Keineswegs nur Fußball
Von Rainer Beutel.
Ende Juni ist der zweite Band des Buches „Von Stadion zu Stadion“ erschienen, das im Namen des verstorbenen Herausgebers Karl-Heinz Pilz posthum veröffentlicht wurde.
Tochter Caroline und Sohn Lars-Oliver haben für die Publikation gesorgt, nachdem ihr Vater, der WIR-Lesern als Kolumnist vieler Nauheimer Dorfgeschichten bekannt war, am 23. Februar 2020 mit 80 Jahren überraschend gestorben war.
Sein mehr als 360 Seiten umfassendes letztes Werk schildert Begegnungen mit Sportlern und Trainern, mit Funktionären und Stars, Talenten und Fußballhaudegen aus unteren und höheren Ligen. Pilz beschreibt aber nicht nur Besonderheiten und Persönliches aus der Welt des Fußballs. Sein Interesse galt auch vielen anderen Sportarten, etwa dem Boxen, Rad- und Pferderennen sowie der Leichtathletik. Er kam, wie der Titel andeutet, auf seiner jahrzehntelangen „Reise von Stadion zu Stadion“ durch etliche Länder der Welt, was die im Buch üppig veröffentlichten Bilder und Eintrittskarten belegen. In seinem Vorwort notiert Pilz, dass ihm der Sport „viele schöne Stunden bereitet“ habe. Er sei dankbar, zahlreiche „angenehme Menschen“ getroffen zu haben, so dass er es wagen konnte, trotz fortgeschrittenen Alters noch einmal Hunderte Seite voller lesenswerter Anekdoten zu Papier zu bringen.
Das Buch ist in Nauheim im Schreibwarengeschäft Schriftart im Einkaufszentrum Waldstraße und in der Lotto-Verkaufsstelle Traum für 29 Euro zu bekommen.
Auszug: Mein letztes Buch „Von Stadion zu Stadion“, Band I schloss mit dem Bericht aus dem Deutschen Haus bei der Olympiade 2000 in Sydney/Australien. Nachdem der Autor ein Gespräch mit dem Goldmedaillen-Gewinner im Freistilringen Alexander Leipold geführt hatte, kam kurze Zeit später die Nachricht, dass Leipold, der Vorzeigeathlet aus dem unterfränkischen Karlstein, wegen Dopingmissbrauchs die Goldmedaille an den Amerikaner Brandon Slay verloren hatte. Ich war geschockt und hatte kein Verständnis, dass sich der einundzwanzigfache
Deutsche Meister, der vierfache Europameister und der zweifache Weltmeister im Freistilringen sich hat so gehen lassen und zu Doping gegriffen hatte. Ich konnte es einfach nicht glauben. Aber auch Leipold gab nicht auf und kämpft um seine Glaubwürdigkeit, wenn es auch ein aussichtsloser Kampf schien. Er erreichte Teilerfolge und darf sich inzwischen Gewinner des Olympischen Ringer-Turniers nennen. Man kam ihm entgegen, halbierte seine Sperre und übernahm seine Prozesskosten. Aber auf die Goldmedaille muss er verzichten, die bekommt er nicht zurück. Wahrscheinlich durch diese Mühen und Schwierigkeiten erleidet er drei Schlaganfälle und muss nun um sein Leben kämpfen. Aber er übersteht auch diese Krankheiten und kämpft sich ins Leben zurück. Eine unabhängige Kommission bestätigt ihm sogar, dass der Vorwurf eines schuldhaften Verstoßes gegen das Dopinggesetz nicht aufrecht erhalten werden kann. Aber Genugtuung kann er darüber nicht empfinden, wenn auch der Deutsche-Ringer-Bund Leipold sogar zum Bundestrainer macht, aber die Hoffnung, die Goldmedaille doch wieder zu bekommen, gibt er nicht auf.
