Reden über Leben und Tod
Von W. Christian Schmitt.
Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar dabei zu sein, Menschen und ihren Wirkungsbereich kennenzulernen. Diesmal hat uns die Psycho-Onkologin Franziska Schröder in die Altheim-Stube des Groß-Gerauer „Hotel Adler“ eingeladen.
Drei Jahre reiste sie als junge Frau durch die Welt, zwei Jahre verbrachte sie in Israel in einem Moshav, in Kanada war sie auf einer Farm tätig, und in Kalkutta sah sie, was sich in Mutter Teresas Sterbehäusern vor Ort abspielte. Wir indes begegneten uns erstmals an meinem Entlassungstag in jenem Darmstädter Hospital, wo ich gerade eine Krebs-Operation halbwegs überstanden hatte. Die Rede ist von Franziska Schröder, die mir als Psycho-Onkologin spontan Unterstützung anbot auf dem Weg zurück ins normale Leben.
Einige Zeit später trafen wir uns erneut, weil ich wissen wollte, wie diese auffallend großgewachsene, mit Model-Maßen ausgestattete, weltgewandte und dennoch zurückhaltend auftretende Frau (die schon mit ihrer Visitenkarte anzeigt, dass sie „meine Seele berühren“ wolle) zu einem Beruf gekommen ist, der zwischen Medizin und kirchlicher Seelsorge angesiedelt scheint.
Bislang war mir das, was sie im WIR-Magazin unter der Rubrik „Expertentipp“ unseren Lesern an Erfahrungen mehrfach mitgeteilt hatte (u.a. mit einem Beitrag unter der Überschrift „Diagnose Krebs – was nun?“ im August 2015), nicht im Bewusstsein geblieben. Auch hatte ich eher verdrängt, was als Fakt unumstritten ist, dass nämlich bereits jeder Zweite in dieser Republik gezwungen ist, sich in irgendeiner Form mit dem Thema „Krebs“ auseinanderzusetzen. Auch Zeitungsartikel, wie z.B. „Wer fragt die Überlebenden? Die eklatanten Lücken in der Nachsorge von Krebspatienten werden immer öfter ins Rampenlicht gerückt. Das System versagt“, der Anfang Dezember 2019 in der FAZ erschien, weckten bei mir nicht die erforderliche journalistische Neugier. Erst die eigene, unmittelbare Betroffenheit ließ mich hellwach werden.
Lassen Sie uns also über ein Thema reden, das zumindest jeden zweiten unserer WIR-Leser interessieren dürfte, begann ich unser WIR-Tischgespräch. Es wurde zu einer mir essentiell wohl wichtigsten Begegnungen in meinem mehr als 50jährigen Journalisten-Leben. „Frau Schröder, haben Sie ein Helfer-Syndrom“, war eine meiner ersten Fragen. Die Psycho-Onkologin, die lange Zeit auch mit geistig behinderten Menschen gearbeitet hat, präzisiert: „Nach meiner Psychotherapie-Ausbildung stand ich noch ein Stück näher bei den Menschen in außergewöhnlichen Lebenssituationen, die besonderen Herausforderungen gegenüberstehen und diese zu meistern haben“. Soll heißen: Genau diesen Menschen wollte sie fortan eine Begleitung bei der Lösung von Problemen anbieten. „Ich kann immer nur Anregungen geben“, sagt sie, „wenn ich am Krankenbett sitze oder wenn die Menschen bei mir in der Praxis sind“.
Dabei trifft sie Menschen „in sehr unterschiedlichen Phasen der Erkrankung“, sie weiß von der Angst der Patienten vor der nächsten Diagnose, die nicht selten verbunden ist mit einer Prognose über den möglichen weiteren Verlauf der Krankheit. Wie stark muss eine Frau sein, die in solchen Situationen Beistand zu leisten bereit ist? Welchem psychischen Druck ist sie selbst ausgeliefert, wenn Patienten sie ganz nahe an sich und ihre (Überlebens-)Probleme heranlassen? Glück, Endlichkeit des Lebens, Hoffnung, Verzweiflung, um diese und andere Begriffe, die plötzlich in neuem Licht gesehen werden müssen, geht es. Franziska Schröder bietet an im Rahmen ihrer Möglichkeiten: Wo kann ich wie helfen?
Für sie ist Krebs zwar eine „körperliche Krankheit“, aber spätestens nach der ersten Diagnose könne er „auch zu einer seelischen werden“. Denn plötzlich werde manchem bewusst, dass eine Konfrontation mit dem möglichen Lebensende nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern vielleicht schon übermorgen erfolgen kann.
„Wie finden potentielle Patienten zu Ihnen“, frage ich. Sie erklärt, dass sie „in und für zertifizierte Krebszentren“ arbeite. Mit der Psycho-Onkologie ist sie nahe bei den Menschen. Sie ist psychotherapeutisch geschult und kennt die Wege der verschiedenen Krebserkrankungen. In solchen Situationen war früher wie selbstverständlich der Pfarrer gefragt, heute indes wohl eher die Psycho-Onkologin. Naheliegend an dieser Stelle die Frage: „Frau Schröder, sind Sie ein gläubiger Mensch?“ Ihre Antwort: „Ich hätte dazu viele Fragen und bin unsicher“. Sicher sei sie nur, dass es „noch etwas anderes als das Leben auf der Erde“ gebe, denn der Mensch bestehe nicht nur aus Materie, er habe „zudem noch eine Seele“. Ohne Frage geht es in ihrem Beruf um all das, was uns Menschen bleibt zwischen Leben und Tod.
Manchmal denkt sie nach all den Jahren beruflicher Erfahrung darüber nach, wie sie sich verhalten würde, wenn sie in jener Situation wäre, in der ihre Patienten sind: „Ich würde ganz sicher ganz schnell eine Kollegin an meiner Seite haben wollen“. In solchen Momenten werde (auch) ihr bewusst, dass man „Leben als Geschenk begreifen“ müsse.
Zur Person: Franziska Schröder, geboren 1965; „wir waren fünf Geschwister“. Ihr erster Beruf war Erzieherin. Die Psychotherapie-Ausbildung „war ein Meilenstein für mich“. Psychologie-Studium an der Fernuni Hagen, Masterstudium in Palliative Care in Wien; eigene Praxis sei 2005, zuerst in Wiesbaden, seit 2011 in Groß-Gerau. „Ich liebe die Sonne, gutes Essen und die Menschen. Vielleicht sogar in der Reihenfolge“.