Engagement und Fachwissen

Von Rainer Beutel.
Seit dem gesundheitsbedingten Rücktritt des parteilosen Roland Kappes vom Bürgermeisteramt führt in Nauheim der Gemeindevorstand als Kollektivorgan die Amtsgeschäfte. Zwar steht Erste Beigeordnete Rosalia Radosti (SPD) als stellvertretende Bürgermeisterin im Fokus. Sie ist aber nicht allein und erklärt im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel, wie anfallende Aufgaben in einer nicht alltäglichen Situation gemeinsam geschultert werden.
Frau Radosti, Sie stehen nach dem Rücktritt von Roland Kappes als dessen Stellvertreterin in der Verantwortung. Es heißt, das Bürgermeisteramt ist ein 24/7-Job. Was bedeutet es, als Amtschefin beinahe rund um die Uhr bereit sein zu müssen? Was macht das mit Ihnen persönlich?
Rosalia Radosti: Für mich persönlich bedeutet diese Aufgabe, meine Zeit gut zu organisieren und Prioritäten zu setzen. Natürlich gibt es viele feste Termine, die vorgegeben sind und an denen ich teilnehme wie beispielsweise die regelmäßigen Bürgermeisterdienstversammlungen oder die Vorstandssitzungen des Wasserwerks Gerauer Land, aber auch viele interne Jour-Fix-Termine. Es ist eine große Verantwortung, denn die Bürgerinnen und Bürger unserer Gemeinde erwarten zu Recht, dass wir aktiv an Lösungen für die zahlreichen Herausforderungen arbeiten, die Nauheim derzeit beschäftigen.
Wer ist dabei eingebunden?
Rosalia Radosti: Gemeinsam mit dem Gemeindevorstand setzen wir alles daran, keine Themen liegen zu lassen, sondern alle wichtigen Projekte voranzubringen. Dabei spielen die Beschäftigten der Verwaltung, der Kitas, des Bauhofs und der Kläranlage eine unverzichtbare Rolle. Mit ihrem Fachwissen und ihrem Engagement leisten sie einen entscheidenden Beitrag zur Bewältigung der vielfältigen Aufgaben, die in unserer Gemeinde anfallen. Ich bin sehr dankbar für die sehr gute Zusammenarbeit und das große Vertrauen, das wir einander entgegenbringen.
Seit dem Ausscheiden von Roland Kappes als Bürgermeister ist zu beobachten, dass die Verteilung der Amtsführung auf die Beigeordneten gut funktioniert hat. Wie wurde das organisiert?
Rosalia Radosti: Wir hatten bereits im Sommer vor meiner geplanten beruflichen Auszeit (ein Sabbatical), über eine sinnvolle Aufteilung der Vertretung im Gemeindevorstand gesprochen – insbesondere angesichts des längeren krankheitsbedingten Ausfalls von Roland Kappes. Bevor ich meine erste Auslandsreise angetreten habe, hatte ich Roland Kappes bereits fünf Wochen vertreten. Wir hatten deshalb schon im Gemeindevorstand gemeinsam festgelegt, wie die Vertretung während meiner Auszeit geregelt wird, falls Roland Kappes weiterhin ausfällt. Als Gemeindevorstand arbeiten wir seit über dreieinhalb Jahren eng und vertrauensvoll mit der Verwaltung zusammen. In dieser Zeit haben wir uns gut in die verschiedenen Themenbereiche eingearbeitet.
Können Sie bitte konkrete Beispiele nennen, bei denen es mit der Vertretung besonders gut funktioniert hat?
Rosalia Radosti: Ja, da fällt mir der Weihnachtsmarkt ein, der von der Gemeinde und hier federführend von Herrn Klaus Fischer organisiert wurde – oder auch die Vertretungsregelung während meines Sabbaticals, die hauptsächlich von Hubert Deckert, Klaus Fischer und Helga Stadler abgedeckt wurde, und in dieser Weise nicht selbstverständlich ist – für jeden Tag war eine Vertretung geregelt. Und natürlich haben auch die anderen Gemeindevorstandsmitglieder wie Gaby Hochmuth, Silvia Best und Kerstin Deimer darüber hinaus Einzeltermine wahrgenommen.
Welche guten und schlechten Erfahrungen haben Sie und ihre Kolleginnen und Kollegen aus dem Gemeindevorstand bislang gemacht bzw. machen müssen?
Rosalia Radosti: Die Arbeit im Rathaus an vorderster Stelle ist definitiv eine Herausforderung, die viel Einsatz, Engagement und einen kühlen Kopf erfordert. Mir fällt immer wieder auf, dass Probleme häufig gut beschrieben und intensiv diskutiert werden, aber wir sollten uns noch stärker auf die Lösungen fokussieren.

