Vitamin B für den Kreis

Von Ulf Krone.

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Nachrichten oder Reportagen über die Wohnungsnot in Deutschland, die inzwischen längst eine Wohnraumkrise ist. Zu verdanken haben wir dies einer von Wirtschaftslobbyismus bestimmten Politik, die es versäumte, ihrer Aufgabe zur Schaffung bezahlbarer Wohnungen angemessen nachzukommen, und es vorzog, besonders die deutschen Innenstädte dem Ausverkauf durch Investoren, die zumeist Spekulanten sind, preiszugeben. Doch das Problem ist längst kein rein urbanes mehr.

Foto: Das Team von Vitamin B (v.l.) Jannick Popelka, Jana König, Susanne Bluhm-Janßen, Leonore Mankau und Ev Rohrwacher gemeinsam mit Olga Stüwe (vorne links)

Auch im Kreis Groß-Gerau fehlen jedes Jahr 1.600 Wohnungen für Geflüchtete und Wohnungslose, die von der desolaten Situation auf dem Wohnungsmarkt besonders betroffen sind. Denn ihnen fehlt zumeist Vitamin B, die Beziehungen, die ihnen den Zugang zu Wohnraum über die üblichen Kanäle der Zeitungsannoncen und Online-Anzeigen hinaus ermöglichen könnten. Freunde, die von einer freien Wohnung im Haus erzählen, Nachbarn, deren Verwandte eine Immobilie besitzen und nach einem Mieter suchen, oder Bekannte, die sich in ihrer Wohngegend nach freiwerdenden Wohnungen umhören. Ich bin zu Besuch bei der Neuen Wohnraumhilfe (NWH), die seit Beginn des Jahres von Kranichstein in Darmstadts Norden aus diesen Menschen helfen möchte. Bei der 1991 gegründeten NWH geht es im Kern um die Vermittlung von Mietraum, und dabei tritt die NWH mit 350 verwalteten Wohnungen in Darmstadt und Umgebung auch als Vermieterin auf. Weitere Schwerpunkte der Arbeit sind das betreute Wohnen für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten oder Suchterkrankungen, die soziale Mieterberatung, etwa bei Mietschulden, Streitigkeiten oder Lärmbeschwerden, wofür extra ein „Lärmtelefon“ eingerichtet wurde, sowie seit 2015 die Kooperation Asyl mit dem sozialpädagogischen Verein Horizont aus Dieburg, wo man Wohnhäuser für Flüchtlinge verwaltet. Darüber hinaus tritt die NWH als Träger für soziale Projekte auf – wie Vitamin B des Kreises Groß-Gerau.

Jana König leitet das Projekt bei der NWH und erläutert im Gespräch die Herangehensweise an das Problem der Wohnungssuche. „Die Arbeit im Projekt setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen, zum einen der Öffentlichkeitsarbeit auf allen Kanälen, etwa im Internet oder mit unserem Wohnzimmer ohne Dach auf Tour im Kreis, zum anderen dem Service, mit dem wir Wohnungssuchende, aber ebenso später Mieter und Vermieter unterstützen. Kooperationen spielen dabei eine große Rolle, etwa mit einem Dolmetsch-Pool. Dadurch unterstützen und entlasten wir auch die Ehrenamtlichen, die solche Aufgaben sonst vielfach übernehmen.“

Der Kern des Projekts ist laut Jana König die Funktion einer Schnittstelle für Informationen. Auf der von der Agentur für Onlinekommunikation qu“ntchen+gl“ck erstellten Homepage können Menschen aus dem Kreis freie Wohnungen melden und Vermieter Kontakt aufnehmen. „Wir helfen dann beim so genannten Matching, um den passenden Vermieter mit dem passenden Mieter zusammenzubringen“, erklärt Jana König. „Außerdem haben wir bisher schon zehn Workshops zur Frage ‚Wie sucht man eigentlich nach einer neuen Wohnung?‘ angeboten, wo Themen wie Versicherungen, besonders die so wichtige Haftpflichtversicherung, oder Verpflichtungen als Mieter besprochen werden. Dabei befinden wir uns in enger Zusammenarbeit mit den Wohnungsämtern und bieten Info-Material in verschiedenen Sprachen an.“

Insgesamt gelinge es eigentlich viel leichter als gedacht, passenden Wohnraum zu finden. Und so konnten seit Mai bereits 34 Personen eine neue Wohnung beziehen. Einige ihrer Geschichten und was es für sie bedeutet, endlich in den eigenen vier Wänden leben zu können, sind auf der Homepage des Projekts dokumentiert. Denn bei einer eigenen Wohnung geht es um so viel mehr als um ein Bett und ein Dach über dem Kopf. Deshalb gibt es auch das Wohnzimmer ohne Dach, mit dem die NWH durch den Kreis zieht, um das Projekt der Öffentlichkeit vorzustellen.

Aber auch nach dem Einzug ist die Arbeit noch nicht vorbei, weiß Jana König. „Wir sind permanent in Begleitung der Mietverhältnisse, wir sind ganz nah dran. Wenn es Probleme gibt, dann helfen wir. Wir schalten das Wohnungsamt ein, wir fragen bei den Ämtern nach, wenn die Mietzuschüsse auf sich warten lassen, und versuchen bei Konflikten zu vermitteln.“ Bereits seit Jahren arbeitet die NWH für den Kreis Groß-Gerau, und auch für das Vitamin-B-Projekt steht man in engem Austausch, namentlich mit Olga Stüwe von der Stabsstelle Asyl und Zuwanderung der Kreisverwaltung. Die lobt dann auch die hervorragende Zusammenarbeit und das Engagement des NWH-Teams. 34 zufriedene Neumieter geben ihnen Recht.

„Bundesweit gibt es bloß sechs soziale Wohnungsagenturen“, berichtet Jana König zum Schluss unseres Gesprächs. Ein Projekt wie Vitamin B ist allerdings (noch) einzigartig, aber bei diesem Erfolg ist es nur eine Frage der Zeit, bis es Nachahmer in anderen Teilen des Landes finden wird.

Weitere Informationen zum Projekt unter: www.dein-vitamin-b.de oder bei Facebook unter www.facebook.com/deinvitaminb

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