Digitale Herausforderungen

Von Ulf Krone.

Industrie 4.0, Smart home, künstliche Intelligenz, Algorithmen – die Digitalisierung von Arbeitswelt und privatem Leben schreitet unvermittelt voran. Doch was bedeutet das alles eigentlich, und welche Auswirkungen haben diese Veränderungen auf unsere Gesellschaft? Im gerade bei der Fakten + Köpfe Verlagsgesellschaft erschienenen vierten Band der seit 2012 laufenden Reihe „Handbuch Consulting“ versammeln die Herausgeber Jonas Lünendonk und Dr. Hans-Peter Canibol unter der redaktionellen Leitung von Jonas Lünendonk und Susanne Theisen-Canibol zahlreiche Beiträge von Marktanalysten und Wissenschaftlern, die ein Bild der inzwischen allgegenwärtigen Digitalisierung zeichnen. WIR-Redakteur Ulf Krone hat bei Susanne Theisen-Canibol nachgefragt.

Wie weit ist die Digitalisierung Ihrer Meinung nach inzwischen vorangeschritten? Wo ist sie bereits im alltäglichen Leben der Menschen angekommen, und nehmen wir sie überhaupt in ihrer ganzen Bandbreite wahr?

Susanne Theisen-Canibol: Wir befinden uns im Jahr elf nach der Einführung des iPhones. Im Januar 2007 hielt Steve Jobs auf der Macworld Conference & Expo ein kleines, flaches Ding in die Kameras: Das iPhone ließ Telefon, Computer und MP3-Player auf neuartige Weise miteinander verschmelzen. Multi-Touch-Screen, Apps – all das hat Schule gemacht. Andere Anbieter zogen nach. Der Paradigmenwechsel holte die Computerwelt aus der Ecke der Programmierer, der Wissenschafts-, Business-, Produktions- und Musikanwendung und verankerte sie tief in unserem Alltag. Mit den bunten Apps entwickelten wir neue Ansprüche: die Allverfügbarkeit von (fast) allem. Damit sind wir als Verbraucher inzwischen ein wichtiger Treiber der Digitalisierung. Wenn wir über das Internet Bestellungen auslösen, erwarten wir, dass die Ware innerhalb weniger Tage geliefert wird. Beim Hersteller lösen unsere Ansprüche weitreichende Strategie-, Arbeits- Entwicklungs- und Produktionsprozesse aus, über die sich die Wenigsten im Klaren sind. Digitalisierung, das sind wir alle.

Künstliche Intelligenz ist mittlerweile in aller Munde, doch viele Menschen denken dabei nur an menschenähnliche Roboter aus Science-Fiction-Filmen. Was bedeutet künstliche Intelligenz wirklich, und wo ist sie schon heute zu finden?

Susanne Theisen-Canibol: Künstliche Intelligenz hat in seiner heutigen Anwendung mit Vorstellungen aus Science-Fiction-Filmen wie „I, Robot“ oder „Ex Machina“ nichts zu tun. Dabei ist künstliche Intelligenz in unserem Alltag präsent. Gesichtserkennung ist künstliche Intelligenz, die auf maschinellem Lernen beruht, ebenso wie die Kaufempfehlungen von Online-Plattformen. Was die Entwicklung von KI heute vorantreibt, ist die zunehmende Lernfähigkeit in Verbindung mit großen Datenmengen. So können in Unternehmen Vorgänge, die auf regelbasiertem Abarbeiten von Prozessen beruhen, zunehmend durch Robotik-Anwendungen ausgeführt werden, etwa im Controlling, in der Betriebssicherheit. Aber auch in der Landwirtschaft wird KI eingesetzt: Sensoren im Boden und Drohnen in der Luft machen datengestützte Handlungsstrategien möglich.

Die mit der Digitalisierung einhergehenden tiefgreifenden Veränderungen berühren beinahe alle Lebensbereiche, vom Arbeitsplatz bis hin zum Familienleben im „Smart home“. Wo sehen Sie die ethischen Grenzen der Digitalisierung, und wie können wir zu einer praktikablen Ethik des digitalen Zeitalters kommen?

Susanne Theisen-Canibol: Smart Home, Smart Health: wir vertrauen das, was uns am wertvollsten ist – Haus, Wohnung, Gesundheit – Technologien an, die von Konzernen gesteuert werden, auf die wir als Einzelpersonen keinen Einfluss haben. Und – die Digitalisierung stellt uns vor neue ethische Herausforderungen. Die Frage ist, wie wir uns und anderen Grenzen setzen in einer Welt scheinbar unbegrenzter technologischen Möglichkeiten. Martin Luthers Reformation hat uns gelehrt, die Unverfügbarkeit des Menschen für andere Menschen anzuerkennen. Es braucht Mechanismen, das in unsere heutige Zeit der Allverfügbarkeit von Dingen zu übersetzen, erst recht, wenn wir uns durch die neuen Technologien zunehmend selbst zum Objekt machen. Sie geben uns Werkzeuge an die Hand, unser Leben so individuell und vielleicht auch so gut zu gestalten wie nie zuvor. Themen wie Selbstbestimmung, Anonymität, Sicherheit und Vertrauen müssen mit neuen Inhalten gefüllt werden – in Universitäten, an runden Tischen auf vielen Ebenen. Das geht uns alle an.

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