In Band I hatte ich schon geschildert, dass wir im Jahre 1946 aus Graslitz/Sudetenland vertrieben wurden und über einen Weg von Oberalteich/Niederbayern im Oktober 1946 nach Nauheim/Hessen bei Groß-Gerau kamen. Deutschland lag in Trümmern und es sah in allen Städten so aus wie hier in Frankfurt. Aber nicht nur Städte waren zerstört, sondern auch die Menschen, die sich nur helfen konnten mit schnellem Vergessen. Mein Großvater Johann Köstler hatte in Graslitz 1891 eine Firma für Mundharmonika und Akkordeon gegründet, die vor dem 2. Weltkrieg schon 300 Mitarbeiter hatte. Mein Vater kam leider nicht aus dem Krieg zurück aber meine Mutter hatte Schwestern und Brüder, die sie nicht ohne Unterstützung ließen. Die Brüder und Schwestern Köstler meiner Mutter bauten in Nauheim wieder eine Fertigung für Akkordeons und Mundharmonikas auf und beteiligten meine Mutter am Unternehmen. Ich persönlich bin 1940 geboren und nach meinem ersten größeren Sportereignis 1948 in Mannheim, nach dem Fußballendrundenspiel FC St. Pauli Hamburg – 1. FC Nürnberg 2:3 n.V. war ich so vom Sportfieber infiziert, dass alles Andere nur nebensächlich war. Wenn auch das Spiel mit dem Ball bei mir im Vordergrund stand, da lag das auch sicher daran, dass in unserem Haus in Graslitz/Sudetenland der Trainer des Sudeten- Gauligameisters 1940, Willi Farkas vom NSTG Graslitz (früher DFC 08 Graslitz) wohnte und mir schon früh die Bälle zuspielte. Zu den Gründern vom DFC 08 gehörten mein Pate Josef Köstler und Johann Meinl, der nach dem Krieg ebenfalls nach Nauheim ausgewiesen wurde. Graslitz war mit 12 000 Einwohnern sicher die kleinste GauligaStadt des Reichfachamtes Fußball im Nationalistischen Reichsbund für Leibesübungen. Aber andere Sportarten interessierten mich ebenso. Auch als wir 1946 nach Nauheim kamen, waren die sportlichen Möglichkeiten sehr beschränkt, da die Folgen des Krieges nicht überwunden waren. Fast alle deutschen Städte lagen nach 1945 in Schutt und Asche. Es mangelte an allem und wir Kinder waren gezwungen mit Blechbüchsen, Stoff- und Tennisbällen Fußball zu spielen und Derbys zwischen den einzelnen Straßen durchzuführen. Das ist heute wegen des Verkehrsaufkommens unvorstellbar, aber damals gab es in Nauheim vielleicht 30 Autos und die störten uns beim Straßenfußball kaum. Es gab in den Vereinen noch keine geordneten Spielpläne bei den aktiven Mannschaften und im Jugendbereich war das noch schwieriger. Viele Spiele fanden nur nach mündlicher Vereinbarung statt. Eine Organisation wie wir sie heute haben gab es damals noch nicht und es musste improvisiert werden. Auch die Sportplätze ließen manche Wünsche offen. Selbst bei Spielen in der Oberliga war nicht alles so, wie es sein sollte. Von einem Oberligaspiel am 18.04.1948 im Kölner Vorort Dellbrück können sie sich ein Bild machen, dass selbst bei einem kleineren Stadion Auswüchse waren wie wir sie uns heute nicht mehr vorstellen können. Es war zu dieser Zeit Sitte, dass nach einem Spiel die Mannschaften zusammen standen und das Spiel abgeschlossen wurde mit einem dreifachen: „Dem deutschen Fußballsport ein kräftiges Hipp-Hipp-Hurra“. Die Nazizeit war noch in vielen Köpfen und mancher Schiedsrichter beendete dann das Spiel mit einem dreifachen „ Sieg heil“. Die Umstellung fiel eben schwer. Ich glaube, dass der Sportgruß Ende der sechziger Jahre abgeschafft wurde. In der Graslitzer Straße in Nauheim, zwischen dem Fabrikgebäude der Firma Winter und dem Haus Schillerstr. 