Gottsuche – ein Balanceakt?

Von W. Christian Schmitt.

Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen ­Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit ­dabei zu sein, den Menschen hinter seinem Amt kennenzulernen. Diesmal hat uns der Nauheimer Theologe Dr. Wolfgang Fenske (r.) eingeladen.

„Über alles Mögliche mache ich mir Gedanken und veröffentliche sie auf unterschiedlichste Arten und Weisen wissenschaftlich, lyrisch, essayistisch, aphoristisch, predigend, lehrend, fotografierend – live, im Internet und auf Papier. Sie malen zu können – das wäre mein größter Wunsch…“. So hat er über sich selbst geschrieben im „Kulturatlas 2018/19“, der unlängst auch mit Unterstützung des WIR-Magazins erschienen ist. Nun sitzen wir ihm gegenüber in der Nauheimer „Pfarrscheune“ und haben uns verabredet, um etwas ausführlicher über „Gott und die Welt“ zu reden. Wir sind uns schon öfter begegnet, z.B. bei Treffen des Groß-Gerauer Kulturstammtischs. Den Lesern des WIR-Magazins ist er zudem als Autor zahlreicher Essays bekannt (zuletzt in WIR 275 zum Thema „Was ist politisch korrekt?“).

Was hat sich, frage ich ihn, „in und an unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahren verändert?“. „Manche Werte haben sich verschoben“, sagt er, „aber nicht unbedingt zum Negativen hin“. Und Dr. Fenske, der nicht nur Pfarrer im Ehrenamt ist, sondern auch Religionslehrer am Prälat-Diehl-Gymnasium in der Kreisstadt, erzählt aus dem schulischen Alltag, wo „bereits bei Kindern in der 5. Klasse“ die Zahl „der kritischen Fragen“ zugenommen habe. So habe ihm beispielsweise ein Junge klipp und klar gesagt: „Gott gibt es nicht“. Und auf die Frage, warum er dies meine, habe der Junge ihm ein Beispiel genannt: „Ich habe gebetet, dass unsere Fußballmannschaft Sieger wird, aber dann sind wir doch Letzter geworden“. Das sei ungerecht.

Wie antwortet der habilitierte Theologe darauf? Wir sind mitten im Thema, das nicht nur junge Menschen beschäftigt: Was ist Gott? Wo ist Gott? Wie kann ich ihm begegnen? Es gehe hier um Erfahrung und christliche Deutungsmuster. Und: Wir sprechen von Glauben, nicht von Wissen. Dr. Fenske wörtlich: „Glaube ist eine Beziehung zu Gott. Da kommt es nicht darauf an, ob Gott meine Gebete erhört“. Unser Gespräch bewegt sich am Rande eines theologischen Pro-Seminars. Hier der Fragen stellende Laie, dort der um Antworten bemühte Experte. Ich erzähle ihm etwas aus meinem Erfahrungsbereich und beginne mit dem Satz „Ich bin kein Kirchgänger im klassischen Sinne“, zwar getauft, konfirmiert, kirchlich geheiratet – aber ich gehöre eher zu den Zweiflern. Ein Beispiel: Im Gottesdienst, dem ich ab und an beiwohne, kann ich beim Vaterunser die Passage nicht ernsthaft mitsprechen, wo es heißt „…dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden“. Warum? Weil das für mich so klinge, als wolle ich auf Erden einen Gottesstaat gutheißen. Dr. Fenske ist verdutzt, so etwas habe er noch nie gehört. Genauer: dass ein Gottesdienstbesucher die Worte so auslege. Das „Reich Gottes“ sei kein Gottesstaat, versucht er zu beruhigen, zu versachlichen. Gottes Reich komme – nicht ein Reich, das Menschen in Gottes Namen errichteten. Wenn Menschen versuchten, die heile Welt zu gestalten, komme nur Gewalt dabei heraus. Wenn „der liebende Gott“ es errichtet, ließen sich Menschen „staunend für Gottes Welt öffnen“.
Doch da sind wir nicht beieinander auf der Suche nach Antworten „meiner Kirche“. Er sagt es zwar nicht, aber mir ist klar, was er wohl denken mag: Auf solch eine Interpretation können nur Journalisten kommen. Aber vielleicht bin ich da gar nicht so allein im Reich der Kirchensteuer zahlenden Bürger? Ich lasse nicht locker, stelle Frage über Frage: Wie soll ich es halten mit „der Auferstehung nach dem Tod“, mit „Marias unbefleckter Empfängnis“, mit Jesus, „der zur Rechten Gottes sitze“, „mit der Schöpfungsgeschichte“, – was verstanden die Menschen damals darunter und wie können wir das in der Gegenwart verstehen, deuten? Wie ist das mit den in der Bibel nachlesbaren Zitaten „…aber Jesus sagte…“, die erst mündlich im Umlauf waren, aufgeschrieben wurden und ca. 40, 60 Jahre später in den vorliegenden Evangelien zusammengefasst und redigiert wurden?

