Kunst gefunden
Von Jürgen Volkmann.
Funde von zumeist archäologischer oder kunsthistorischer Bedeutung ist man in Groß-Gerau gewohnt. Kaum ein größeres Bauprojekt, das nicht auch neue Artefakte vor allem aus der Römerzeit zutage fördern würde. Archiviert, in einen historischen Kontext gesetzt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden diese dann in der Regel im Stadtmuseum. Das ist nun aber selbst zum Ort einer (Wieder-)Entdeckung geworden. Nach 20 Jahren wurde dort das zentrale Mosaik des Darmstädter Künstlers Bernd Krimmel (r.) freigelegt, der es sich nicht nehmen ließ, seinem Werk gemeinsam mit zwei seiner Kinder noch einmal einen Besuch abzustatten.
Es ist eine Kunst-Geschichte, die davon erzählt, wie Kunst zu Zeitgeschichte wird, und zugleich auch auf Fälle wie Gemälde, unter deren sichtbaren Farbschichten sich ältere Bilder verstecken, oder die Problematik der Musealisierung von Kunst im öffentlichen Raum – siehe die Werke des Graffiti-Künstlers Banksy – verweist. Denn wer Kunst im öffentlichen Raum sagt, meint auch Kunst am Bau, und das war nicht umsonst der Name der Ausstellung, die Bernd Krimmel 1955 auf der Mathildenhöhe in Darmstadt organisiert und die den so genannten Darmstädter Kunststreit um moderne Kunst im öffentlichen Raum besonders angefacht hatte.
Bernd Krimmel ist ein künstlerischer Alleskönner. Von der Malerei über die Bildhauerei bis hin zu architektonischen Ansätzen ist der heute 92-jährige in allen Disziplinen zu Hause, doch der Kunst am Bau gehörte über Jahrzehnte seine größte Aufmerksamkeit. Er arbeitete wiederholt mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Architekten Fritz Novotny zusammen, der mit Arthur Mähner im gemeinsamen Architekturbüro die moderne Architektur rund um die Welt lange Zeit mitgeprägt hatte. Auch der Entwurf für das heutige Stadtmuseum, einst Verwaltungsgebäude der AOK, war von Novotny + Mähner.
Bernd Krimmel hatte dafür mehrere Mosaiken realisiert, von denen zwei über die Jahrzehnte stets präsent waren, beide im unteren Bereich des inneren Treppenhauses. Nur das zentrale Mosaik an der Ostwand im Ausstellungs- und Veranstaltungsraum blieb 20 Jahre lag verschwunden. Bis ein Anruf von Bernd Krimmels Sohn Tobias bei Museumsleiter Jürgen Volkmann, der damals verantwortlich für die Einhausung des Mosaiks zeichnete, das Werk wieder in Erinnerung rief. Denn Tobias Krimmel arbeitet an einer Bestandsaufnahme der Werke seines Vaters, der ihn auf seine Arbeiten im Auftrag der AOK in Groß-Gerau aufmerksam machte. Von der hatte die Stadt das Gebäude 1987 erworben und darin das Stadtmuseum eingerichtet, in dem Jürgen Volkmann 1989 seinen Dienst angetreten hatte.
Im selben Jahr hatte Bernd Krimmel seine Laufbahn im öffentlichen Dienst beendet. Nachdem er von 1955 bis 1960 Geschäftsführer der Neuen Darmstädter Sezession gewesen war, hatte ihn die Stadt Darmstadt 1965 zum Städtischen Kulturreferenten berufen. In der Folge war er Leiter des Stadtmuseums, das er zum Institut Mathildenhöhe aufbaute, sowie Direktor der Städtischen Kunstsammlungen. Das Amt des Direktors des Instituts Mathildenhöhe gab er nach Auseinandersetzungen mit dem damaligen Oberbürgermeister Günther Metzger 1989 schließlich auf. Darüber hinaus ist Bernd Krimmel stets auch als freier Künstler tätig gewesen.
Sein Mosaik im Stadtmuseum in Groß-Gerau hatte Jürgen Volkmann zugunsten einer Ausstellung des Treburer Grafikdesigners und Künstlers Pedro Warnke Ende der 90er Jahre quasi verschwinden lassen. „Für die großformatigen Werke benötigten wir damals viel Platz, weshalb wir auf die Idee gekommen waren, das Mosaik zu verkleiden und somit zusätzlichen Ausstellungsraum zu schaffen“, erklärt Jürgen Volkmann heute die Hintergründe. Danach habe man sich daran gewöhnt, diesen Platz zur Verfügung zu haben, weshalb das Arrangement bestehen blieb. Der Anruf von Tobias Krimmel habe ihn schließlich auf die Idee gebracht, das Mosaik nach all den Jahren wieder freilegen zu lassen. Was im Haus umgehend zu einer lebhaften Auseinandersetzung mit dem Werk geführt habe, wie Jürgen Volkmann betont. „Für mich ist der Besuch Bernd Krimmels ein wichtiger Termin, um weitere Erkenntnisse über das Werk zu sammeln.“
Doch auch für den Künstler selbst scheint die Begegnung mit seinem Werk nach vielen Jahrzehnten ergreifend zu sein. Vorsichtig geht er auf Tuchfühlung mit den Früchten seines künstlerischen Schaffens, die auf ihn wie Tagebucheinträge wirken müssen. „Mit Fritz Novotny habe ich seit den 50er Jahren zusammengearbeitet mit dem Ziel: Kunst am Bau“, erzählt er mit einem Lächeln, das zeigt, wie er in die Erinnerungen an jene Zeit eintaucht. „Ich habe teilweise nachts an dem Mosaik gearbeitet. Einmal ist sogar die Polizei gekommen, weil die dachten, hier wären Einbrecher am Werk.“ Diese Leidenschaft für die Kunst ist Bernd Krimmel auch im hohen Alter deutlich anzusehen. Als er vor dem riesigen Mosaik mit den Gold-, Jade- und Lapislazuli-Tönen sitzt und von der Sisyphos-Arbeit mit den Tausenden Steinen erzählt, kann man ihn sich lebhaft als jungen Mann vorstellen, wie er nachts besessen und gleichermaßen akribisch das monumentale Werk entstehen ließ.
Das ist nun neben den beiden anderen Werken ebenfalls wieder zu sehen und fügt sich ein in das Gesamtwerk Bernd Krimmels, das in Wallerstädten genauso wie in Oberursel oder Frankfurt, in Schulen, Universitäten oder Verwaltungsgebäuden zu finden ist. Das ist im besten Sinne Kunst am Bau und im öffentlichen Raum. Doch die ist eben auch temporäre Kunst und kann verschwinden, etwa, wenn alte Gebäude neuen weichen müssen oder Ausstellungsfläche benötigt wird. Dann allerdings kann sie irgendwann ein Comeback feiern, wie jetzt im Stadtmuseum. „Die Wandverkleidung haben wir nicht entsorgt“, sagt Jürgen Volkmann am Ende mit einem Schmunzeln. Es ist gut zu wissen, dass es diese Möglichkeit gibt. So lange das Mosaik dahinter nicht vergessen wird.
Jürgen Volkmann
ist Leiter des Groß-Gerauer Stadtmuseums;
juergen.volkmann@gross-gerau.de