Kunstkilometer statt Guggenheim Museum

Von Rainer Beutel.

Der Königstädter Ortsvorsteher Karl-Heinz Schneckenberger (70) ist weit über die Grenzen seines Wohnortes bekannt. Zahlreiche Funktionen, von den Jusos in den frühen 1970-er Jahren über die SPD bis zu den Linken, prägen sein politisches Leben ebenso wie seine Arbeit als Künstler. In einem Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel erläutert Schneckenberger, wie er sein kreatives Schaffen versteht.

Herr Schneckenberger, wer an Ihrem Haus vorbeigeht, sieht auffällige und ungewöhnliche Skulpturen, die Sie geschaffen haben. Was drücken Sie damit aus?

Karl-Heinz Schneckenberger: Die Skulpturen, die das Jahr über in meinem Hofeingang stehen, entstanden 2003 unter dem Eindruck des Irak-Krieges. Ich will damit die Schrecken und das Leid des Krieges aufzeigen. Die Zivilbevölkerung ist in erster Linie betroffen, Kinder, Frauen, Männer, die nicht dafür verantwortlich sind. Auch wenn die Skulpturen schon 2003 entstanden sind, sind sie leider weiterhin aktuell, wie die Konflikte in Syrien, dem Jemen und und und zeigen. Und sie werden leider wohl auch in Zukunft ihre traurige Aktualität behalten.

Sie sind seit Jahrzehnten politisch aktiv, früher für die SPD, inzwischen für die Linken. In Königstädten sind Sie Ortsvorsteher. Lassen sich Kunst und Politik leicht miteinander vereinbaren?

Karl-Heinz Schneckenberger: Leicht ist es sicher nicht, Beides zu vereinbaren. Habe ich irgendwelche politischen Probleme oder Vorlagen zur Stadtverordnetenversammlung im Kopf, ist es kaum möglich, sich gleichzeitig mit der Gestaltung einer Skulptur zu beschäftigen. Umgekehrt ist es genauso, obwohl ja eigentlich in beiden Bereichen Fantasie und Kreativität gefordert ist. Es geht aber nur das Eine oder das Andere, auch aus Zeitgründen, denn Beides erfordert immens viel Zeit. Für die Kunst nehme ich mir Auszeiten von der Politik. Aber die Kunst ist auch ein guter Ausgleich für die Politik. Bei der Herstellung z.B. einer Skulptur ist man allein damit beschäftigt, eine Form zu finden, ein Ohr oder Fuß richtig darzustellen. Auf Neudeutsch nennt man das wohl „Flow“. Alltagsprobleme und Politik treten dann in den Hintergrund, sind für eine Weile nicht mehr existent.

Wie interpretieren Sie persönlich Ihre Rolle als Künstler, was wollen Sie – über ihr politisches Engagement hinaus – bewegen oder bewirken?

Karl-Heinz Schneckenberger: Kunst ist auch immer politisch, spiegelt die Situation in unserer Gesellschaft. Ich versuche in meinen Skulpturen aktuelle gesellschaftliche Probleme aufzugreifen, z.B. das Flüchtlingsproblem, dass auf der Erde alle zehn Sekunden ein Kind stirbt oder die Zerstörung von Lebensräumen von Tieren durch den Bau der neuen Seidenstraße in China. Ich hoffe, die Betrachter für die Probleme sensibilisieren zu können. Vielleicht lässt sich ja auch die Eine oder der Andere dafür begeistern und nimmt selbst einen Pinsel oder einen Klumpen Ton in die Hand. Als Vorstandsmitglied im Kunstverein Rüsselsheim versuche ich ebenfalls, Kunst den Menschen näher zu bringen.

Aus Ihrer „doppelten“ Perspektive als Politiker und Künstler: Wird Kunst von der Politik in Rüsselsheim angemessen gewürdigt?

