Religion ist Glückserfahrung
Von W. Christian Schmitt.
Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, unmittelbar am jeweiligen Geschehen mit dabei zu sein, den Menschen hinter seinem Amt kennenzulernen. Diesmal hat uns Jeryullah Khan, der in Dornheim lebende Imam der Ahmadiyya-Gemeinde Frankfurt, eingeladen.
Nach der Veröffentlichung unserer Reportage über die Begegnung mit dem evangelischen Theologen Dr. Wolfgang Fenske (in WIR Nr. 277) hat sich Jeryullah Khan bei uns gemeldet mit den Worten: „In einer Zeit, wo sich einerseits die Zahl der katholischen sowie evangelischen Kirchengänger u.a. wegen Missbrauchsfällen in der Kirche deutlich verringert und andererseits radikale islamische Gruppen im Namen des Islam Terror und Angst verbreiten, häufen sich immer mehr Fragen, warum es Religion überhaupt gibt?…“ und fügt an: „Ich möchte Sie herzlich zu einem Tischgespräch in Dornheim bei mir Zuhause einladen …“. Aber gerne, lautete unsere Antwort. Also reden wir – bei orientalischen Gerichten – über „Allah und die Welt“ und das, was Religionen hierzulande verbindet, aber auch trennt.
Quasi als Einleitung zu unserer kleinen Gesprächsrunde sagt er noch: „Es wäre vielleicht interessant zu lesen, wie man als Kind von Flüchtlingen, zweisprachig in zwei Kulturen aufwächst und wie man als Muslim in einem Land mit christlichen Werten die Balance zwischen beiden hält“. Ein sicher spannender Dialog ist zu erwarten, zu dem ich meinerseits einleitend festhalten mag: „Lassen Sie uns – auch ohne Rücksicht auf die Political Correctness – ganz offen miteinander reden. Unterschiedliche Standpunkte wie Erfahrungen austauschen“. Und genau das erweist sich als gut so. Denn Fragen gibt es reichlich. Z.B.: Was unterscheidet den Islam vom Christentum grundsätzlich? Der Imam: „Das Christentum hat die Dreieinigkeit. Im Islam gibt es nur einen Gott, Allah ist singulär und hat 99 verschiedene Eigenschaften“. Wie das und wieso genau 99, fragen wir weiter. Und wie sieht es im Islam aus mit dem Versprechen einer Wiederauferstehung nach dem Tod? Der Imam: „Der Islam beschreibt das Dasein auf der irdischen Welt als eine Reise, deren Ziel es ist, das Paradies zu erreichen, in dem es allerdings viele Ränge gibt – wobei natürlich keine Person bislang dieses Paradies gesehen hat und darüber berichten kann“.
Ich registriere, dass der junge Imam keiner Frage ausweicht und – so mein Eindruck – nahezu unideologisch antwortet. Wir sitzen bei der würzigen Suppe am Tisch zusammen und versuchen im Grunde Nicht-Erklärbares in den Bereich des Logischen zu holen. Ich frage weiter nach Gemeinsamkeiten wie Unterschieden. So bestehe die Bibel aus 66 Büchern und über 30.000 Versen, zitiere ich eine Info aus dem Internet, und füge an: Der Koran umfasse 114 Suren mit zusammen mehr als 6.200 Versen. Doch was wird dem Leser, dem Gläubigen dort geboten? Was erfährt er über Mohammed und seine Zeit? Auch hier ist der Imam um eine klärende Antwort nicht verlegen: „Der Koran wurde wortwörtlich von Gott Mohammed offenbart. Er enthält auch Lebensgeschichten einiger Propheten und Gleichnisse aus dem wahren Leben“. Abraham, Joseph, Noah, selbst Jesus kommen im Koran vor, sage ich und frage: wie das? Der Imam: „Anders als im Christentum, wo in der Bibel viele Weggefährten Jesu zu Wort kommen, ist im Koran nur die Sicht Gottes festgehalten“. Da Mohammed selbst Analphabet war, wie man heute sagen würde, habe nicht er, sondern eine Reihe von Schreibern das zu Papier gebracht – oder war es zunächst eher die mündliche Weitergabe? – was Allah ihm offenbart habe.
