Keine Ambition aufs Bürgermeister-Amt
Von W. Christian Schmitt.
Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein. Diesmal hat uns Karl Norbert Merz, Vorsteher der Nauheimer Gemeindevertretung in seine wohnlich umgebaute Hofreite im alten Ortskern eingeladen.
Wir sitzen hier genau im Durchgang, wo früher der Traktor die Einfahrt zur Scheune genommen hat, erzählt unser Gastgeber. Etwas ungläubig schauen wir nach rechts und links, wo heute hohe Glasfenster die Räumlichkeit weitgehend schalldicht begrenzen – und stellen uns auf einen informativ-unterhaltsamen Abend ein. Wir sind zu Gast bei Nauheims Erstem Bürger, der protokollarisch noch vor dem Bürgermeister steht, und sorgen gleich mit unserer ersten Frage für ein wenig Erstaunen. Denn in Vorbereitung auf dieses Gespräch wollten wir uns auf der Nauheimer Webseite schon mal ein wenig schlau machen über den Funktionsträger Merz. Doch zum Parlamentschef finden wir keine Kontaktdaten.
Der bescheiden wirkende Merz dazu gelassen: „In Nauheim kennt mich längst jeder, aber ich werde die Sache mal aufgreifen“. Und so können wir uns an diesem Abend aufs Wesentliche konzentrieren. Was kann, was darf ein Vorsteher alles, welchen Einfluss auf Nauheims Kommunalpolitik nehmen? Die profunde Antwort aus seinem Mund: Die Hessische Städte- und Gemeindeordnung lege „die Aktionsräume“ fest ebenso wie die Satzung und Geschäftsordnung der Gemeinde Nauheim. Sechs bis sieben Mal pro Jahr – „im Bedarfsfall auch einmal mehr“ – stehe die Vorbereitung und Leitung der Gemeindevertretung an, erläutert Merz. Dann kommen jene von den Bürgern gewählte Gemeindevertreter zusammen, um Entscheidungen über Nauheims Zukunft zu treffen (die in Ausschusssitzungen schon vorbereitet wurden). Da die jeweils stärkste Fraktion, so auch in Nauheim Usus, den Vorsteher stelle, habe ihn seinerzeit die SPD für dieses überparteiliche Amt nominiert. Merz: „Ich übe dieses Amt gerne aus“. Und er nutze es, damit in Sitzungen – trotz unterschiedlicher Sichtweisen – Themen sachlich und nicht emotional diskutiert werden, sagt er.
An dieser Stelle unseres Gesprächs fällt mir ein Vergleich zur Situation in der Kreisstadt ein. Dort war es vor Jahren so, dass ein SPD-Kandidat Bürgermeister werden wollte, knapp scheiterte, und danach Chef der Stadtverordnetenversammlung wurde. „Überlegen Sie, es in Nauheim gerade andersherum zu probieren“, frage ich. Merz winkt ab, solcherlei Ambitionen habe er nicht, „dieses Versprechen musste ich meiner Frau geben. Ich möchte dieses Amt nicht anstreben“. Klare Aussage, aber nicht gerade hoffnungsvoll für eine Partei wie die SPD, die bei der bislang letzten Bürgermeisterwahl noch nicht einmal einen eigenen Kandidaten in den Ring schicken konnte/wollte. Doch beim nächsten Mal solle alles anders und die Rückeroberung des Bürgermeistersessels möglich werden. „Wir haben genügend Zeit, einen eigenen Kandidaten aufzubauen“, so Merz optimistisch. Dann kommt der über Nacht gegarte Kalbsrücken nebst Nudeln und feinen Butterböhnchen auf den Tisch, ehe wir uns dem Thema „Die Parteienlandschaft und der Zustand unserer im Wandel begriffenen Gesellschaft“ zuwenden können. Welche Möglichkeiten, auf lokaler Ebene „an Stellschrauben“ zu drehen, habe man als Kommunalpolitiker, hätte ich gerne von ihm gewusst. Die Chance, Stil und Umgang der Fraktionen im Gemeindeparlament zu verändern, habe er genutzt. Und auch der Umgang zwischen Bürgermeister und Vorsteher des Gemeindeparlaments habe sich geändert: „Das Verhältnis ist sehr entspannt, wir können uns aufeinander verlassen“, so Merz.
Da man als Vorsteher zwangsläufig „alles über eine Gemeinde“ wissen müsse, frage ich ihn nach den „drei wichtigsten Nauheimer Projekten/Baustellen“. Da gehe es um „die Sportpark-Sanierung“, sagt er, um „das Projekt Ganztagsschule“ und auch darum, dass „die das hohe Niveau im sportlichen und kulturellen Bereich gewohnten Nauheimer“ auch künftighin auf ihre Kosten kommen. Und wie steht es um „die hohe Grundsteuer“? Merz, kein Visionär, aber Realist, vollzieht keinen Eiertanz, sondern redet Klartext: Dank der Bürger habe die erhöhte Grundsteuer dazu beigetragen, „die Verbindlichkeiten der Gemeinde erheblich zu reduzieren“. Für eine Senkung, auch mittelfristig, sehe er allerdings „keine großen Spielräume“. Eine spürbare Entlastung könne ohnehin „seriöserweise keiner versprechen“. Dazu sei die finanzielle Ausstattung der Kommunen durch das Land zu niedrig.
Und Nauheims Zukunft? Die Gemeinde ist und bleibe Zuzugsregion. Dabei werde die Bereitstellung „sozialen Wohnraums“ immer wichtiger. Darüber hinaus müsse Nauheim für sich definieren, was man sein wolle: Eine Sportgemeinde? Eine Musikgemeinde? Eine kinderfreundliche Gemeinde? Eine Kulturgemeinde? Oder was? Unverzichtbar sei, dass man als Kommunalpolitiker „den Menschen zuhören muss“, denn es gehe „nicht ums Parteibuch“, sondern beim Wettbewerb der Ideen „immer um die Gemeinde“. Und dann reicht uns Merz noch ein Wodka-Basilikum-Sorbet für den Heimweg.
Zur Person: Karl Norbert Merz, Jahrgang 1959, Geburtsort Groß-Gerau, verheiratet, ein Sohn, zwei Enkelkinder. Berufliche Tätigkeit: Direktor Private Banking bei der Kreissparkasse Groß-Gerau. Ehrenämter: Ortsgerichtsvorsteher des Ortsgerichts Nauheim, Vorstandsmitglied als Kassierer im Sozialpsychiatrischen Verein Groß-Gerau; Personalrats-Vorsitzender der Kreissparkasse Groß-Gerau; bis November 2014 Vorsitzender ver.di Bezirk Südhessen; bis April 2002 Ehrenamtlicher Richter im 4. Senat des Hessischen Finanzgerichtes. Hobbies: Golf, Bowling, Kochen; Interessen: Literatur, Konzerte, Kabarett. Seit März 2016 Gemeindevertretervorsteher der Gemeinde Nauheim.