Groß-Gerau hat ihn einst gerettet
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WIR-Herausgeber W. Christian Schmitt im Gespräch mit Alfred Neumann
Alfred Neumann, seit Februar 2010 WIR-Kolumnist („Neumanns Bilderkiste“), kann am 25. März seinen 80. Geburtstag feiern. Mehr noch: in unserer heutigen Ausgabe wird die 75. Folge seines Blicks auf „Groß-Gerau gestern“ erscheinen. Doppelter Anlass für das WIR-Magazin, mit dem Mann zu sprechen, in dessen Archiv tausende Bilder und Dokumente zu finden sind, die Kreisstadt-Geschichte dokumentieren. Im Herbst wird dann – gesponsert von der Groß-Gerauer Volksbank – „Das Beste aus Neumanns Bilderkiste“ als WIR-Buch Nr. 3 erscheinen und zusammen mit einer Ausstellung im Foyer der Groß-Gerauer Hauptstelle präsentiert.
Herr Neumann, man kennt Sie als einen Sammler vor dem Herrn. Wie sind Sie denn zu dieser ganz besonderen „Leidenschaft“ gekommen?
Alfred Neumann: Ich bin immer schon gerne auf Flohmärkte gegangen. Als wir 1975 nach Groß-Gerau kamen und 1977 unser Haus kauften, habe ich angefangen, Ansichtskarten von Groß-Gerau zu kaufen. Dies geschah mit dem Gedanken, etwas über unseren neuen Wohnort zu erfahren. Nach und nach entwickelte sich dieser Aspekt zu einer Leidenschaft; ich besuchte Flohmärkte in ganz Deutschland, später kamen Besuche bei Ansichtskarten-Börsen hinzu, die in Frankfurt, Hannover, Hamburg, Köln, Mannheim, Stuttgart, München etc. stattfanden. In der Regel waren die Spritkosten höher als der Wert der erworbenen Ansichtskarten, informativ durch Fotos und spezifische Zeitungsartikel ergänzt. Später habe ich alles erworben, was mit Groß-Gerau zu tun hatte. Ach, übrigens meine ersten Erinnerungen an Groß-Gerau reichen bis in die 50er Jahre zurück. Denn in einem meiner Stammlokale in Hanau gab es Groß-Gerauer Union-Bier. Noch dies: Auf einer Radtour von Hanau über Luxemburg ins Saargebiet hat man mir in einer Jugendherberge mein Geld geklaut. Ich bin zügig Richtung Hanau gefahren und am Gerauer Bahnübergang an der geschlossenen Bahnschranke hungrig und erschöpft mit dem Fahrrad umgefallen. Ein an der Schranke stehender Mann hat mich gefragt: „Bub, was ist los?“. Ich habe ihm dann das mit dem Geld erklärt und gesagt, dass ich großen Hunger hätte. Daraufhin sagte er mir: „Bub, fahr da hoch“, er zeigte über den Bahnübergang, „dort ist eine Brauerei mit einer Wirtschaft, geh zum Wirt und sag ihm, dass ich dich schicke, und er möchte dir was zum Essen geben“. Somit hat mich Groß-Gerau gerettet.
Was alles kann man – noch – über diese Stadt bei Ihnen erfahren?
Alfred Neumann: Da ich meine Sammlung von Anfang an gut sortiert habe – Straßen nach Hausnummern, Objekte, wie z.B. Helvetia, nach Datum – bin ich in der Lage, interessierte Besucher meiner Sammlung zu Hause ausführlich über gewünschte Themen zu informieren. Bedingt durch die Vielzahl meiner gesammelten Belege hatte bisher noch keiner der Besucher so viel Zeit, sich alles anzuschauen. Ich schätze, dass hierzu etwa 175 Stunden Zeit nötig wären – je nachdem, wie lange man miteinander schwätzt.
Ein paar Zahlen wären an dieser Stelle angebracht: Wieviele Aktenordner bzw. Regalmeter findet man bei Ihnen? Wie viele Bilder schätzungsweise haben Sie gesammelt?
Alfred Neumann: Meine Sammlung besteht aus sehr unterschiedlichen Abteilungen. Ein paar Beispiele. Ich habe etwa 1.350 Ansichtskarten, die älteste aus dem Jahr 1897. Hinzu kommen etwa 8.000 Fotos und mehrere Tausend Zeitungsartikel. Meine postgeschichtliche Sammlung von Briefumschlägen mit alten Groß-Gerau-Stempeln (etwa 55 verschiedene) umfasst etwa 200 Exponate, das älteste ist von 1767. Dann gibt es – alles natürlich mit Groß-Gerau-Bezug – eine Sammlung von Plastiktüten (in einer Folge meiner WIR-Kolumne habe ich bereits einige vorgestellt), Bierdeckeln, Porzellan usw. Insgesamt befindet sich dies und anderes in etwa 125 Alben und 25 Kartons.
Neben Ihrer WIR-Kolumne haben Sie im Laufe der Jahre mit einer ganzen Reihe von Ausstellungen in der Volksbank Interessierten Zugang zu Ihren Archivschätzen gewährt. Um welche Themen ging es da beispielsweise?
Alfred Neumann: Von 1997 bis 2013 gab es mehr als ein Dutzend Ausstellungen, u.a. zu Themen wie „Die Zuckerfabrik – ein Wahrzeichen verschwindet“, „Alte Gaststätten in Groß-Gerau“, „Safariland Wallerstädten“, „Helvetia Konservenfabrik“, „Molkerei und Handkäs in GG“ usw.
Wenn Sie die berühmten drei Wünsche freihätten, wie würden diese lauten?
Alfred Neumann: Da es mir insgesamt gesehen gut geht, habe ich eigentlich keine Wünsche mehr. Aber bitte, wenn Sie darauf bestehen: Wegen des Alters wünsche ich mir Gesundheit für den Kopf, damit ich klar denken kann; für den Bauch, damit ich immer das essen kann, worauf ich Lust habe; und für die Beine, damit ich weiterhin in Groß-Gerau zu Fuß unterwegs und bei Veranstaltungen dabei sein kann.
Zur Person: Alfred Neumann, 1936 in Oberschlesien geboren, seit 1975 wohnhaft in Groß-Gerau. Im Januar 1945 musste er (mit Eltern und Bruder) seine Heimat verlassen und landete – „übrigens ohne Willkommenskultur“ – zunächst in Birstein/Vogelsberg. Schulbesuch in Hanau und Lehre als Industriekaufmann bei der Deutschen Dunlop. 1971 bis 1972 dann in Frankfurt Studium der Betriebswirtschaft und schließlich bis zur Pensionierung Arbeit bei Opel in Rüsselsheim („in einer Planungsabteilung im Logistik-Bereich“).