Vorab schon mal ins Glas geschaut
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Von Rainer Beutel
Eine Einladung zu einer Weinmesse? Wem so etwas unverhofft ins Haus flattert, freut sich womöglich auf einen Tag voller süffiger Genüsse. Die wenigsten ahnen, dass eine solche Veranstaltung für eine Expertin wie Ildiko Hurlin alles andere als vergnüglich verläuft. Vielmehr ist es harte Arbeit.
Da kommt im Vergleich zum Nauheimer Weinfest am ersten Septemberwochenende ein eher lebensbejahender Stellenwert zu. Die Angebote bei der Großveranstaltung rund ums Atrium (Georg-Mischlich-Platz) sollen am 3. und 4. September vieles aus dem Vorjahr noch übertreffen. Das versichern Gewerbetreibende und Vereinsvertreter, die sich darauf intensiv vorbereiten. Dem Stand von Ildiko Hurlin kommt eine besondere Bedeutung zu. Nicht nur, weil ihr Feinkostgeschäft im Atrium längst den Nimbus eines Geheimtipps hinter sich gelassen hat, sondern vor allem, weil die Chefin mit ihrem ausgewählten Sortiment eine Garantie für exquisite Gaumenfreuden liefert. Das hat Gründe – gute und anstrengende.
Ildiko Hurlin ist in Ungarn geboren, wo sie auch einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. 1980 siedelte sie mit ihren Eltern nach Deutschland über. In ihrer früheren Heimat pflegte ihr Großvater eigene Weinberge. So verwundert es kaum, dass sie schon als junges Mädchen mit der Herstellung des Rebensaftes in Berührung kam. „Mit 21, 22 Jahren habe ich angefangen, mich noch mehr für Weine zu interessieren“, erzählt sie. Querbeet habe sie alles probiert, was sie entdecken konnte. Die Erfahrungen blieben nicht aus. Etwa die Tatsache, dass ein zunächst wohl schmeckender Tropfen auch unangenehme Folgen entfalten kann, die sich gerne mit nächtlicher Verzögerung einstellen, etwa Kopfschmerzen oder Sodbrennen. Längst kennt Ildiko Hurlin ihre Pappenheimer in Winzerkreisen. Sie weiß und schmeckt, wer es mit dem Beimischen von Eichenchips übertreibt, um vermeintlichen Genießern das Aroma eines im Barriquefass gelagerten Produktes vorzugaukeln.
Mit Fachliteratur, bei Verkostungen und durch die Teilnahme an Seminaren hat sie ihre Weinkenntnisse sukzessive vertieft. Warum riecht dieser Rote muffig? Warum setzt ein anderer Schmeichler verführerische Aromen von Brombeeren und Kirschen frei? Die Fachfrau kann solche Fragen zutreffend beantworten und ihren Kunden entsprechende Empfehlungen glaubwürdig darlegen. Beruflich beschäftigt sie sich seit 2003 mit Wein. In der Hofreite der Hurlins in der Hintergasse – nicht wenige Besucher aus dem Gerauer Land kennen dieses idyllische Örtchen von der Konzertreihe „Live im Hof“ – öffnete Ildiko Hurlin zunächst ein Mal in der Woche ihren ersten kleinen, aber exklusiven Weinhandel. Um einen Feinkostladen wie im Atrium zu führen, bedarf es aber mehr. Dazu gehören auch besagte Weinmessen, in erster Linie die „ProWein“ in Düsseldorf. Die Fachmesse lockt jährlich ein weltweites Publikum an. Wer nun mit irrtümlicher Vorfreude annimmt, das wäre doch mal ein Besuch wert, sollte wissen, dass sich solche Messen meist über drei Tage strecken und sich die Fachbesucher in den ersten acht bis zehn Stunden meist ausschließlich der Weinverkostung widmen. Am Folgetag wird eher Hochprozentiges verkostet. Schließlich muss an Tag drei alles ausgewertet werden. So geht es beim Weinfest in Nauheim natürlich nicht zu, auch wenn dort der eine oder andere zu tief ins Glas schauen mag. Die Expertin rät für das erste Septemberwochenende zu einer vorsichtigen Herangehensweise, nicht nur um herauszufinden, was einem gut schmeckt, sondern was einem gut bekommt. Die Recherche solle keineswegs von Preis, Label oder Etikett bestimmt sein. Gleichwohl weiß sie, dass mit der Sechs-Euro-Preisklasse (und darunter) die Chancen steigen, morgens mit Brummschädel aufzuwachen.
Ildiko Hurlin gehört einer Einkaufsgenossenschaft an, deren Mitarbeiter Weingüter in Italien, Spanien und Frankreich aufsuchen, um eine Vorauswahl zu treffen. Dabei rutschen manche Erzeuger durchs Raster, deren Jahrgänge früher besser waren, nun aber nicht mehr im Regal bei „Ildikos“ im Atrium oder im Ausschank auf dem Weinfest landen. Dafür finden sich aber immer wieder mal neue Sorten. „In diesem Sommer sind es ausgewählte sardische Weine“, verrät die Kennerin.
Beim Weinfest will Ildiko Hurlin drei bis vier „Weiße“, mindestens zwei Rosé und bis zu sechs Rotweine kredenzen. Auf Wunsch holt sie aus ihrem Geschäft weitere Sorten. Dazu reicht sie Häppchen, damit die Gaumen ihrer Gäste etwas sensibler auf die flüssigen Reize reagieren.
Apropos: Die feinschmeckerischen Fähigkeiten der Nauheimer Geschäftsfrau beschränken sich nicht nur auf exklusive Getränke. Sie ist auch eine exzellente Köchin und schnalzt mit der Zunge: „Eine Soße kocht bei mir drei Tage.“ Dabei offenbart sich ein Lebensmotto der seit 21 Jahren glücklich verheirateten Frau mit zwei erwachsenen Kindern. „Wir leben nicht lang genug, um schlechte Sachen zu essen – oder zu trinken“.