Kunst, Kultur und Bildung gewinnen
Von Rainer Beutel.
Ingrid Rotter hört zum Jahresende als Kulturamtsleiterin der Gemeinde Nauheim auf – altersbedingt, was der quickfidelen 62-jährigen Frau kein Mensch ansieht. Seit 2001 ist sie bei der Gemeinde beschäftigt, davon seit neun Jahren im Kulturamt. Mit ihren Kenntnissen und dank ihres erstklassigen Einblicks erklärt sie im WIR-Interview, was Kulturarbeit für eine Kommune bedeutet und auf was es dabei ankommt, speziell in der Musikgemeinde.
Frau Rotter, Sie haben reichlich Erfahrung im Kulturamt der Gemeinde Nauheim gesammelt. Was bedeutet Kulturarbeit für eine Kommune mit knapp 11.000 Einwohnern. Und wie gelingt das?
Ingrid Rotter: Kultur ist eine unverzichtbare Grundlage für unsere Gesellschaft. Kulturarbeit richtet sich an Menschen aller Nationalitäten. Kultur verbindet und bereichert das Leben der Menschen. Kultur stiftet Gemeinschaft und trägt zur Identifikation mit dem Gemeinwesen bei, bietet Unterhaltung, Anregung und trägt zum Austausch miteinander bei. Ein reges kulturelles Leben steigert die Attraktivität und Lebensqualität eines Ortes und damit auch die Attraktivität seiner Standortfaktoren. Kulturförderung ist damit indirekt auch Wirtschaftsförderung. Kultur ist als Netzwerk zu verstehen. In diesem Sinne versteht sich das Nauheimer Kulturamt: Es ist Bindeglied, Beratungsstelle, Förderer, Kooperationspartner und Veranstalter von Kulturprojekten verschiedenster Art, auch wenn in Nauheim traditionell der Schwerpunkt auf der Musik liegt.
Was ist das Ziel einer solchen Kulturarbeit?
Ingrid Rotter: Ziel ist es, den Stellenwert der Kulturarbeit in Nauheim zu stärken und damit vermehrt in den Fokus der Bevölkerung, aber auch der Politik zu rücken. Kunst, Kultur und kulturelle Bildung gewinnen in unserer Gesellschaft zunehmend an Bedeutung, um Integration zu befördern und die positiven Elemente kultureller Vielfalt herauszustellen. Kultur in Nauheim ist vielfältig. Dazu tragen zum einen die Nauheimer Vereine mit ihren vielen verschiedenen kulturellen Veranstaltungen bei, zum anderen bietet die Gemeinde in Ergänzung dazu ein eigenes Kulturprogramm an, das teilweise in Kooperation mit diesen Vereinen veranstaltet wird. Dieses Angebot richtet sich an alle, Kultur vor Ort zu erleben.
Die Mittel für Veranstaltungen sind sicherlich nicht üppig. Welche Lösung hat die Musikgemeinde gewählt, um ihren Bürgern trotzdem einiges zu bieten?
Ingrid Rotter: Da haben Sie Recht, das Budget für Kulturveranstaltungen ist vergleichsweise bescheiden. Dass es trotzdem gelingt, Veranstaltungen mit Qualität auf die Beine zu stellen, liegt daran, dass wir treue Sponsoren haben, die von unserem Programm überzeugt sind und uns finanziell unterstützen. Zum anderen gibt es viele wertvolle Kooperationen mit Vereinen und anderen Ehrenamtlern, die uns unterstützen; hinzu kommen das Engagement des Musikförderkreises mit seinen Kontakten zur Musikszene und natürlich auch ein kostenbewusstes Agieren.
Wie kam es dazu, eine erfolgreiche Veranstaltung wie das Nauheimer Musikfest in eine ebenso erfolgreiche Reihe wie „Live im Hof“ zu überführen?
Ingrid Rotter: Nach 15 Jahren stieß das Musikfest an seine Grenzen, hauptsächlich personell, aber auch was die Besucherresonanz betraf. Alles konzentrierte sich auf einen einzigen Tag. Regnete es, fielen wochenlange Vorbereitungen und Planungen sprichwörtlich ins Wasser. Auch die Erhebung von Eintritt stieß bei etlichen Besuchern auf wenig Gegenliebe. Versuche, das Musikfest auf andere Füße zu stellen, ergaben keine nennenswerten Ergebnisse. Die Besucherzahlen ließen nach. Und so reiften die Überlegungen, etwas völlig anderes aufzuziehen: Mehrere kleinere Veranstaltungen über einen längeren Zeitraum, verteilt auf verschiedene Höfe.
Mit Erfolg, nicht wahr?
Ingrid Rotter: Ja, innerhalb recht kurzer Zeit etablierte sich „Live im Hof“ und wurde quasi zu unserem Markenzeichen. Das Konzept überzeugte von Anfang an die Sponsoren, und so hatten wir acht Jahre lang die entsprechende finanzielle Unterstützung. Hinzu kamen die vielen wunderbaren Kooperationen mit den Hofbesitzern, Vereinen und Organisationen und die wertvolle Unterstützung durch die Kollegen des Bauhofs, ohne die das alles nicht funktioniert hätte.
Was war für Sie die Höhepunkte?
Ingrid Rotter: Es gab viele sehr schöne und unvergessliche Momente. Aber einer der Höhepunkte war „Live im Hof“ bei der Firma Roland mit Nick Howard, ein anderer war der „Tag der Musik“ mit einem umfangreichen und sehr abwechslungsreichen Programm, an dem sich Musikhandwerk und Musikgewerbe, Vereine, Organisationen, Musikschulen und viele andere beteiligten. Eine weitere große Herausforderung und damit auch ein Höhepunkt war das Europafest, als Nauheim die Europafahne verliehen wurde.
Was hat die Kommune kulturell denn noch zu bieten?
Ingrid Rotter: Neben der Musik, die in einer Musikgemeindenatürlich großgeschrieben wird, gibt es Theater-, Tanzveranstaltungen, Kabarett, Open-Air-Kino. Das Heimatmuseum bietet neben den Dauerausstellungen immer wieder Sonderausstellungen an. Es gibt regelmäßig Kunstausstellungen, ob im Rathaus oder in den Ateliers Nauheimer Malerinnen. Nicht zu vergessen die regelmäßigen Lesungen in der Bücherei. Daneben bieten viele Vereine und Organisationen unterschiedliche kulturelle Programme für unterschiedliche Zielgruppen an. Schließlich sind auch die vielen Feste wie die des Gewerbevereins, das traditionelle Brunnenfest und vieles mehr zu nennen. Alles in allem findet in unserer Gemeinde, wie ich meine, ein reges kulturelles Leben statt.
Dennoch, bestimmt in Nauheim die Musik den Ton. Wenn Sie mal allein darüber entscheiden könnten, drei Bands oder Orchester in die Musikgemeinde einzuladen und dafür alle notwendigen Mittel hätten, welche Gruppen wären das?
Ingrid Rotter: Oh, da gibt es viele. Da ich in meiner Freizeit eher Rock und Pop höre, würde ich, wenn ich die finanziellen Mittel und die entsprechende Location hätte, U2, Depeche Mode und One Republic einladen. Und sehr gerne hätte ich einmal ein „Crossover-Konzert“ veranstaltet, bei dem verschiedene Musikgenres aufeinander treffen.
Ingrid Rotter
leitet noch bis Jahresende das Kulturamt der Gemeinde Nauheim;
irotter@nauheim.de