Von Pharaonen und Hieroglyphen
Von W. Christian Schmitt.
Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein, den Menschen hinter seinem Amt kennenzulernen. Diesmal hat uns Dr. Carola Vogel, in der Kreisstadt geborene und hier lebende Ägyptologin, eingeladen.
Vom Balkon aus haben wir die Stadtkirche im Blick. Im Wohnzimmer ist für die Kaffeerunde gedeckt, es gibt selbst gebackenen Käsekuchen. Auf dem Tisch ein Service mit einem – wenn ich das richtig in Erinnerung habe – Dekor, das altägyptisch anmutet. Hier sind wir richtig, hier wollen wir uns einlassen auf eine Zeitreise ins Land der Pharaonen. Genauer: aus Expertenmund erfahren, was es auf sich hat mit den „alten Ägyptern“ und ihrer Kultur, die bis heute eine besondere Faszination ausstrahlt. Scherzhaft fragen wir an, ob es möglicherweise auf dem Dachboden noch eine fast vergessene Mumie zu bestaunen gäbe. Nein, versichert Frau Dr. Vogel, und fügt an, dass sie kein Freund von Mumien und deren Zurschaustellung sei.
Zwar wollte Carola Vogel ursprünglich Physiotherapeutin werden, aber schon während der Schulzeit war sie „vom Thema Altägypten infiziert“. Ist in der einstigen Autokratie am Nil so etwas wie der erste Baustein in der Entwicklung des Menschen hin zu einem staatenbildenden Wesen zu sehen? Waren die Ägypter in der Tat Wegbereiter für viele Entwicklungen der Menschheit. Was alles haben sie hinterlassen, was Jahrtausende lang unter dem Wüstenboden verborgen und damit auch konserviert geblieben ist?
Die Annäherung an dieses spannende Kapitel Menschheits-Geschichte ist auf vielfache Weise möglich. Für Erich von Däniken, den aus Zofingen/Schweiz stammenden Bestsellerautor (u.a. „Erinnerungen an die Zukunft“; Weltgesamtauflage seiner Bücher weit mehr als 60 Mio. Exemplare), stand z.B. fest: All das Wissen der alten Ägypter könne nur die Hinterlassenschaft von Außerirdischen gewesen sein. Vermutung, aber fernab jeglichen Beweises. Für Dr. Carola Vogel, Wissenschaftlerin aus Groß-Gerau, sind diese Ansichten des Hobby-Archäologen Däniken („… ein Wissenschaftler im konsequenten Sinne bin ich nicht…“) reiner Humbug. Fest stehe indes aufgrund einer außergewöhnlich ergiebigen Quellenlage, dass es sich rekonstruieren lasse, wie das Reich der Pharaonen einst ausgesehen haben mag. Denn es gebe u.a. die Hieroglyphen, die Wandmalereien, die entdeckten Papyri, ganze Siedlungen, die Gräber, die Mumien und vieles mehr an archäologischen Hinterlassenschaften, die uns erkennen ließen, was vor fast 5.000 Jahren bei jenem untergegangenen Volk Alltag war.
Gut eineinhalb Stunden dauert unsere spannende Unterhaltung, in der wir uns mit Frau Dr. Vogel quasi auf eine Zeitreise begeben konnten in jenes Land am Nil, wo seinerzeit offenbar alle Voraussetzungen vorhanden waren, ein über die eigene Lebenszeit hinaus reichendes Denken sowie gesellschaftliche Strukturen zu entwickeln, die fernab von Ägypten z.T. noch bis in unsere Gegenwart nachwirken. Um nur ein paar Stichworte zu nennen: Bürokratie, Logistik, Medizin, Staatswesen, Militärwesen, Diesseitsgestaltung und Jenseitsplanung – dies und viele andere gesellschaftliche Bereiche gehörten wie selbstverständlich zum altägyptischen Kosmos. War der Aufbau einer perfektionierten Bürokratie, dem Kernstück einer funktionierenden Gemeinschaft, die Erklärung für den sagenhaften Aufstieg zu einem Superstaat? Wie hat man sich Zusammenspiel sowie Machtverteilung von Pharao und Priesterschaft vorzustellen? Bieten sich Vergleiche z.B. im Christentum zwischen Klerus und Kaiser/Staatsoberhaupt an oder wie sieht es in den islamischen Gottesstaaten heute aus? Wie war/ist das mit dem Ein-Gott-Glauben, der im alten Ägypten seinen Ursprung hat (auch wenn damit Pharao Echnaton scheiterte) – und dann von Juden, Christen und Moslems übernommen wurde? Wie steht es mit dem Jenseits-Hoffen, das am Nil mittels Mumifizierung kultiviert wurde – und sich heute in allen Weltreligionen wiederfindet?
