Noch nicht aller Tage Abend

Von W. Christian Schmitt.

Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein, Menschen hinter ihrem Amt kennenzulernen. Diesmal hat uns Dr. Renate Wahrig-Burfeind, Fraktions-Vorsitzende der Grünen im Groß-Gerauer Stadtparlament in ihr Redaktionsbüro eingeladen.

Eigens für sie hat unser Monats-Magazin die Rubrik „WIR erklärt es“ ins Leben gerufen – und dort bereits mehrere Beiträge aus der Feder der Sprachwissenschaftlerin veröffentlicht. Zudem haben wir unseren Lesern u.a. mit Interviews die in der Kreisstadt ansässige Erbin der Wahrig-Wörterbücher nahegebracht. So im März 2008 mit einem Gespräch unter der Überschrift „2.000 Wörter reichen aus, um sich zu verständigen“ und im Dezember 2009 mit dem Interview „Manches ist eindeutig zu lang fürs Wörterbuch“. Die Kommunalpolitikerin Dr. Renate Wahrig-Burfeind allerdings kam in unserer Berichterstattung ein wenig zu kurz. Das wollten wir nachholen und haben uns zum WIR-Tischgespräch verabredet, bei dem es vorrangig um Politik vor Ort gehen soll, und ganz speziell um die der Grünen im Stadtparlament, wo man sich seit 2011 auf die Mitarbeit an der „gestalterischen Mehrheit“ verständigt hat.

Wir sitzen mitten in ihrem Büro, umgeben von Regalwänden, in denen Nachschlagewerke vielfacher Art versammelt sind, natürlich auch alle Wahrig-Wörterbücher, die einmal als Gegenstück zum Duden galten. Beim „französischen Frühstück“ erzählt uns die hochqualifizierte Frau, die seit 2010 aktives Mitglied der Grünen ist und 2017 für das kreisstädtische Bürgermeisteramt kandidierte, was das Besondere an dieser politischen Gruppierung ist, die sich anschickt, demnächst auch auf Bundesebene Koalitionen einzugehen, die den Gründungsvätern (sowohl von Grünen als auch von CDU) sicher kaum vorstellbar schienen.

Wie kamen Sie zu den Grünen, frage ich, und wie erklären Sie sich/uns das auf allen politischen Ebenen erkennbare Erfolgsrezept dieser Partei? „Ich war schon während meiner Schulzeit“, sagt sie, „Gegnerin der Atomkraft“ – und das war wohl einer der entscheidenden Gründe, warum sie sich für ein grünes Parteibuch entschieden habe. Aber es gebe natürlich noch einige Gründe mehr: Die Grünen hätten sich – wie keine andere Partei – seit ihrer Gründung für die Natur und deren Schutz eingesetzt. Sie hätten nicht erst heute, „sondern schon vor mehr als 20 Jahren“ gemahnt und auf den Klimawandel aufmerksam gemacht. Doch unter der Ägide der regierenden Parteien sei „letztendlich nichts passiert“, erst jetzt sei man „wachgeworden“, wo manche Entwicklung kaum noch korrigierbar scheint.

Wir sprechen über die Stilllegung von Atomkraftwerken (auch das im nahen Biblis, wo man noch gut 15 Jahre brauchen werde, um dieses AKW stillzulegen – und überlegen müsse, wohin mit den zurückbleibenden atomaren Abfällen). Auch über den Braunkohleausstieg, über Windrad-Anlagen und Photovoltaik reden wir. Womit wir zurück sind im Kreis Groß-Gerau, wo diesbezügliche Energiealternativen auf zunehmend mehr Dächern zu finden sind.

Dr. Renate Wahrig-Burfeind („sagen Sie einfach Frau Wahrig“), das wird im Gespräch rasch klar, argumentiert sachorientiert und kenntnisreich. Dabei zählt Sprache ohnehin zu ihren Stärken. Populistisches überlasse sie anderen, sagt sie. Dennoch scheint es so, dass wir wechselseitig „vom halbvollen oder eben halbleeren Glas“ sprechen – wenn wir über den Gerauer Tellerrand hinausblicken und unsere Einschätzungen vom Zustand unserer Gesellschaft und der Welt als Ganzes austauschen. Wenn ich Einwände vortrage, dass ich von ihrer Partei stets auf vorhandene oder sich abzeichnende „Katastrophen“ hingewiesen werde (die Partei der schlechten Nachrichten?), dabei einen Verbotskatalog vorgesetzt bekomme und für die Bürger in diesem Land oftmals Mut machende Aussagen vermisse, ist sie der festen Meinung, dass die Grünen stets das Positive im Sinne haben und eine verlässliche zukunfts- und lösungsorientierte Sachpolitik und keine Verbotspolitik betreiben würden. Aber deshalb und darüber streiten wir nicht. Das überlassen wir den gewählten Vertretern in den diversen Parlamenten.

Dann kommen wir ganz konkret wieder zur Lokalpolitik. Wo sind nach fast zehn Jahren Engagement die grünen Akzente? Dass die Kreisstadt schuldenfrei wurde, sei auch mit ein Verdienst der Grünen. Dass die Fasanerie nicht zur Parkanlage umgebaut, sondern stattdessen dort Blühstreifen und Streuobstwiesen gepflanzt wurden, man bei der Reinhaltung des Grundwassers keine Kompromisse mache, dass man beim Erkennen von Altlasten den Finger in die Wunde lege, dass man in Sachen Fahrradwege-Ausbau sowie Car­sharing am Ball bleibe und dass man überdies erreicht habe, dass „die wiederkehrenden Straßenbeiträge“ abgeschafft worden sind – all dies und einiges mehr stehe auf der Habenseite.

Doch bevor wir uns verabschieden, kommen wir um das Thema „Klimawandel“ nicht herum. „Die Entwicklung ist dramatisch“, konstatiert sie, aber sie bleibt optimistisch, dass eine Lösung möglich sei. Denn es sei „noch nicht aller Tage Abend“.

Zur Person: Dr. Renate Wahrig-Burfeind, geboren 1959. Verheiratet, vier erwachsene Töchter; Studium Germanistik und Musik, Promotion im Fach Sprachwissenschaft, anschließend (bis 2014) Arbeit als Wörterbuchautorin, u.a. von „Wahrig, Deutsches Wörterbuch“. Seit 2016 freie Mitarbeiterin am ZDL (Zentrum für digitale Lexikographie der deutschen Sprache) in Berlin. Seit 1990 wohnhaft in Groß-Gerau. Mehr unter: www.wahrig.de

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