Sind Politiker noch „Diener ihres Landes“?

tischgespraechkummer02

Von W. Christian Schmitt

Mit der Reihe „Tischgespräche“ gibt das WIR-Magazin seinen Lesern Gelegenheit, ganz nah am Geschehen mit dabei zu sein. Wir sind jeweils eingeladen von bekannten Personen aus dem Gerauer Land und erfahren, wie sie denken, entscheiden, privat sich darstellen. Diesmal hat uns MdL Gerald Kummer, einstiger Riedstadt-Bürgermeister und Kreisbeigeordneter, in sein Wolfskehler Zuhause eingeladen.

Diesmal hatten wir – Werner, der Mann für die bewegten Bilder und ich, der nicht nur zum Anprosten mitgekommen war – uns richtig vorbereitet und waren mit einem ganzen Fragenkatalog angereist. Vieles wollten wir von dem für den Südkreis gewählten SPD-Landtagsmitglied wissen. Zum Beispiel: Was machen Politiker, wenn das Volk (die Mehrheit) nicht mehr ihrer Meinung ist und die früher so genannten Volksparteien erbarmungslos abstraft?  Wie definieren Sie Politik? Und auch: Früher sagte man, Politiker sollten Diener ihres Landes sein. Wie sieht das heute aus? Fast schon herzlich wurden wir begrüßt in Kummers Wolfskehler Domizil, hatten die Mäntel abgelegt, uns ins Wohnzimmer begeben sowie Einrichtung und Extras auf uns wirken lassen. Als da waren in einer eigenen Glasvitrine die beeindruckende Mini-Harley-Sammlung, dann die Kochbuchecke mit 13 Bänden sowie einige gerahmte Stiche an der Wand, die wohl gesellschaftskritische Szenen von gestern zeigten. Auch die große Video-Sammlung beeindruckte, ebenso wie die afrikanischen, aber auch ländlich anmutenden Schnitzereien, die geschickt platziert schienen. Und schließlich die ganz in grün gepackten Brockhaus-Bände, in denen früher versucht wurde, das gesamte Wissen dieser Welt festzuhalten.

Dann stellten wir unsere erste Frage und Gerald Kummer meinte: Es wäre nicht gut, wenn wir den Abend quasi trocken beginnen müssten und entkorkte eine Flasche sizilianischen Wein, den er als „Nero“ (was „schwarz“ heiße) vorstellte. Was zu dem ersten Scherz des Abends einlud, indem ich sagte: Toll, da serviert uns ein Roter einen Schwarzen (der sich als Rotwein erweist). Und Kummer parierte: „Aber auch rote Trauben haben grüne Blätter“. Dann sagten wir „Salute!“ und unser Tischgespräch konnte seinen Lauf nehmen.

Noch eine kleine Anmerkung bevor wir starten, Herr Kummer: Bitte im Blick auf unseren nur etwa vier Minuten langen Video-Clip daran denken, dass Ihre Antworten nicht zu lange ausfallen, sonst bekommen die Zuschauer den Eindruck, Sie hätten nur auf eine oder höchstens zwei Fragen geantwortet. Doch dann legten wir tatsächlich los. Der Gastgeber erklärte uns seine Sicht der Dinge: „Es ist längstens Zeit, dass Politik darüber nachdenkt, wie man Bürger wieder mitnimmt. Denn sie erwarten von uns Orientierung, Vertrauen“. Und im Blick auf jüngste Wahlergebnisse: „Ich bin der Letzte, der Wahlergebnisse schönredet. Nicht die Bürger haben falsch gewählt, sondern wir müssen uns ändern“. Das hört man gerne, wenn auch nicht allzuoft. Und bevor wir zur zweiten Frage kommen, naht bereits das Essen, ein sizilianische Gericht mit Namen „Pasta à la Mamma Sofia“. Wieso ist an diesem Abend alles so sizilianisch, frage ich (mich). Die Erklärung liefert Kummer umgehend: die sizilianische Gemeinde Sortino ist Riedstadts Partnerstadt. Aha, und schon folgen weitere Erklärungen, z.B., dass man in Sizilien zu Silvester nicht – wie bei uns üblich – Sauerkraut und Rippchen esse, sondern Linseneintopf, der fürs kommende Jahr Glück bringe.

