Quo vadis Journalismus

Von Ulf Krone.

„Journalismus gestern – Journalismus heute, das ist das Thema, über das wir uns heute unterhalten wollen innerhalb der WIR-Redaktion“, bringt WIR-Magazin-Herausgeber W. Christian Schmitt das Thema unseres Treffens gleich zu Beginn auf den Punkt. Wir – das sind mein Kollege Rainer Beutel und ich – sind eingeladen, in der Redaktionsstube in der Kreisstadt bei Eiskaffee und Kuchen unsere Sicht auf den Journalismus zu diskutieren, dem nachzuspüren, was Journalismus bedeuten und bewirken kann.

Anlass des Gesprächs ist die Verleihung einer Urkunde an W. Christian Schmitt für 50 Jahre Mitgliedschaft im Deutschen Journalistenverband (DJV), was einige Fragen aufkommen ließ. Was hat sich verändert, was ist geblieben? Weshalb begeistern wir uns überhaupt für den Journalismus, und welche Funktion hat er in unserer heutigen Gesellschaft? Fragen, über die wir uns in einem Redaktionsgespräch austauschen wollen.

Ich möchte gern heute schon wissen, was ­morgen in der Zeitung steht!

Wir beginnen bei der Motivation, überhaupt den Beruf des Journalisten zu ergreifen, denn die hat sich zusammen mit dem Journalismus über die Jahre verändert. Zu Beginn der Laufbahn W. Christian Schmitts war diese für ihn noch sehr klar gewesen. „Der Verleger des Darmstädter Echos fragte mich damals, Warum wollen sie denn Journalist werden, und da habe ich als junger Mensch gesagt: Ich möchte gern heute schon wissen, was morgen in der Zeitung steht!“

In Zeiten des Internets ist dieses Privileg des Journalisten allerdings keines mehr, da die relevanten Schlagzeilen schon am Abend zuvor online zu finden sind. „Das, was heute in der Zeitung steht, das weiß ich schon alles, das ist das Hauptproblem“, fasst es Rainer Beutel zusammen. „Mich interessiert nicht mehr die erste Seite!“ Klar, denn das, was auf der ersten Seite steht, ist im Internet bereits veraltet.

Was ist es aber dann, was Journalismus heute ausmacht, was ihn spannend macht? Für mich ist es die Vermittlung von Fakten, Zusammenhängen, das Einordnen der Geschehnisse für die, die nicht die Möglichkeit haben, sich in all die komplexen Vorgänge in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft etc. einzuarbeiten. Ich persönlich sehe eine gewisse Nähe des Journalismus zur Wissenschaft, da beide Tag für Tag versuchen, die Welt, in der wir leben, ein bisschen besser erklären zu können. Und beide sollten der Neutralität verpflichtet sein.

Rainer Beutel richtet den Fokus stärker auf die Kernfunktion des Journalismus, den basisdemokratischen Akt des Öffentlich-machens, wodurch Transparenz hergestellt und die Leser im besten Fall in die Lage versetzt werden, zu einer eigenen Meinung zu kommen.

Sie wissen sehr wenig, deshalb müssen sie viel fragen

„Bei meiner Grundausbildung hieß es: Sie wissen sehr wenig, deshalb müssen sie viel fragen“, wirft W. Christian Schmitt ein. Deshalb sei es ihm stets darum gegangen, durch Fragen sein Gegenüber dazu zu bringen, sein Expertenwissen zu teilen. Journalismus als Medium für Informationen aus dem Munde von Fachleuten. So herrscht in der Runde Einigkeit darüber, dass es im Journalismus um die Vermittlung von Informationen geht, um das Gespräch, und dass die Meinung des Journalisten auf die Kommentarspalte, das Editorial und literarische Formen beschränkt bleiben muss. Es geht um die Vermittlung der Vielzahl der möglichen Ansichten, Einsichten, Erfahrungen.

„Und nichts anderes machen wir ja beim WIR-Magazin“, unterstreicht W. Christian Schmitt unser grundlegendes Konzept. Tagesaktuelle Themen überlassen wir anderen und versuchen dafür, etwa durch ein Interview in die Tiefe zu gehen. Denn beim Journalismus geht es um Nähe zu den Menschen. Und wo die Menschen sind, sind die Geschichten. Die, die später auch die Leser interessieren. Die Meinung des Journalisten spiegelt sich letztlich nur in der Auswahl der Themen wider.

Die größte Herausforderung für die gesamte Zeitungsbranche, aber vor allem die Tageszeitungen, ist natürlich das Internet, das die Neuigkeiten quasi in Echtzeit liefert. „Ich kann nicht auf der ersten Seite berichten, was am Vortag in Washington passiert ist, wenn alles schon bekannt ist“, findet Rainer Beutel und zeigt damit das Dilemma auf, in dem sich die Tageszeitungen aktuell befinden. „Ich würde dazu übergehen – zumindest in den lokalen Zeitungen – das zweite Buch, den ganzen Lokalteil nach vorn zu ziehen.“ Die Weltnachrichten sollten allenfalls in einer Randspalte auftauchen, denn sie gibt es im Internet und im Fernsehen schneller. Noch etwas, das beim WIR-Magazin zum Grundprinzip gehört. Meldungen gibt es nur bei Kurz & bündig, den Rest exklusiv im WIR-Magazin.

Die digitale Evolution macht Entwicklungen in der Branche immer dringlicher.

Doch wo wird Journalismus in Zukunft stattfinden, und wie wird er, wie werden die Journalisten finanziert? Wir sprechen über die Abhängigkeiten im „System Journalismus“, über die Auswirkungen des Internets, den Kampf um Glaubwürdigkeit in Zeiten von rasend schnell verbreiteten so genannten „Fake news“ sowie Meinungsmache unter dem Deckmantel des Journalismus. Die digitale Evolution macht Entwicklungen in der Branche immer dringlicher. Denn angesichts sich häufender Richtigstellungen und Druckfehlern in den Zeitungen muss ein Qualitätsverlust attestiert werden.

Uns wird klar, dass es diese Fehler sind, die wir auch in Zukunft vermeiden müssen. Dann wird es das WIR-Magazin noch lange geben, parallel zum Internet-Angebot auf der Seite www.wir-in-gg.de, das bereits seit einiger Zeit ausgebaut und weiter zu einer eigenständigen Erweiterung des Magazins entwickelt wird.

„Wir müssen uns bewusst sein, für wen wir das WIR-Magazin machen, daran will ich auch nicht rütteln“, stellt W. Christian Schmitt gegen Ende unseres Gesprächs fest. Egal ob auf Papier oder online, dann habe man die Möglichkeit, auch weiterhin die Themen zu finden, die die Menschen interessieren. Und das sollte der Kern des lokalen und regionalen Journalismus sein.

Als sei es erst Gestern gewesen: So sieht sie aus, die Urkunde für 50 Jahre Mitgliedschaft im Deutschen Journalistenverband, die WIR-Herausgeber W. Christian Schmitt jetzt überreicht wurde. Für ihn Gelegenheit, zurückzublicken auf die Zeit vor dem WIR-Magazin, auf ein halbes Jahrhundert als Journalist und damit an Begegnungen mit mehr als 300 Kulturschaffenden, Intellektuellen und Entscheidungsträgern aus dem deutschsprachigen Raum. Nachzulesen sein wird dies alles in dem Buch „Willkommen in der Aula meiner Erinnerungen“ (Umfang ca. 400 Seiten), an dem er derzeit noch arbeitet und das im Herbst 2021 erscheinen soll. Einiges vorab schon unter www.wcschmitt.de. (Foto: Werner Wabnitz)

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