Ich stelle – das wird mir bewusst – im Jahre 2019 Fragen, für die ich im Mittelalter möglicherweise auf dem Scheiterhaufen hätte landen können. Aber ich sehe, dass wir bei unserem Gespräch uns dem zentralen Thema nähern: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Wolfgang Fenske, der u.a. im Internet einen eigenen Blog pflegt, berichtet von seinen dortigen Erfahrungen mit einem eingefleischten Atheisten. Eine durchaus spannende Auseinandersetzung, sagt er. Ähnlich wie unser Gespräch? Auf jede angebotene Antwort, die er mir gibt, scheint es eine Vielzahl neuer Fragen zu geben. Gibt es Gott nur deshalb, weil es Menschen gibt, die nach ihm suchen? Sind wir „geschaffen“ worden, um „Gesprächspartner Gottes“ zu werden? Heute, mit zunehmendem Alter, stellen sich mir ganz andere Fragen: Ist die Gottessuche ein Balanceakt am Rande unserer Vorstellungs-Möglichkeiten?
Immer wieder registriere ich bei meinem Gesprächspartner ein leichtes Schmunzeln über die eine oder andere gestellte Frage. Wie soll ich damit umgehen, wenn Dr. Fenske mir sagt: „Das, was in der Bibel steht, wird von Glaubenden weltweit ernstgenommen, weil die Bibel Maßstäbe gibt, tröstet, Gottes-Erkenntnis ermöglicht, befreit – denn der Gott, von dem die Bibel berichtet, ist auch der Gott, der heute existiert“. Ein Tatsachenbericht aus einer Zeit vor 2.000 Jahren? Doch ich frage: Was ist mit all dem, was nicht (mehr?) in der Bibel steht? Zum Beispiel, ob Jesus auch „ein privates Leben“ gehabt und wie es ausgesehen haben mag? Auch darauf geht Wolfgang Fenske aus unterschiedlichen Perspektiven ein. Doch die von uns angesetzten maximal zwei Stunden Gesprächszeit reichten – weiß Gott – bei weitem nicht aus, um Klarheit zu schaffen und Zweifel auszuräumen. Das zumindest ist sicher.

Zur Person: Dr. Wolfgang Fenske ist in Blumenau/Brasilien geboren, kam im elften Lebensjahr nach Deutschland, ging in Nauheim in die 5. Klasse der Grund- und Hauptschule, dann aufs Gymnasium in Groß-Gerau (Prälat-Diehl-Schule). Nach dem Abitur: Grundwehrdienst: Sanitäter (Rennerod), dann Studium in Wuppertal – Heidelberg; nach dem Studium: Promotion/Habilitation in München. Autor zahlreicher Bücher, unter anderem zu den Themen: Argumentation bei Paulus, Johannes – der Lieblingsjünger, Neutestamentliches Proseminar, Über moderne Jesusbücher, Über den Versuch, Jesus zu einem Arier zu machen, Über Judas; Aufsätze. Umzug nach Nauheim, zunächst Trauerredner, dann Pfarrer im Ehrenamt, Lehrer an der PDS.

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