Weit entfernt vom Zentrum und doch mittendrin

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Wilhelm Funk wurde am 24. Mai 1934 in der Bahnhofstraße in Dornheim geboren. Im elterlichen Betrieb lernte er den Beruf des Landwirts, den er bis heute ausübt. 1971 siedelte er aus und bewirtschaftet seitdem den Hof Rheinblick. Für seine ehrenamtlichen Verdienste in verschiedenen Vereinen wurde er 1995 mit dem Landesehrenbrief ausgezeichnet.

 

Von Rainer Beutel

Eine Fahrt zum Hof Rheinblick auf den Dornheimer Landwiesen: ­Rainer Beutel von der WIR-Redaktion besuchte dort Wilhelm Funk in seinem abseits gelegenen, schlichten Anwesen. Den Einheimischen ist der 82 Jahre alten Heimatkundler, der beinahe unerschöpflich von seinem Ort zu erzählen weiß, wohl bekannt. Jetzt hat Funk ein Buch über die Geschichte seiner Heimatgemeinde herausgegeben.

Wer Funk auf seinem Anwesen das erste Mal trifft, gerät ins Staunen: Der Senior wartet auf seinen Gast im Hof Rheinblick weit entfernt vom alltäglichen Ortsgeschehen. Doch er wirkt keine Sekunde distanziert oder zurückhaltend. Eher hinterlässt Wilhelm Funk auf Anhieb einen aufgeschlossenen, wissbegierigen Eindruck. Er scheint ein sehr bescheidener Mann zu sein, zufrieden mit dem, was er hat. Modernste technische Geräte sucht man bei ihm auf den ersten Blick vergebens. Ein Computer etwa? Nein, das Manuskript seines Buches hat er ganz einfach mit der Hand geschrieben, wie er das in der Volksschule gelernt hat. Zurzeit bietet Funk den Widrigkeiten seiner angeschlagenen Gesundheit mit großer Energie die Stirn. Trotz dieser Anstrengungen hat er sich vorgenommen, ein weiteres Buch zu verfassen. Sein 160 Seiten großes Werk „Die Straßen von Dornheim – Die Geschichte der alten Straßen, Häuser und Hausnamen“ sei bei weitem noch nicht alles, was er zu überliefern hat, erklärt er bei dem Treffen in seiner Küche, die auch Lebensraum ist.
Sein Buch ist ein Füllhorn des Ortswissens. Der Autor macht es seinen Lesern einfach. In anschaulichen Beschreibungen erzählt Funk, was er von früher weiß – und das ist unglaublich viel. Möglicherweise gibt es nur noch einzelne in Dornheim, bei denen sich diese wertvollen Kenntnisse in ähnlichem Umfang bewahrt haben. Jüngere, Zugezogene, Schüler, aber auch Menschen aus den Nachbarorten und dem gesamten Umland erfahren so viel und geballt über den Groß-Gerauer Ortsteil, wie sie es sonst kaum woanders bekommen können.
Funk geht zum Beispiel auf die Dornheimer Synagoge ein, die er neben vielen anderen historischen Schwarz-Weiß-Aufnahmen vor ihrer Zerstörung im Bild zeigt. Eine Judengemeinde werde schon für das Jahr 1832 als Grundstückseigentümer vermerkt, überliefert er der Nachwelt. 1863 sei dann dort die Synagoge errichtet worden, die von den Nazi-Schergen am 9. November 1938 bei den Pogromen gegen Juden „in Schutt und Asche gelegt“ wurde, wie Funk notiert. Kurz fügt er hinzu: „Heute erinnert ein Gedenkstein an die Synagoge.“
Nur wenige Seiten weiter muss der Leser blättern, um von einem weiteren dunklen Kapitel der Dornheimer Geschichte zu erfahren. Es geht um das Haus in der Rheinstraße 10, das 1898 von der jüdischen Familie Pappenheimer errichtet und später mit einigen Zwischenstationen an die Gemeinde verkauft wurde. „Von 1936 diente dieses Haus als Parteihaus der NSDAP“, ruft Funk ins Gedächtnis. Das Jungvolk sei darin ausgebildet worden. Nach dem Krieg lebten dort Flüchtlingsfamilien. Heute gehöre das Gebäude der Baugenossenschaft Ried. Mit ähnlichen Erinnerungen und Rückblicken geht es Seite um Seite weiter. Funk ist eine wahre Quelle ortshistorischer Besonderheiten, die drohen, vergessen zu werden. Schule, Kirche, Gastwirtschaften, Metzger und Bäcker – auf vieles, was Dornheim geprägt hat, geht er ein. Dazu noch die alten Fotos als Blickfang. Auf einer Aufnahme ist ein Zeppelin über der Gernsheimer Landstraße zu bewundern. Sammler blättern für solche Zeitzeugnisse kleine Vermögen hin.
Ein über 80 Jahre alter Mann schreibt ein Buch – das muss doch anstrengend sein, bemerke ich. „Ich habe eine gute Formulierungsgabe“, betont Funk nicht ohne Stolz, dass Jürgen Volkmann, Leiter des Stadtmuseums, beim Korrekturlesen wenig Mühe gehabt habe. Funk kommt zugute, dass er sein Wissen stets frisch gehalten hat. Von 1999 an war er in Dornheim bei Ortsführungen auf Achse, sozusagen als lebendiges Geschichtsbuch. Das Wissen habe er sich aber nicht allein angeeignet, räumt er ein. Vieles stamme von Katharina Elisabethe Funk, geborene Schwenger – seine Mutter, die ihm immer wieder die alten Dornheimer Geschichten, Fakten wie Anekdoten erzählt habe. So manches davon konnte Wilhelm Funk bei Führungen durch Dornheim bereits an Jüngere vermitteln. Nun aber kommt mit seinem Erstlingswerk allerhand dazu. Wenn es tatsächlich ein weiteres Buch von ihm geben wird, dürfen die Leser gespannt sein. Der Mann hat noch sehr viel zu erzählen, und es scheint, als lebe er mitten im Dornheimer Zentrum, so abseits der Hof Rheinblick auch liegen mag.

Das Buch „Die Straßen von Dornheim“ wurde mit einer Auflage von 400 Exemplaren im Offsetdruck Schaffner, Riedstadt, gedruckt. Es kostet 15 €. Zu haben ist es bei Wilhelm Funk persönlich (Hof Rheinblick), im Farbenhaus Rückert und im Stadtmuseum Groß-Gerau.

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