Jedem Abschied wohnt ein neuer Zauber inne

Von Jürgen Volkmann.

Nach fast 15 Jahren als Organisator und Moderator des Groß-Gerauer Kulturstammtischs zieht sich dessen Initiator W. Christian Schmitt Ende 2018 aus dieser monatlichen Kreativ-Runde zurück. Jürgen Volkmann, Leiter des Stadtmuseums und von Anfang an als Gast- und Ideengeber mit dabei, hat dem WIR-Herausgeber ein paar Fragen gestellt.

Lieber Christian, Du bist in Groß-Gerau aufgewachsen, zur Schule gegangen und hast sogar eine Lehre im Press- und Stanzwerk Faulstroh gemacht. Welche Bilder verbindest Du mit Deiner Jugendzeit in unserer Stadt?

W. Chr. Schmitt: Erstaunlicherweise zumeist keine, die unmittelbar mit Kultur in Verbindung zu bringen wären. Sieht man von diversen Faschingsveranstaltungen einmal ab, die seinerzeit im Hotel Mayer in der Luisenstraße (wo meine Urgroßmutter wohnte) stattfanden. Aber auch dies: Da mich damals mein morgendlicher Weg zur Schule am Friedhof in der Klein-Gerauer-Straße vorbeiführte, habe ich bis heute ein Bild vor Augen, dass sich dort in einem Eckbereich die Gräber von offenbar russischen Kriegsgefangenen befanden. Und dann erinnere ich mich natürlich auch an meine Unterprimanerzeit, wo ich als Herausgeber der literarischen Jugendzeitschrift „Es darf…“ erstmals in der Kreisstadt in Erscheinung trat.

Du hast anschließend den Weg in den Journalismus, ins Feuilleton eingeschlagen. Deine Arbeit u.a. für das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels und dann als freier Journalist ermöglichte Dir einen tiefen Einblick in den Literatur- und Kulturbetrieb. An welche besonderen Begegnungen erinnerst Du dich?

W. Chr. Schmitt: An viele. Gerade jetzt, wo ich dabei bin, meine Erinnerungen an 50 Jahre Journalismus zu einem Buch zu verarbeiten und entscheiden muss, was alles von den mehr als 250 Begegnungen mit Schriftstellern, Verlegern, Künstlern, Sängern, Schauspielern, Theologen, aber auch Politikern und Journalisten Aufnahme finden soll. Über wen alles wird es da etwas zu lesen geben? Die Palette all jener, denen ich begegnen durfte, reicht dabei u.a. von Sarah Kirsch über Martin Walser bis zu Elfriede Jelinek, von Peter Scholl-Latour über Elke Heidenreich bis zu Ulrich Wickert, von Elisabeth Flickenschild über Zarah Leander bis zu Margot Trooger, von Erich von Däniken über Konsalik bis zu Johannes Mario Simmel, von Janosch über Christine Nöstlinger bis zu Otfried Preußler, von Hans Küng über Jürgen Fliege bis zu Joachim Gauck, von Gregor Gysi über Günter Metzger bis zu Ruth Wagner, von Reinhard Mohn über Joachim Unseld bis zu Heinrich Reclam, von Alice Schwarzer über Karin Struck bis zu Jutta Ditfurth, von Georg Baselitz über Timm Ulrichs bis zu Joseph Beuys usw. usw.

Anschließend richtete sich Dein Wirken auf Südhessen. Du hast für Darmstadt und den vorderen Odenwald ein Regionalmagazin herausgegeben. Die Zeit dort hat aber noch mehr an kulturellen Aktivitäten hervorgebracht!

W. Chr. Schmitt: In Darmstadt entstand eine erste Dokumentation über Schriftsteller aus der Provinzhauptstadt und dem Umland. Für die Darmstädter Volkshochschule moderierte ich die über acht Abende angelegte Veranstaltungsreihe „Gesprächsbereit. Plaudereien über Kultur(impulse) in und aus Darmstadt“. Und zusammen mit Fritz Deppert, der viele Jahre Lektor des Literarischen März war, konnte ich den dortigen, monatlichen Literaturstammtisch mitgestalten. In Reichelsheim/Odw. gab es dann u.a. die Möglichkeit, zusammen mit dem seinerzeitigen Bürgermeister (und Freund) Gerd Lode die Reichelsheimer Märchen- und Sagentage aus der Taufe zu heben. Ich erinnere mich auch an eine von der Sparkasse Odenwaldkreis gesponserte Reihe „Zu Gast in Reichelsheim“, bei der ich u.a. Autoren wie Günter Grass, Erich Loest, Ingrid Noll, Gabriele Wohmann und Gaby Hauptmann in die knapp 10.000 Seelen zählende Gemeinde locken konnte.