Zu den positiven Erfahrungen zählt ganz klar die konstruktive Zusammenarbeit im Gemeindevorstand und mit der Verwaltung. Herausfordernd sind jedoch die hohen Erwartungen, die an uns gestellt werden – oft verbunden mit der Vorstellung, dass wir alle Probleme sofort lösen oder Fragen immer direkt beantworten können. Dabei stoßen wir manchmal an Grenzen, sei es durch knappe Ressourcen, wie den Fachkräftemangel, rechtliche Vorgaben oder noch offene Klärungen. In solchen Momenten benötigen wir Geduld, klare Kommunikation und einen langen Atem. An unserer Kommunikation arbeiten wir noch hier und da, da es sicherlich noch Potenzial nach oben gibt.
Bisweilen entsteht der Eindruck, es geht nicht so richtig voran …
Rosalia Radosti: Nun, aktuell gibt es Projekte, bei denen der Eindruck entstehen könnte, dass sie ins Stocken geraten sind. Das ist jedoch nicht der Fall. Tatsächlich wird an allen Themen intensiv weitergearbeitet. Oft können wir jedoch keine Details preisgeben, da bestimmte Informationen vertraulich sind oder sich noch in der Klärungsphase befinden.
Für die Verwaltungsbediensteten ist die momentane Situation ungewohnt oder zumindest nicht alltäglich. Was ist Ihr Eindruck: Wie kommen die Angestellten im Rathaus mit der Situation zurecht?
Rosalia Radosti: Die aktuelle Situation ist für alle Beteiligten, auch für die Beschäftigten, definitiv ungewohnt. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Beschäftigten sehr professionell mit der Lage umgehen. Sie zeigen sich flexibel und engagiert, arbeiten weiterhin mit viel Einsatz an den laufenden Aufgaben. Der Gemeindevorstand ist stets ein verlässlicher Partner für alle Beschäftigten sowie den Personalrat.
Unabhängig von der Bürgermeisterwahl am 16. Februar dreht sich in Nauheim jetzt vieles um den Haushaltsplan 2025. Kann das Kollektivorgan Gemeindevorstand finanzpolitische Schwerpunkte setzen oder ist das reine Verwaltungsarbeit?
Rosalia Radosti: Wir haben das Angebot aller Fraktionen angenommen und suchen daher aktiv die Zusammenarbeit bei den Haushaltsberatungen. Der Dialog mit den Fraktionen ist uns wichtig, um gemeinsam gute Lösungen für die finanzielle Zukunft unserer Gemeinde zu finden und sicherzustellen. Über die finanzpolitischen Schwerpunkte können wir erst nach der Haushaltseinbringung sprechen.
Der Gemeindevorstand verteilt regionale oder überregionale Termine auf mehrere Schultern. Ist diese Vorgehensweise für die Zukunft richtungsweisend?
Rosalia Radosti: In der aktuellen Situation ist das sicherlich ein Vorteil. Sobald das Amt des Bürgermeisters wieder hauptamtlich besetzt ist, obliegt es zunächst ihm, solche Termine wahrzunehmen. Die Regelungen der Hessischen Gemeindeordnung geben die Möglichkeit, Beigeordneten des Gemeindevorstands Aufgaben zu übertragen. Die Einschätzung, ob ein solches Vorgehen effektiv ist, kann und sollte ein hauptamtlicher Bürgermeister bei Übernahme der Amtsgeschäfte entscheiden. Ich persönlich würde mir wünschen, dass er sich nicht als „Einzelkämpfer“ versteht, sondern auf die Kompetenz und Unterstützung der Gemeindevorstandsmitglieder vertraut, denn letztlich haben wir in diesem Gremium doch alle ein gemeinsames Ziel: Nauheim für alle Bürgerinnen und Bürger so lebenswert wie möglich zu gestalten.
Welchen Tipp können Sie einem künftigen Verwaltungschef mit auf den Weg geben, wie ein Gemeindeoberhaupt mit Bürgern kommuniziert, diese in politische Prozesse einbindet, aber sich gleichzeitig auch abgrenzen sollte, um der Belastung und den Ansprüchen über (mindestens) sechs Jahre standzuhalten.
Rosalia Radosti: Die aktive Einbindung der Bürgerinnen und Bürger ist ein zentraler Bestandteil der modernen Kommunalpolitik. Voraussetzung ist dann aber auch eine offene und transparente Kommunikation. Meiner Meinung nach müssen die Bürgerinnen bei vielen Themen viel früher eingebunden werden. Aber auch die Beschäftigten sollen so früh wie möglich informiert werden, bevor sie Informationen, die sie betreffen, aus den Medien erfahren.
Wichtig ist, sich hier gut einzuarbeiten und mit dem Gemeindevorstand eng zusammenzuarbeiten. Der neue Bürgermeister wird wohl auch Gegenwind aushalten und Konflikte lösen müssen. Dafür braucht es die nötige Gelassenheit und viel Einfühlungsvermögen.

Zur Person: Rosalia Radosti (Kontakt: ebgd@nauheim.de) ist seit 2021 stellvertretende Bürgermeisterin; 2022 kandidierte sie für das Spitzenamt. Unter anderem war sie Gemeindevertretervorsteherin (2006 bis 2008), SPD-Kreistagsabgeordnete (1996 bis 2001) und Vorsitzende des Ausländerbeirats in Nauheim (1994).
Bürgermeisterwahl in Nauheim: Die Direktwahl ist am Sonntag, 16. Februar. Eine mögliche Stichwahl ist für den 9. März terminiert. Am 28. Januar findet in der SKV-Halle (Königstädter Straße 75) eine Podiumsdiskussion mit allen Kandidaten statt.