19–23, lag ein freier Platz, der der Firma Köstler gehörte und früher ein Spargelfeld war. Hier trafen sich am Nachmittag meine Klassenkollegen der Volksschule in Nauheim. In kurzer Zeit ebneten wir diesen Platz ein, sodass wir ein Spielfeld hatten mit richtigen Toren und uns austoben konnten. So hatte unsere Schulklasse auch eine überlegene Fußballmannschaft. Ich kann mich erinnern, dass wir bei Klassenkämpfen die Schüler schlugen, die zwei Jahre älter waren als wir. Von meinen Klassenkameraden gingen nur mein Freund Adolf Merkendörfer, dessen Vater am Nauheimer Sportplatz ein fleißiger und sehr kreativer Platzwart war, und ich zum Fußballverein SKV Nauheim. Der Trainer der damaligen Schülermannschaft war Heiner Lämmersdorf, der bei der I. Mannschaft von SKV Nauheim im Tor stand und 1950 A-Klassenmeister wurde und in die Bezirksklasse aufstieg. Bei uns Jugendlichen fand natürlich der Fußball ein starkes Interesse und wir kannten uns bei den einzelnen Oberligamannschaften schon gut aus. Ende der vierziger Jahre kam ein kleines Heftchen zu DM –,10 auf den Markt von der Firma Stalling, Sportverlag, Oldenburg. Es gab das Heftchen für alle 64 westlichen Oberligavereine, die Stadtliga Berlin und sogar für die Ostdeutsche Oberliga. Neben einem Mannschaftsbild sah man auch jeden Einzelspieler mit einer Kurzbeschreibung. Man konnte sich also auch schon in jungen Jahren mit einem geringen finanziellen Aufwand im Laufe der Zeit ein Fußballwissen aneignen. Diese Heftchen gab es in den Verkaufsstellen des Zeitschriftenhandels sowie in Papier- und Schreibwarengeschäften.
Auf Grund des alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 23 konnten alle Sporttreibenden nur einem Verein angehören und das war in Nauheim die Sport- und Kulturvereinigung (SKV). 1950 kamen Adolf Merkendörfer und ich zum ersten Male in der Schülerelf zum Einsatz. Im Spiel bei SKG Walldorf fielen einige Spieler aus, sodass man auf uns zwei zurückgriff. Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich auf der Fahrradquerstange von Walter Ebert mitgenommen wurde und sehr aufgeregt war. Es lief einiger Maßen gut und unsere Mannschaft gewann 5:0 und meinem Freund Adolf Merkendörfer gelangen sogar zwei Tore. Ich war klein und schwächlich und freute mich, wenn ich einmal spielen durfte, denn damals waren die Mannschaftseinteilungen noch ganz anders als heute und die jüngeren Spieler hatten es nicht einfach. Unter 15 Jahren spielte man in der Schülerelf. Ob jemand 10 Jahre war oder 14 Jahre, war da egal. Es war da schon ein wesentlicher körperlicher Unterschied. Die 15/16 jährigen spielten in der B-Jugend, die 17/18 jährigen in der A-Jugend und mit 19 Jahren spielte man in den aktiven Mannschaften oder in der Juniorenmannschaft. Es gab also früher, wenn man die Junioren mit ein bezog, vier Jugendspielklassen. Heute ist das wesentlicher besser geregelt. Es gibt die Juniorenmannschaft, die A.-, B.-, und C.-Jugend, dazu noch die D.-, E.-, F.-G- Jugend und die Kleinsten, die Bambini. Es ist also jahresmäßig alles besser verteilt und ausgeglichen. Das erste Bild, das mich bei der SKV Nauheim zeigt, stammt vom Umzug am 23.07.1950 anlässlich des Volksfestes der Kriegsbeschädigten, Hinterbliebenen und Sozialrentner. Ich bin, etwas verdeckt, als der Ersatztorwart der Schüler gleich hinter dem SKV-Festwagen zu sehen, hinter mir ging Horst Glotzbach, der die Größenverhältnisse zwischen einem 10 jährigen und einem 14 jährigen ins rechte Bild rückte. Dann folgt die II. und die I. Mannschaft der SKV Nauheim. Im Hintergrund sieht man noch den Kastanienbaum.