Karl-Heinz Schneckenberger: Ich finde, wir alle können froh sein über das reichhaltige kulturelle Angebot in Rüsselsheim, über das ehrenamtliche Engagement der Kulturtreibenden. Als Politiker kämpfe ich dafür, dass dem Eigenbetrieb Kultur123 und der vielfältigen Kulturszene in Rüsselsheim genügend Mittel und Freiräume zur Verfügung gestellt werden. Dies ist oft nicht einfach, die WSR („Wir sind Rüsselsheim“. Anm. d. Red.) im Stadtparlament fordert z.B. regelmäßig die Kürzung des Kulturetats um eine Million Euro. Dies konnte zum Glück bisher verhindert werden. Ich würde mir wünschen, dass mehr Kulturtreibende im Parlament für die Belange von Kunst und Kultur werben und eintreten. Engagierte Kulturpolitiker sind leider stark unterrepräsentiert.

Was könnte besser werden?

Karl-Heinz Schneckenberger: Das kulturelle Angebot in Rüsselsheim könnte sicher noch erweitert und verbessert werden, aber das erfordert mehr finanzielle Mittel. Oft fehlt bei den Verantwortlichen die Einsicht in die Notwendigkeit von Kulturarbeit. Jüngstes Beispiel: Die Firma Opel streicht den Zuschuss von 40.000 Euro (!) für die Opelvillen, obwohl dieser Betrag an sich schon lächerlich ist und obwohl die Opelvillen deutschlandweit mit ihrem Namen für die Firma werben. Viele Kultureinrichtungen sind für Rüsselsheim wünschenswert und vorstellbar, z.B. ein ständiges Kino, eine kommunale Galerie, in der kommunale und regionale Künstler ausstellen können, günstige Atelierräume für Rüsselsheimer Künstler, genügend Übungsräume für Musikbands; ebenso eine schnelle Sanierung der Mehrzweckhalle der Gerhart-Hauptmann-Schule (GHS) in Königstädten für Veranstaltungen der Schule und der Vereine und vieles andere mehr.

Gibt es Bestrebungen, Kunst und Kultur in Königstädten populärer zu machen? Macht das in einem kleinen Ortsteil überhaupt Sinn oder sollten sich Künstler angesichts der Angebote umliegender Städte vielmehr nach Größerem orientieren?

Karl-Heinz Schneckenberger: Die Königstädter Hofkonzerte, die örtlichen Vereine, die Bücherfreunde, die GHS, der Inselhof und andere machen eine vielfältige, ungeheuer wichtige Kulturarbeit in und für Königstädten. Als Künstler freue ich mich, dazu etwas beitragen zu können, als Politiker kämpfe ich für die Unterstützung der Initiativen. Ich finde, Kunst und Kultur sind in Königstädten schon populär. Die große Anzahl der Veranstaltungen und der sehr gute Besuch zeigen, wie wichtig das Angebot für die Bevölkerung in Königstädten ist und wie sehr sie sich damit identifiziert. Im Rhein-Main–Gebiet gibt es natürlich ein umfassendes Kulturangebot. Beides ist wichtig, das Theaterstück im Garten der Evangelischen Kirche in Königstädten genauso wie die Oper in Frankfurt. Die Bevölkerung erreicht man allerdings besser, wenn die Kulturveranstaltung um die Ecke stattfindet. Ob sich Künstler nach Größerem orientieren sollen? Nun, wenn man Kariere machen will, davon leben muss, ist das unerlässlich. Für mich kommt beides nicht in Frage. Ich mache meine Skulpturen zum Spaß und weil es mich ausfüllt. Natürlich würde ich gerne mal im Guggenheim Museum in New York ausstellen, aber ich glaube, der Königstädter Kunstkilometer reicht mir auch.

Zur Person: Karl-Heinz Schneckenberger trat 1971 der SPD bei, anschließend verschiedene Funktionen bei Jusos, im Rüsselsheimer SPD-Ortsvereins- und Ortsbezirksvorstand sowie als Stadtverordneter. Austritt aus der SPD 2005, hauptsächlich aus sozialpolitischen Gründen. Seit 2006 Mitglied bei „Die Linke/ Liste Solidarität“, ab 2006 wieder Stadtverordneter, ab 2011 Fraktionsvorsitzender, seit 2016 Königstädter Ortsvorsteher. Vorstandsmitglied im Kunstverein Rüsselsheim und im „Mieterbund Rüsselsheim und Umgebung“, darüber hinaus Mitglied in vielen Vereinen. Beruflich war Schneckenberger als Vermessungsingenieur tätig;

karlheinz.schneckenberger@freenet.de

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