Seelsorge künftig Teamarbeit

Von Rainer Beutel.

Das Katholische Dekanat Rüsselsheim, das zum Bistum Mainz gehört, befindet sich auf dem Pastoralen Weg. In zehn Jahren sollen aus vielen Pfarreien einige wenige werden. Der für Nauheim, Königstädten und Mörfelden zuständige, leitende Pfarrer Christof Mulach erklärt im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel, was auf Gläubige und Geistliche zukommt.

Herr Pfarrer Mulach, bitte beschreiben Sie unseren Lesern die grundlegende Idee des pastoralen Wegs.

Christof Mulach: Die grundliegende Idee ist zunächst eine Frage: Wie sollen und können wir unser Christsein heute und in Zukunft leben? Darauf suchen wir Christen im Bistum Mainz mit unserem Bischof Peter Kohlgraf eine Antwort und nehmen uns den Patron unseres Bistums, den Sankt Martin, zum Leitbild. Wie Martin ein Vorbild im Teilen ist, wollen auch wir uns auf den Weg machen und eine Kirche werden, die teilt: Das Leben der Menschen, den Glauben und die Fragen nach Gott, die Ressourcen der Kirche und die gemeinsame Verantwortung als getaufte Christen. Jeder Weg beginnt aber mit einer Orientierung. Deshalb hat Bischof Peter einige Fragen formuliert, die uns bei der inhaltlichen Neuorientierung begleiten: Was brauchen die Menschen heute von der Kirche? Und wie gelingt es uns, die Botschaft des Evangeliums den vielen Menschen zu vermitteln? Warum und wie wollen wir heute die Kirche Jesu Christi sein? Und schließlich: Worin besteht heute der Auftrag Gottes an uns? Wie werden wir ihm gerecht?

Welche Ursachen gibt es dafür?

Christof Mulach: Die gesellschaftlichen Entwicklungen und der demographische Wandel spiegeln sich in den Kirchen wider. Für viele Menschen hat die Kirche kaum noch Relevanz in Ihrem Alltagsleben. Wir erleben den Rückgang der Gottesdienstbesucher. Auch die Entwicklung der Kirchenmitglieder insgesamt ist rückläufig. Darauf wollen wir reagieren. Wir haben eine Verantwortung für die Gläubigen, für die Botschaft Gottes, für unsere Angestellten, für die Orte, an denen kirchliches Leben sich ereignet. Keinesfalls dürfen wir die Menschen aus den Augen verlieren, die nicht kommen oder nicht mehr zu uns kommen.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Christof Mulach: Die gesellschaftlichen Veränderungen belasten Menschen heute ungemein. Die Kirche ist von Christus gerufen, eine Kultur der Wachsamkeit zu leben, um die Lebenssituation der Menschen wahrzunehmen und zu verstehen. Wo erleben Menschen heute Freude und Hoffnung, Trauer und Angst? Immer mehr Menschen können von ihrem Lohn nicht mehr leben. Papst Franziskus hat angemahnt, dass die heutige Kirche eine „Kirche der Armen“ sein soll. Hier muss die Kirche den betroffenen Menschen eine Stimme geben, sich solidarisch verhalten und für Gerechtigkeit und Menschenwürde eintreten. Natürlich gehören die Jugendlichen auf den künftigen Wegen dazu, denn sie sind die Zukunft.

Das bedeutet konkret?

Christof Mulach: Es gilt, Jugendlichen zuverlässige Gesprächspartner zu sein, auch Wegbegleiter, und ihre Themen zu hören und mitzutragen. Jugendliche haben das Recht der Beteiligung auf unterschiedlichen Ebenen von Kirche. Doch sie brauchen auch Vorbilder von Menschen, die auf das Wort Gottes hören, die das Beispiel Jesu leben und auf das Wirken des Geistes achten. Die Familien sind und bleiben der wichtigste Ort, an dem Leben und Glauben geteilt wird. Natürlich muss die Kirche auch die Vielfalt heutiger Formen des Zusammenlebens in den Blick nehmen und den Menschen mit Interesse und Wertschätzung begegnen.

Wie kann die Kirche den Menschen einer Pfarrei die Geborgenheit erhalten, die sie bislang durch „ihren“ Pfarrer empfunden haben, der aber künftig vielleicht nicht mehr allein für sie zuständig ist?

Christof Mulach: Auf Grund der neuen personellen Konzeption ist es erforderlich, sich vom bisherigen Rollenverständnis zu lösen. Künftig wird die Seelsorge im Rahmen einer Teamstruktur erfolgen, was auch viele Chancen bieten kann. Die Geborgenheit ist nach wie vor von allen Beteiligten abhängig und kann auch in der neuen Gemeindestruktur sehr gut möglich sein.

