Heimat-Geschichten der lesenswerten Art

W. Christian Schmitt im Tischgespräch mit Ralf Schwob.

Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, ganz nah am Geschehen mit dabei zu sein. Diesmal hat uns Ralf Schwob in sein Groß-Gerauer Domizil eingeladen, der Schriftsteller und Buchhändler, dessen neuer Roman „Holbeinsteg“ in diesen Tagen erscheint (320 S., 12,80 Euro, Societäts Verlag; auf der Frankfurter Buchmesse zu finden in Halle 3.1, Stand D 106).

Wie soll man eine Reportage über das Tischgespräch mit einem Romanautor beginnen, der seine Themen in einer Region sucht, wo er geboren, aufgewachsen ist und noch heute lebt? Am besten wohl mit einem Plot-Vorschlag für einen seiner kommenden Romane. Stellen wir uns also mal vor, es ist nicht nur etwa das Jahr 1989, sondern auch Frankfurter Buchmessen-Zeit. In der Kreisstadt gibt es einen jungen literaturbegeisterten Autor, der zu der Zeit noch mehr dem Schlagzeug, als dem Schreiben zugetan ist. Dennoch: er besucht erstmals die Messe aller Messen, findet sich kaum zurecht in den riesigen Hallen, in denen alljährlich mehr als 400.000 Bücher aus rund 100 Ländern ausgestellt werden. Ralf Schwob mittendrin im Literaturbetrieb und überall nur Bücher, Bücher, Bücher. Ob er sich bei solch einem Anblick die Frage gestellt hätte: „Braucht die Welt, die literarische, auch noch Bücher aus meiner Feder?“ Also Romane, die er einmal schreiben würde – und von denen heute im Jahre 2017 bereits sieben vorliegen?

Genau darüber haben wir u.a. – einige Wochen vor der Frankfurter Buchmesse, wo er am Messesonntag, dem 15. Oktober, auf der FAZ-Bühne einen weiteren Leseauftritt haben wird – zu Beginn unseres Tischgesprächs in Schwobs Garten mitten in der Kreisstadt Groß-Gerau gesprochen. Einzig Charly, der schlaue Haushund, war mit dabei und hat die Antwort seines Herrchens vernommen. Für unsere WIR-Leser liefern wir diese hier nach: „Ja, im Jahr 2000, so um den Dreh, war ich tatsächlich auf der Frankfurter Buchmesse, stark beeindruckt und der Meinung: diese Welt braucht mein erstes Buch“. Sein Roman-Erstling trug den Titel „Geschlossene Station“ und behandelte das Thema Psychiatrie, mit dem er als Pfleger in der damals von Einheimischen noch „Goller Anstalt“ genannten Einrichtung hautnah zu tun hatte. „Allerdings war ich nicht so vermessen zu glauben, etwa der Suhrkamp Verlag habe genau auf mich und dieses Buch gewartet“. Suhrkamp, damals Anlaufstelle und Sammelbecken nicht nur der deutschsprachigen Literaten-Creme schlechthin. Jener Vorzeige-Verlag, über den man sagte, dass er von 2.000 unverlangt eingesandten Manuskripten allenfalls ein einziges in sein Programm aufnehmen würde. Nein, nicht Suhrkamp, sondern Wiesenburg hieß sein erster Verlag. Mittlerweile gehört Schwob zum Autorenteam des Frankfurter Societäts Verlags, der bereits seinen dritten, in der Region spielenden Krimi veröffentlicht. Natürlich bin ich neugierig zu erfahren, wie und wann es bei dem Gerauer Autor mit dem Schreiben begann. „Anfangs waren es stark autobiografisch gefärbte Texte, die in der Schublade landeten“, erzählt Schwob, „doch erstmals ‚professionell‘ wurde es mit dem Schreiben 1997“, als er gleich bei der ersten „Buchmesse im Ried“ in Stockstadt für einen Text zum Thema „Menschen im Ried“ mit einem 1. Preis ausgezeichnet wurde. Von da an ging’s bergauf. Weitere Preise, Kritiken in der Lokalpresse, Lesungen im Kreis und darüber hinaus. Schwob begann, sich einem Lebenstraum zu nähern – „von der Schriftstellerei leben zu können“. Heute ist der Traum halb Realität geworden. Die andere Hälfte sieht so aus, dass er eine halbe Stelle als Buchhändler in der Gernsheimer Buchhandlung Bornhofen hat und mit Herzblut auch ausfüllt.

Bislang hat Schwob Bücher veröffentlicht, deren Handlung zumeist in unserer Region spielt. Das macht ihn und seine Romane für seine Leser zugänglich und zu einem gewissen Grad auch unverwechselbar. „Wichtig ist“, sagt er, „dass ich mit meinen Büchern die Leser erreiche“ – nicht etwa die Kritiker, fügt er an. Wie findet er ein neues Buchthema? „Das entwickelt sich meist langsam“, erklärt er in seiner eher zurückhaltenden Art. Bisweilen, wenn er dann ans Recherchieren vor Ort gehe, kann es vorkommen, dass sich eine Idee nicht realisieren lasse.

Noch ein paar Sätze zum neuen Krimi „Holbeinsteg“, der zu einem großen Teil in der Kreisstadt spielt? Gerne, sagt Schwob und fügt vorab gleich an: „Die Figuren sind frei erfunden, die Handlungsorte aber nicht“. So gibt es einen frühberenteten traumatisierten Lehrer, der an der ehemaligen Oberstufe der PDS unterrichtet hat, und dessen betagten Nachbarn, der eine höchst undurchsichtige Vergangenheit hat. Beide werden in die kriminellen Geschehnisse um ein verschwundenes Mädchen hineingezogen. Das alles ereignet sich in der Gegend um den Wasserturm, im Helvetia Parc, am Hegbachsee und sogar auf dem beschaulichen Gerauer Weihnachtsmarkt (WIR-Leseprobe in der nächsten Ausgabe).

Letzte Frage an das Mitglied des Groß-Gerauer Kulturstammtischs: „Lieber Ralf, von den 60er Jahren an aufwärts war es fast schon der Regelfall, dass Autoren mit ihren Büchern auch zur Veränderung unserer Gesellschaft mit beitragen wollten. „Wie sieht das bei Dir aus?“ Schwob: „Diesen Impuls hatte ich noch nie. Ob politisch schreibende Autoren wie Böll, Grass und Walser tatsächlich realpolitisch durch ihre Bücher etwas ändern konnten, ist wohl nur schwer nachweisbar.“
Gut, darüber könnten wir ein andermal miteinander reden.

Aufgezeichnet von W. Christian Schmitt

 

Zur Person: Ralf Schwob, geboren 1966 in Groß-Gerau. Ausbildung zum Krankenpfleger und mehrjährige Arbeit in der Psychiatrie in Riedstadt. Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg, danach Studium der Germanistik in Mainz und Magister-Abschluss mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit über Thomas Mann. Danach u.a. als Werbetexter und Redakteur beschäftigt, schließlich Quereinstieg in den Buchhandel. Er veröffentlicht seit 20 Jahren Romane und Kurzprosa und wurde dafür mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Nordhessischen Literaturpreis. Ralf Schwob arbeitet als Buchhändler in der Buchhandlung Bornhofen in Gernsheim und lebt mit seiner Familie in Groß-Gerau.

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