Rüsselsheimer Visionen

Von Rainer Beutel.

Die Bewerbungsfrist für die Wahl eines neuen Bürgermeisters in Rüsselsheim ist am 8. Oktober abgelaufen. Wer den Posten besetzt, entscheidet die Rüsselsheimer Stadtverordnetenversammlung voraussichtlich am 15. November (der Termin muss noch festgelegt werden). Die bis Redaktionsschluss bekannten Kandidaten, der bisherige Amtsinhaber, Bürgermeister Dennis Grieser (Grüne), der CDU-Stadtverbandsvorsitzende Thorsten Weber und die Rüsselsheimer Stadträtin Anja Eckhardt von „Wir sind Rüsselsheim“ beantworten zwei Fragen, die für die Region interessant sind.

(Foto: © Bastian Kienitz/Shutterstock.com)

Frau Eckhardt, Herr Grieser, Herr Weber, in vielen Orten des Kreises Groß-Gerau gibt es Probleme, genügend Erzieherinnen und Erzieher für die Kindertagesstätten zu finden. Wie möchten Sie in Rüsselsheim diese Herausforderung und den damit verbundenen Personalmangel in der nächsten Amtszeit lösen?

Dennis Grieser: Die Stadt muss als Arbeitgeberin noch attraktiver werden. Deswegen wurde den Stadtverordneten ein Konzept zur Personalgewinnung und -bindung im Kitabereich vorgelegt. In diesem Maßnahmenbündel geht es auch um Geld – aber eben nicht nur. Die Stadt legt einen Schwerpunkt auf Wertschätzung und Anerkennung der frühkindlichen Bildungsarbeit in den Kitas und auf die Verbesserung der Qualitätsstandards. Eine Reduzierung der Gruppengrößen auf 20 Kinder, die Freistellung der Kita-Leitung und eine Personalbemessung mit genügend Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit zur Vor- oder Nachbereitung sind sehr wichtig. Ein qualitativ hochwertiges Fortbildungsangebot gehört genauso dazu, wie ein ergonomischer Arbeitsplatz. Außerdem schlägt der Magistrat vor, die Einführung eines Jobtickets zu prüfen, das Personalmarketing zu verstärken und unseren Beschäftigten eine Anwerbeprämie zu zahlen, wenn sie uns neue Erzieherinnen oder Erzieher vermitteln. Durch die Neukonzipierung eines Stipendiums und mehr Praxisentgelt für die Sozialassistentinnen und –assistenten sollen junge Menschen bestärkt werden, sich für diesen Beruf zu entscheiden.

Thorsten Weber: Rüsselsheim steht im Wettbewerb mit den Nachbarstädten im Rhein-Main-Gebiet. Diese Aufgabe kann man daher nur hessenweit lösen. Ich werde mich im Falle meiner Wahl mit dem Kultusministerium in Verbindung setzen, um eine Reform der Ausbildung zu erreichen. Gerne würde ich Rüsselsheim als Modellkommune anbieten, wenn das Land den ganz großen Schritt noch nicht gehen will. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum Erzieherinnen und Erzieher während der Ausbildungszeit keine Vergütung erhalten. Das tarifliche Entgelt nach der Ausbildungszeit rechtfertigt dieses nicht mehr zeitgemäße System ebenfalls nicht. Im Wettbewerb mit anderen Ausbildungsberufen ist die Vergütung ein nicht zu vernachlässigender Faktor.
Die duale Ausbildung hat sich in vielen Ausbildungsberufen als sehr gutes System erwiesen und sorgt für ein ausgewogenes Verhältnis aus schulischer und praktischer Ausbildung, wie in den Berufen der Gesundheits- und Krankenpflege sowie bei der Altenpflege. Genau hier möchte ich mit der Reformierung der Ausbildung ansetzen. Mein Fazit: Durch attraktive Ausbildung Nachwuchs gewinnen, durch Wertschätzung und gute Arbeitsbedingungen Personal an Rüsselsheimer Kitas binden.

Anja Eckhardt: Die Erhöhung der Gehälter konnte das Problem des fehlenden Personals nicht wirklich lösen. Neben einer angemessenen Bezahlung müssen wir deshalb dringend die Arbeitsbedingungen verbessern. Der hohe Krankenstand zeigt, dass hier einiges im Argen liegt. Es soll attraktiver werden, in Rüsselsheim in einer Kindertagesstätte zu arbeiten. Der Krankenstand muss reduziert werden, Überstunden müssen abgebaut und Spitzenbelastungen vermieden werden. Beispielsweise erfahren Erzieher*innen häufig durch den hohen Lärmpegel Stress, weshalb ich hier gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen erarbeiten will.
Außerdem ist es mir ein persönliches Anliegen, mehr männliche Bewerber als Erzieher zu gewinnen, um gerade Jungen schon früh mit positiven männlichen Rollenbildern in Kontakt zu bringen. Zu Beginn meiner Amtsperiode werde ich über den Städtetag bzw. Bundesrat eine Gesetzesänderung anstreben, die zum Ziel hat, diese Ausbildung analog zu den meisten Ausbildungsberufen in Deutschland in dualer Form anzubieten. So wären eine verkürzte Ausbildungszeit, Gehaltszahlungen und eine bessere Verzahnung von Theorie und Praxis möglich.

