaden durch Versicherung nur teilweise gedeckt werden. Es erscheint deshalb sehr fraglich, ob die niedergebrannten Gebäude und Hallen wieder aufgebaut werden können. Bereits im Jahre 1898 brach dortselbst ein ähnlicher ausgedehnter Brand aus. In den Mittagsstunden steigen immer noch dicke Rauchschwaden zum Himmel und verleihen dem Trümmerfeld ein schauerliches Aussehen.

Allgemein wurde lebhaft bedauert, daß die Wehr der Stadt Groß-Gerau versagte. Nicht als ob die Mannschaften zu wünschen übrig gelassen hätten. Im Gegenteil! Unsere Feuerwehrleute hielten sich sehr wacker. Aber die Feuerlöschgeräte, insbesondere die Schäuche sind völlig abgenutzt und undicht. Wenn das Wohnhaus und eine nach Wallerstädten gelegene Halle vor dem durch den herrschenden Wind begünstigten wütenden Element gerettet wurde, so ist nur der glänzenden Leistungsfähigkeit der Opelichen Motorspritze zu danken.

Kreisblatt vom 25.April 1925: Bei der Feuersbrunst im Sägewerk Philipp Lämmermann, über die wir gestern schon ausführlich berichteten, konnte die Groß-Gerauer Feuerwehr, Mannschaften und auch das vorhandene Material ihre Leistungfähigkeit gut beweisen. Zu leicht ist man versucht, die Tätigkeit angesichts der mitwirkenden Motorspritzen zu unterschätzen. Wie wir schon gestern die wackeren Feuerwehrleute anerkennend erwähnen durften, so sei auch hier nochmals festgestellt, daß unsere Wehr bei der Niederkämpfung des Feuers hervorragenden Anteil hat. Seitens des Herrn Bürgermeisters wird uns noch mitgeteilt, daß unsere Feuerwehr sich 1/2 Stunde bevor die Motorspritze der „Helvetia” und die der Opelwerke eingriff, das bereits angebrannte Wohnhaus und die dicht bei den brennenden Gebäuden stehende offene Halle abgelöscht und den Brand lokalisiert hatte. Weder die Opel- noch die Helvetiaspritze haben auf beide Gebäude, die bereits außer Gefahr waren, auch nur einen Tropfen Wasser gegeben. Beide Geräte beschränkten sich auf Ablöschen des Brandherdes, wo insbesondere die Opelspritze ganz vorzügliche Dienste leistete. Wenn die neueste unserer 4rädrigen Spritzen im Anfang versagte, so war die Ursache die, daß beim Inbereitschaftsetzen dieser Spritze von unkundiger Hand der Saugkorb abgenommen wurde und dieselbe deshalb Schmutz mit einzog. Nach Beseitigung der Störung arbeitete die Spritze anstandslos. Bezüglich des Schlauchmaterials sei erwähnt, daß bei der Übung am 19. April ds. Js. sämtliche Schläuche unter Druck propiert und die schadhaften durchschnitten und beseitigt wurden. Daß bei den Löscharbeiten wieder einzelne defekt werden, ist eine bekannte Erscheinung, die man auch anderwärts beobachten kann.

Kreisblatt vom 30.April 1925 (Gemeinderatssitzung): Der Herr Bürgermeister teilt in seiner Begründung der Vorlage mit, es seien bereits bei einer kürzlich stattgehabten Feuerwehrübung eine große Anzahl defekter Schläuche ausrangiert worden, infolge des Brandes bei Lämmermann hätten sich die defekten jedoch wiederum vermehrt. Es müsse jetzt unbedingt eine größere Partie Schläuche gekauft werden und der Schlauchbestand unserer Feuerwehr müsse auf 500 Meter gebracht werden. Da die Angelegenheit außerordentlich dringend sei, habe er, Bürgermeister, vorbehaltlich der Genehmigung des Kollegiums bereits 260 Meter Schlauchmaterial a 3,05 Mark, weitere 60 Meter Schläuche und 7 Meter Saugrohr für einen Gesamtbetrag von 992 Mark bestellt.

Herr Engelleitner (Kom.) verlangt Anschaffung einer modernen Spritze. Oder man sollte beim Kreis eine Berufsfeuerwehr für den Kreis beantragen, die jederzeit angefordert werden könne.

Indem der Herr Bürgermeister die Leistungsfähigkeit unserer Feuerwehr beim letzten großen Brand hervorhebt, stellt er fest: bei Vorhandensein einer ordnungsmäßigen Wehr und genügender Schläuche könne sich bei uns kein Brand über seinen Herd ausdehnen. Aus dem Kollegium wird der Wunsch nach einem Spritzenmeister geäußert, der die Löschgeräte in Ordnung halte. Die Bestellung des Bürgermeisters wird hierauf genehmigt.

Kreisblatt vom 12.Mai 1925: Ein kleines Feuer kam gestern Abend gegen 12 Uhr in dem kürzlich von einer Brandkatastrophe heimgesuchten Lämmermannschen Anwesen aus, das indessen von den eigenen Bewohnern bald gelöscht werden konnte. Es handelt sich nur um einige unter den Brandtrümmern liegenden Sägespähne.

 


Peter Erfurth
ist Datenbank-Spezialist des Groß-Gerauer Stadtmuseums;
pedepe@gmx.de

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