Dann sprechen wir über Jeryullah Kahns Amt als Imam und seine Gemeinde. Die Ahmadiyya-Gemeinde, der er angehört, hat in Deutschland rund 50.000 Mitglieder (weltweit mehrere zehn Millionen Anhänger) und verfügt über rund 50 Moscheen landesweit. Anders als im Christentum gibt es hier keine Bischöfe oder Kardinäle – dafür „einen Bundesvorsitzenden und Imame“ sowie einen Kalifen (mit Amtssitz in London) als Gesamt-Oberhaupt. Dann frage ich ihn noch, was mir von Beginn an auf der Zunge liegt: „Bin ich in Ihren Augen eigentlich ein Ungläubiger oder nur ein Anders-Gläubiger?“. Herr Khan lächelt. In der Tat gebe es die Bezeichnung „Ungläubiger“, die denjenigen beschreibe, „der nicht an den Islam glaubt“. Trotzdem könne diese Person einen anderen Glauben haben. Deshalb sage der Koran: „Euch euer Glaube und mir mein Glaube“.
Wir sprechen noch über vieles andere mehr in diesen eineinhalb Stunden. Über das fünfmalige Beten am Tag und ob dies noch zeitgemäß, genauer praktikabel sei im Jahre 2019 in dieser, unserer Gesellschaft? Beten sei „sehr, sehr hilfreich“, sagt der Imam „aus eigener Erfahrung“. Denn: „In gewissen Abständen“ empfehle es sich – und Wissenschaftler sagten dies auch –, „abzuschalten, zu meditieren, kurzum zu beten“. Gibt es noch andere Vorschriften, außer dem regelmäßigen Gebet, will ich aus erster Hand erfahren. „Im Islam gibt es – im Gegensatz zu den Zehn Geboten im Christentum – über 700 Gebote“, die ein Moslem kennen sollte. Und wie steht es um eine Reformierung des Islam, der seit bald 1.500 Jahren durch den Koran festgelegt ist, will ich ebenso wissen, warum Frauen im Islam z.B. eine Ausübung als Vorbeterin versagt bleibt? Warum besteht der Islam auf einer Geschlechtertrennung, und warum sollen Frauen verschleiert auftreten? Ist das Regelwerk des Islam eigentlich kompatibel mit einer westlichen Gesellschaft im Jahre 2019? Gemäß dem Islam hätten Frauen und Männer verschiedene Rollen. Geschlechtertrennung sei ein Gebot des Islam, um gesellschaftliche Konflikte, die jüngst z.B. das Hashtag #metoo ausgelöst hätten, zu vermeiden. Frauen müssten „nicht so verschleiert sein, dass nur ihre Augen hinter einem Netz zu sehen seien“, sagt der Imam und fügt hinzu: „Das Gesicht darf sichtbar sein“.
Es ist ein Informationsgewinn, mit diesem Imam zu diskutieren, der früher einmal als Fußballer „im offensiven Mittelfeld“ spielte und Theologie studierte, weil er „sein Leben der Gemeinde widmen“ wollte. Bevor ich mich verabschiede, stelle ich dem Vater zweier noch junger Töchter die Frage, was wäre, wenn in 15 Jahren, eine der beiden zu Papa käme und ihm mitteilte, sie habe einen Freund, der allerdings kein Moslem sei? Imam Khan: „Ich würde meiner Tochter noch einmal die Werte des Islam vor Augen führen, aber ich würde sie nicht zu etwas zwingen – denn ich bin kein Wächter über meine Töchter“.
Zur Person: Jeryullah Khan (29), Imam & islamischer Theologe der Ahmadiyya Muslim Jamaat, über sich selbst: „Ich bin in Groß-Gerau geboren und aufgewachsen, habe die Schule in Goddelau besucht und nach dem Realschulabschluss in London islamische Theologie und Fremdsprachen wie Englisch, Arabisch, Urdu und Persisch gelernt. Nach meinem Abschluss in 2013 habe ich Zeit in Tansania, Pakistan sowie in Spanien verbracht. Seit 2014 bin ich wieder in Deutschland und als Imam in der Administration der Gemeindezentrale in Frankfurt tätig. Ich habe jüngst eine Online-Koran-Deutsch-Übersetzungsklasse für unsere Gemeinde-Mitglieder in ganz Deutschland gestartet. Ich bin verheiratet und habe zwei Töchter, die ebenfalls in Groß-Gerau zur Welt kamen. Ich bezeichne mich selbst als Deutscher mit pakistanischen Wurzeln und als Muslim, der sich in Deutschland zuhause fühlt“.