Welche Ziele wollen Sie im Bereich „Kultur“ verwirklichen, während der Stadt mit den Vorgaben des Schutzschirmvertrags und der Hessenkasse klare Grenzen gesetzt werden?

Dennis Grieser: Wir wollen durch den Topf für „kulturelle Bildung“ sicherstellen, dass alle unsere Schülerinnen und Schüler ins Museum gehen, an Mitmachausstellungen teilnehmen, die Opelvillen besuchen, eine Theateraufführung anschauen oder die Bücherei besuchen. Es muss für Kinder und Jugendliche selbstverständlich sein, unser Kulturangebot wahrzunehmen. Das schafft Identifikation für die Stadt, fördert die Bildung und das gesellschaftliche Zusammenleben. Auch möchte ich das Thema Inklusion im Kontext kultureller Angebote verstärkt in den Fokus nehmen. Die Opelvillen haben in den zurückliegenden Jahren spezielle Führungen für demenzerkrankte Menschen konzipiert. Dies sind Weiterentwicklungen, die auch in Zeiten klammer Kassen möglich sein müssen.

Thorsten Weber: Ich werde in einem Kulturentwicklungsdiskurs mit den Kulturschaffenden erarbeiten, auf welche Bereiche wir in Zukunft Schwerpunkte setzen. Die begrenzten finanziellen Mittel müssen dort eingesetzt werden. Eine Verteilung nach dem Gießkannenprinzip wird es mit mir nicht weiter geben. Beim Kultursommer gilt es, Verlässlichkeit für die Kulturschaffenden zu erreichen und weitere Schwerpunkte mit überregionaler Wirkung zu setzen. Weniger einzelne Veranstaltungen können in diesem Fall auch mehr sein. Doppelstrukturen in Verwaltung und im Eigenbetrieb Kultur 123 werde ich abschaffen. Ein Kulturdezernent sollte die Verantwortung für den Eigenbetrieb aus dem Rathaus heraus selbst übernehmen. Administrative Aufgaben gehören in die Hände von Kultur123. Die Standorte der VHS möchte ich zentralisieren und ebenfalls Doppelstrukturen beenden. Das Kursangebot muss durch eine echte Vollkostenrechnung transparent überarbeitet werden. Im Kinder- und Jugendbereich, wie z.B. bei der Musikschule, ist eine Bezuschussung durch die Stadt sinnvoll. Das Kursangebot für Erwachsene sollte allerdings weitestgehend kostendeckend sein. Mein Fazit: Verantwortung selbst übernehmen, Schwerpunkte setzen, überregionale Ausstrahlung erreichen sowie Kinder und Jugendliche fördern.

Anja Eckhardt: Kulturpreisträger der Stadt müssen als kompetente Gesprächspartner eingebunden werden, um das Kulturprofil zu prägen. Doppelstrukturen sollten abgebaut und das Budget des Eigenbetriebes Kultur123 deutlich begrenzt werden. Öffentliche Räume sollten auch von Kulturtreibenden genutzt werden können. Das alte Ziel, dass jedes Rüsselsheimer Kind bis zum Ende der Sekundarstufe 1 wenigstens einmal in Stadttheater, Opelwillen und Musikschule sein sollte, werde ich umsetzen. Mit dem neuen Eigentümer des Opel-Altwerkes und unter dem Vorbehalt der Finanzierungsmöglichkeiten werde ich prüfen, inwiefern im Rahmen der „Route der Industriekultur“ ein Landesindustriemuseum geschaffen werden kann. Die Musikschule soll reformiert werden, auch um einen Beitrag zur Integration zu leisten. Den abgebrochenen Prozess der Zusammenlegung von Kreisvolkshochschule und städtischer VHS werde ich wieder aufnehmen und mit neuem Leben füllen. Beim Stadttheater sind professionellere Strukturen notwendig, beim Theaterprogramm werde ich für Kooperationen sorgen. Für den Kultursommer müssen Besucherfrequenzen von Veranstaltungen bewertet werden. Gegebenenfalls sind Modifikationen vorzunehmen.

Aufgezeichnet von Rainer Beutel

 


Dennis Grieser, 39 Jahre (Rüsselsheim)
mail@dennis-grieser.de


Thorsten Weber, 49 Jahre (Königstädten)
thorsten.weber@cdu-hessen.de


Anja Eckhardt, 47 Jahre (Rüsselsheim)
anja.eckhardt-hp@web.de

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