Vom kulturellen Erbe der Kreisstadt
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Von Rainer Beutel
Das Stadtmuseum in Groß-Gerau kennen viele. Etliche Schulklassen besuchen es jedes Jahr, Gäste kommen von außerhalb und viele Groß-Gerauer nutzen wiederholte Besuche, um sich ortshistorisch zu bilden. Was dort ausgestellt wird, beschreibt aber nur die Oberfläche, ist quasi die Spitze des Eisbergs. Es sind ausgewählte Exponate, die konzeptionell zu diesem oder jenem Thema oder zu den Dauerausstellungen passen. Was viele indes nicht wissen: In Dornheim gibt es in der Alten Darmstädter Straße eine Dependance, die zwar (noch) nicht für die Öffentlichkeit zugänglich ist, aber früher oder später als „kulturelles Erbe der Stadt“ für Führungen frei gegeben werden soll. Das WIR-Magazin erhielt einen ersten Einblick.
Dort trafen wir kompetente Historiker wie Jürgen Schlamp, Bernd Mertens und Werner Jährling bei ihrer unermüdlichen Archivarbeit und nutzte die Gelegenheit, mit Jürgen Volkmann, dem Leiter des Stadtmuseums, über die weitere Entwicklung zu sprechen. Sich dabei auf das Gespräch zu konzentrieren, war übrigens gar nicht so einfach. Denn die Dornheimer Sammlung sprengt in Fülle und Qualität beinahe jede Vorstellungskraft. Bis zu 40.000 Datensätze spiegeln wider, was die Ehrenamtler bereits digital archiviert haben, um es bei Bedarf schnell zu finden. Regale voller Schätze, etwa von den Ausgrabungen auf Esch, reihen sich aneinander. Hier steht ein Spinnrad, dort eine Schlachtbank, und nicht weit entfernt lagern mal so ganz nebenbei Mühlsteine der Römer, die in anderen Museen Prunkstücke wären. Genau genommen, sagen Jürgen Volkmann und seine sachkundigen Mitarbeiter, ist der Fundus so riesig, dass ein archäologisches Museum für den gesamten Kreis mit finanzieller Unterstützung aller Kommunen angebracht wäre. Daher ergeben sich Fragen, wie das Depot in Dornheim entstand und was damit geschieht.
Seit wann gibt es diese Dependance des Stadtmuseums, wie kam es dazu und was ist dort gelagert?
Jürgen Volkmann: Das alte Raiffeisengebäude in Dornheim, die „Gummernhall“, wie die Dornheimer zu sagen pflegen, wurde 2001 von der Stadt gekauft, um es für die Sammlung des Stadtmuseums zu nutzen, die zuvor in Räumen der Alten Brauerei untergebracht war. Damit sollten langfristig Kosten eingespart werden, was auch gelungen ist. Das Museumsdepot nimmt die archäologischen Funde seit der Mittelsteinzeit sowie die alltags- und stadtgeschichtliche Sammlung auf – also landwirtschaftliche Geräte, Hausrat und Stadtgeschichtliches der vergangenen Jahrhunderte mit Schwerpunkt ab 1850.
Nach welchen Kriterien entschieden Sie oder Ihre Mitarbeiter, ob das eine oder andere Exponat aus dem Depot, salopp gesagt, „ins Stadtmuseum aufsteigt“ und dann für viele Museumsbesucher zu sehen ist?
Jürgen Volkmann: Zunächst ist es das Konzept der bestehenden Dauerausstellung im Stadtmuseum, das darüber entscheidet, welche Exponate präsentiert werden. Im Moment bietet die Dauerausstellung zwei große Abteilung: Zum einen das römerzeitliche Groß-Gerau und zum andern den Zeitraum 1920 bis 1990. Mit den Römern sind insbesondere die Groß-Gerauer Schulen zu erreichen, die regelmäßig und nahezu flächendeckend ins Museum kommen. Mit der Darstellung der jüngeren Geschichte werden die heute in Groß-Gerau lebenden Generationen angesprochen, über ihre eigene Lebensgeschichte im Kontext der Stadtgeschichte zu reflektieren und ins Gespräch zu kommen.
Übrigens verfolgen wir in unserer Vermittlung der Groß-Gerauer Geschichte das Credo, dort mit dem Publikum hinzugehen, wo sie am anschaulichsten darzustellen ist. Das heißt, wenn wir, wie im Falle der frühen Neuzeit oder des Mittelalters, dies mit den Sammlungsbeständen nicht hinreichend anschaulich machen können, gehen wir in die Stadt selbst und eröffnen dort in Straßen, Plätzen und vor Gebäuden Zugänge zur Vergangenheit. Die thematisch breit gefächerten Stadtführungen sind inzwischen ein zweites Standbein der Museumsarbeit und werden reichlich nachgefragt.
Neben der Dauerausstellung stehen die Dornheimer Bestände, die wie in jedem Museum den größten Teil der Sammlung ausmachen, zunächst bereit für Sonderausstellungen: Für das nächste Jahr wird gerade eine Ausstellung zum Frühmittelalter vorbereitet, zu der es bedeutende Funde aus Wallerstädten gibt. Zur jüngeren Stadtgeschichte wird darüber hinaus eine Ausstellung zu den 80er Jahren in Groß-Gerau erarbeitet, die sich unter anderem ebenfalls aus den Beständen in Dornheim speist.
Außerdem hat eine nicht ständig präsentierte Sammlung aber noch eine weitere, ganz wichtige Funktion. Sie stellt – neben den historischen Bauwerken der Stadt und den Beständen des Stadtarchivs – das kulturelle Erbe dar, das wir künftigen Generationen hinterlassen müssen, damit sie sich ein Bild von der Vergangenheit machen können. Sie können sich vor allem die Besonderheiten der geschichtlichen Entwicklung Groß-Geraus vor Augen führen, wie sie jeden Ort auszeichnen und ihm eine besondere Identität geben.
So wird es mit Sicherheit dazu kommen, dass unter anderem auch die jetzige Dauerausstellung einem neuen Konzept weichen wird und damit andere Teile der Sammlung in die ständige Präsentation überführt werden. Da dies aber mit größeren Kosten verbunden ist, geschieht das nur in größeren Zeitabständen. Bei uns gab es mit der Neueinrichtung des Stadtmuseums Am Marktplatz 1993 die erste Dauerstellung. Sie wurde im Jahre 2007 durch die jetzige ersetzt.
Gibt es die Chance für Interessenten, die Auslagerung zu besichtigen?
Jürgen Volkmann: Wir sind nach einem schlimmen Wasserschaden vor einigen Jahren dabei, die Konservierungsmaßnahmen und die Neuaufstellung der Sammlung auch Dank der Unterstützung durch den Förderverein Stadtmuseum unter seinem Vorsitzenden Hans Wieschollek zum Ende zu bringen. Anschließend stellen wir uns vor, das Museumsdepot im Rahmen von Führungen und Aktionstagen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich bin sicher, dies wird eine weitere Attraktion in unserm breitgefächerten Angebot werden.
Gesprächspartner: Rainer Beutel