Nun gut, wir sind wieder zurück in Wolfskehlen und in Kummers guter Stube. Wie ist er seinerzeit zur SPD gekommen, frage ich. Fast hätte ich es geahnt: Willy Brandt war es, der auch ihn damals auf eine Republik hoffen ließ, in der „mehr Demokratie“ gewagt werden müsste. Werner sagt noch, wir könnten „ganz unbekümmert“ reden und müssten nicht in die Kamera schauen. Nun gut, dann also das nächste Fragenpaket, das ich vorbereitet hatte und hier am Stück zu lesen ist: Welche „Spielräume“ haben heute Landes- und Kommunalpolitiker (noch), wenn in Berlin und Brüssel die Weichen oft bereits „ganz anders“ gestellt werden? Was halten Sie, Herr Kummer, von sog. Polit-Barometern? Und was von Gutachten und Gutachtern? Und vielleicht kommen wir im Laufe des Abends auch noch zu meinen besten „Rest-Fragen“: Ist unsere Multikulti-Gesellschaft – sagen wir – im Jahr 2030 überhaupt noch regierbar? Und: Wie stehen die Überlebenschancen für unsere Demokratie (wobei ich nicht eine nach Definition der ehemaligen DDR meine)?
Aber reden wir doch erst einmal über Riedstadt, in der Gerald Kummer sich das politische Rüstzeug erwarb. Hier bewarb er sich 1993 gemeinsam mit Günter Schork um den Bürgermeister-Posten – und obsiegte. Hier setzte er sich für den Erhalt von Georg Büchners Geburtshaus ein, das damals abgerissen werden sollte. Kummer rückblickend: „Ich wollte nicht in die Riedstädter Geschichte als Bürgermeister eingehen, der Büchners Geburtsthaus abreißen ließ“. Was verständlich ist.

Dann ist kurz die Rede von Kummers derzeitigem Assistenten, der sich Chancen ausrechnet, als Bundestagsabgeordneter die Nachfolge von Gerold Reichenbach anzutreten. Ein junger Mann, sagt Kummer, „der eine klare Meinung hat und auch äußert – das erwarten die Wähler“. Der „junge Mann“ ist Jan Deboy, SPD-Fraktionsvorsitzender im Kreistag, in dem SPD, Grüne, Linke und Piratenpartei mit einem Sitz Mehrheit „regieren“. „Na und“, sagt Kummer, „ein Sitz mehr ist ja nichts Verwerfliches, schließlich kommt es auf die politischen Inhalte wie Gemeinsamkeiten an“. Kummers Devise: „Nichts ist so gut, dass man es nicht noch besser machen könnte“. Allerdings hält er nichts davon, „den Menschen nach dem Mund zu reden“, also Politik quasi „auf Zuruf“ zu machen. Im Kreistag erlebt er es, wie man aus einer Mehrheit heraus Politik gestalten kann, in Wiesbaden sehen er und die SPD sich in der Oppositionsrolle. Wir diskutieren heftig, offen und durchaus ergiebig. Doch zu etlichen Fragen, die wir vorbereitet hatten, kommen wir an diesem Abend nicht mehr. Wir sind schon in der Hofeinfahrt, da will uns Gerald Kummer in seiner Garage unbedingt noch etwas zeigen: Zwei blitzeblanke Motorräder der Marke Harley-Davidson. Doch das wäre noch eine ganz andere Geschichte. Aber an Gelegenheiten, sich neuerlich zu begegnen, soll kein Mangel sein.

Aufgezeichnet von W. Christian Schmitt

 

Zur Person: Gerald Kummer, Mitglied der SPD, Jahrgang 1958, Geburtsort: Darmstadt, verheiratet, zwei Kinder. Berufliche Stationen: bis 1990 Finanzamt Darmstadt, zuletzt Großbetriebs­prüfung; von 1990 bis 1993 Hessischer Rechnungshof; 1993 Hessische Elektrizitäts AG.; von 1993 bis 2010 Bürgermeister Riedstadt, von 2010 bis 2013 Kreisbeigeordneter Groß-Gerau. Von 1985 bis 1993 Mitglied der Gemeindevertretung Riedstadt, von 2001 bis 2010 Mitglied des Kreistages des Landkreises Groß-Gerau (dort Vorsitzender seit Mai 2015); seit 2001 Mitglied der Regionalversammlung Südhessen. Landtagsabgeordneter seit Januar 2014; dort Mitglied in Haushaltsausschuss, Rechtspolitischer Ausschuss, Richterwahlausschuss.

Das könnte Dich auch interessieren …