Bei aller Gedanken-Akrobatik, „Antike Konfliktforschung und das Antike Nubien“, erinnert Frau Vogel, seien ihr eigentliches Schwerpunktthema. „Können Sie Hieroglyphen lesen und damit verstehen, was den Ägyptern damals wichtig und hinterlassenswert war?“, frage ich. Und wie „verlässlich“ sind jene Zeitdokumente, die nicht das breite Spektrum möglicher Sichtweisen, sondern nur die Interpretation des Pharaos darstellen? Ist das in Stein oder auf Papyrusrollen Festgehaltene ein Spiegel jener Zeit oder reine Macht-Propaganda? Wäre für manches davon aus heutiger Sicht gar die Bezeichnung Fake News zutreffend? Aber letztlich mag für Wissenschaftler gelten: Das, was geschrieben steht, ist wahr. Egal, ob es in der Bibel, im Koran oder einem anderen „heiligen Buch“ festgehalten ist? Hier bremst mich die Ägyptologin und verweist noch einmal auf den Quellenreichtum aus allen sozialen Schichten Altägyptens, der es dem hieroglyphenkundigen Wissenschaftler sehr wohl erlaube, Fiktion und Realität einzuordnen. Weitere interessante Themen können letztlich nur angerissen werden: Warum hat sich das bei Pharaonen praktizierte Nachfolge-Ritual – jeweils der älteste Sohn soll auf dem Thron folgen – bis in den heutigen europäischen Adel gehalten? Wie stand es um die Gleichberechtigung im Pharaonenstaat, wo u.a. eine Frau namens Hatscheput bis an die Spitze rückte? Und: Gab es tatsächlich zur Pharaonen-Zeit schon eine Art Stenoschrift?
Nicht gesprochen haben wir über die Teilnahme an Grabungen in Luxor, Theben oder sonst wo in Ägypten. Vielleicht dann bei einem nächsten Mal.
Zur Person: Dr. Carola Vogel, geboren 1966 in Groß-Gerau. Studium der Ägyptologie, Klassischen Archäologie und Vor- und Frühgeschichte an den Universitäten Mainz und Heidelberg. 1997 Promotion an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Von 1998-2000 Volontariat und Assistenz in der Redaktion der Zeitschrift Antike Welt, Verlag Philipp von Zabern, Mainz. Seit 2000 Fachreferentin für Geschichte und Archäologie in der wissenschaftlichen Buchagentur Otto Harrassowitz in Wiesbaden. Langjährige Dozententätigkeit am Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung der JGU Mainz. Teilnahme an Ausgrabungen in Deutschland, Ägypten und dem Sudan. Rege Vortrags- und Publikationstätigkeit im In- und Ausland. 2. Vorsitzende des Freundeskreises Ägyptologie an der JGU Mainz. Bezug zur Region: großes Interesse am kulturellen Schaffen in und um Groß-Gerau. Gast des Groß-Gerauer Kulturstammtischs.
www.freundeskreis-aegyptologie.uni-mainz.de/
uni-mainz.academia.edu/CarolaVogel
www.meret-reisen.de