Du bist dann in Deine Heimatstadt zurückgekehrt und hast hier ein journalistisches Erfolgsprodukt, das WIR-Magazin, etablieren können. Darüber hinaus bist Du aber auch als Initiator zahlreicher Kulturformate wie Kulturstammtisch, Kulturkabinett, Dichterlesungen und neuerdings öffentliche Tischgespräche (Dinner für 2, siehe u.a. WIR Nr. 275) in Erscheinung getreten. An welche Veranstaltungen erinnerst Du dich besonders gern zurück?

W. Chr. Schmitt: Es waren in der Tat einige, und an alle erinnere ich mich gerne zurück. Für einen MundARTWettbewerb konnte ich die Kreissparkasse gewinnen, für die Groß-Gerauer Volksbank bleiben Veranstaltungen im Gedächtnis wie z.B. „Das Beste aus dem Gerauer Land“, wo Autoren, Musiker, Sängerinnen, Schauspieler, aber auch Malerinnen (allesamt Mitglieder des Kulturstammtischs) sich an mehreren Abenden im Veranstaltungsraum der Volksbank vor Publikum um die Auszeichnung „Kulturbotschafter des Gerauer Landes“ bewarben. An gleicher Stelle gab es „Dichterlesungen in der Kreisstadt“, zu denen bundesweit bekannte Autoren wie z.B. Ulla Hahn, Wolf Wondratschek, Gert Heidenreich, Volker Braun, Silke Scheuermann oder Ludwig Fels anreisten, um gemeinsam mit einem Vertreter aus unserem Kulturstammtisch aufzutreten. Auch die Reihe „Gerauer Dialog“, bei der Bürgermeister aus unserer Region ebenso wie der Landrat Journalisten Rede und Antwort standen, bleibt in Erinnerung.

Groß-Gerau ist Mittelpunkt, gleichzeitig aber von starken, kulturell ausstrahlenden Metropolen umgeben. Wie, meinst Du, kann sich die Stadt auch zukünftig kulturell behaupten?

W. Chr. Schmitt: Wie heißt es so schön: Man soll weltoffen und zugleich heimatverbunden sein (und möglichst bleiben). Besonders auch im kulturellen Bereich. Die dafür verantwortlichen Entscheidungsträger sollten deshalb neben den TV-Bekannten, die man für ein entsprechendes Handgeld in die Kreisstadt holen kann, nicht vergessen, dass unsere Stadt und all die Anrainergemeinden eine Vielzahl von Kreativen aus allen Bereichen vorzuweisen haben. Wer das alles ist, kann im gerade erst vom Kulturstammtisch neu aufgelegten „Kulturatlas 2018/19“ nachgelesen werden (den es im Übrigen auch online gibt, z.B. unter www.wir-in-gg.de).

Zum Schluss der Blick nach vorn. Was sind Deine Zukunftspläne?

W. Chr. Schmitt: Wie sang Peggy March einst? „Mit 17 hat man noch Träume…“. Mit zunehmendem Alter werden daraus kleinere Wünsche, Absichtsbekundungen, die hoffentlich noch in Erfüllung gehen. An erster Stelle steht da meine Familie und in besonderer Weise meine Enkelin Sophie, denen ich viel mehr Zeit als bisher widmen möchte. „Beruflich“ stehen 2018 die Fortsetzung des Veranstaltungsformats „Dinner für 2“ sowie ein Sammelband mit allen „WIR-Tischgesprächen“ auf dem Programm, den ich zusammen mit Werner Wabnitz herausgeben werde. Und irgendwann etwas später dann sollen meine journalistischen Rückblicke unter dem Titel „In der Aula der Erinnerungen“ erscheinen.

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