Was wird sich speziell für Sie und die von Ihnen betreuten Pfarreien Nauheim, Königstädten und Mörfelden ändern? Und wie ist ihr Dekanat betroffen?

Christof Mulach: Die jetzige Zusammenarbeit der drei genannten Pfarreien ist noch kein Ergebnis des Pastoralen Weges, sondern dem Umstand geschuldet, dass für Mörfelden über längere Zeit kein eigener Pfarrer gefunden werden konnte. Ob und wie weit diese drei Pfarreien im Rahmen des Pastoralen Weges auch zusammenarbeiten werden, ist noch nicht geklärt. Bis 2030 werden im Dekanat Rüsselsheim drei große Pfarreien durch Zusammenlegung entstehen. Wie genau das erfolgen wird, wird der Bischof auf der Grundlage eines im Dekanat bis 2021 erarbeiteten Vorschlags entscheiden.

Gläubige werden an diesem Prozess teilhaben?

Christof Mulach: Ja natürlich, im Dekanat Rüsselsheim hat sich ein Projektteam aus Hauptamtlichen und Gemeindemitgliedern aus verschiedenen Kirchengemeinden gebildet. Sie koordinieren die Umsetzung des Pastoralen Wegs im Dekanat Rüsselsheim. Das Projektteam möchte möglichst viele weitere Menschen am Pastoralen Weg beteiligen und lädt deshalb zu „Ratschlägen“ ein, die zu jedem Themenblock stattfinden sollen: Jeweils an einem Samstag sind alle Interessierten des Dekanats eingeladen, über die anstehenden Fragen zu „beratschlagen“, denn jeder ist ein Experte, soll seine Meinung einbringen und gehört werden. Aus dem „Ratschlag“ heraus werden die wichtigsten Ergebnisse schriftlich formuliert, so dass der Dekanatsrat, der wiederum aus Hauptamtlichen und den Vorsitzenden der Pfarrgemeinderäten unserer 19 Kirchengemeinden sowie der muttersprachlichen Gemeinden besteht, diese Ergebnisse verabschieden kann.

Die neuen, größeren Pfarreien sollen und können nicht einfach vergrößerte Pfarreien bisherigen Typs sein, heißt es. Was genau wird sich ändern, und wie wirkt sich das aus?

Christof Mulach: Nach der inhaltlichen Orientierung müssen nun auch die Strukturen angepasst werden. Unsere bisher bestehenden Pfarreien werden zu drei neuen, größeren Pfarreien fusionieren. Als Gemeinden werden sie innerhalb der neuen Pfarrei weiter bestehen. Bischof Peter Kohlgraf betont, dass die lokalen Gemeinden „Orte des christlichen Lebens“ bleiben sollen. Eine Pfarrei wird nun eine Gemeinschaft von Gemeinden und Gruppen. Daher sollen alle Kirchorte, also Orte, an dem sich kirchliches Leben durch die Praxis engagierter Christen entfaltet (Gemeinden, katholische Schulen und Kitas, Einrichtungen der Caritas, Verbände, geistliche Gemeinschaften …) einbezogen werden. Ich möchte betonen, dass innerhalb der nun größer werdenden Struktur der neuen Pfarreien dennoch in der Gemeinde vor Ort der Glaube gefeiert und das Leben miteinander geteilt wird.

Zum Abschluss zwei von mehreren Fragen, die auch Bischof Peter Kohlgraf stellt, um die Notwendigkeit des pastoralen Wegs zu umreißen: Welche Motivation leitet die katholische Kirche, heutzutage die Kirche Jesu Christi sein zu wollen? Worin besteht der Auftrag und wie wird die Kirche diesem gerecht? – Haben Sie, Herr Pfarrer Mulach, bereits eine griffige Antwort?

Christof Mulach: Aus meiner persönlichen Glaubenserfahrung heraus kann ich sagen, dass die Gestalt Jesu und die Kirche Jesu Christi gerade in der heutigen Welt ohne jegliche Alternative ist und für die es sich lohnt, zu arbeiten und sich zu engagieren. Der Auftrag besteht darin, die Botschaft Jesu glaubwürdig in die heutige Welt zu tragen. Wenn das nur im Ansatz gelingt, wird auch der Pastorale Weg gelingen können. Auch für mich kann ich den künftig zu beschreitenden Weg noch nicht abschließend abschätzen und bewerten. Aber wir sind eine pilgernde Kirche auf dem Weg durch die Zeiten. Der neue Weg weckt in mir mehr Hoffnungen als Befürchtungen und bietet für alle Betroffenen eine große Chance.

Das könnte Dich auch interessieren …