Hoffen auf Normalität
Von Ulf Krone.
Ein Jahr Corona, davon lange Wochen in Lockdowns, in denen bis auf Lebensmittelgeschäfte und Apotheken beinahe alles geschlossen ist. Die Menschen sind in Kurzarbeit oder, sofern möglich, im Homeoffice, und Kultur findet, wenn überhaupt, online statt. Ein Ende des Lockdowns sowie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind gerade erst zu erahnen, doch es steht bereits fest, dass der Einzelhandel besonders schwer getroffen wurde. Wie es dem Gewerbe vor Ort in der Kreisstadt geht, hat WIR-Redakteur Ulf Krone bei Jörg Leinekugel, Vorsitzender des Gewerbevereins Groß-Gerau, nachgefragt.
Herr Leinekugel, wie geht es Ihnen, wie geht es Ihrem Geschäft im neuerlichen Lockdown? Wie gehen Sie mit der langen Schließung um?
Jörg Leinekugel: Je länger der Lockdown anhält, umso größer werden die Sorgen. Unsere Mitarbeiterinnen sind Zuhause. Die laufenden Kosten, das Ausbleiben der versprochenen Hilfen und die Ungewissheit, wie lange die Schließung noch dauert, zehrt an den Nerven. Um uns abzusichern, mussten wir notgedrungen einen KFW-Kredit in Anspruch nehmen. Dieser verschafft uns zwar momentane Liquidität, muss aber natürlich aus den laufenden Umsätzen nach der Wiedereröffnung zurückgeführt werden. Eine Belastung, die wir ohne den Lockdown nicht gehabt hätten. Unser Geschäft hat jeden Morgen für zwei Stunden zur Abholung von Bestellungen aus unserem Webshop oder Reparaturen von Uhren geöffnet. Dies ist eher eine homöopathische Lösung, da die damit erzielten Umsätze nicht mit normalen Zeiten zu vergleichen sind. Auf normale Zeiten mit den entsprechenden Umsätzen hoffen wir und unsere Lieferanten natürlich auch.
Wie ist die generelle Stimmung unter den Gewerbetreibenden in der Kreisstadt?
Jörg Leinekugel: Jeder versucht, das Beste daraus zu machen. Einige ärgern sich, dass Sie schließen müssen, aber es fast schon einen Shopping-Tourismus zu den Vollsortimentern REAL, GLOBUS, KAUFLAND etc. gibt. Dort scheinen Abstandsregeln außer Kraft gesetzt zu sein, wenn man das Gedränge an den Theken und Kassen beobachtet.
In der Politik folgt Impf-Gipfel auf Ministerpräsidenten-Konferenz, aber die Kritik an den Verantwortlichen und ihren Beschlüssen wächst. Die Corona-Hilfen etwa gelten als zu bürokratisch, und die Gelder fließen nur verzögert. Was wünschen sich die Gewerbetreibenden von der Politik?
Jörg Leinekugel: Ganz einfach: auf Worte Taten folgen zu lassen. Am 10. Februar wurde auf dem letzten Gipfel verkündet, dass ab sofort die Hilfen zu beantragen wären. Tatsache ist, dass das Portal vielleicht am 15. Februar überhaupt erst frei geschaltet wird. In der jetzigen Situation zählt eben jeder Tag.
Der Einzelhandel stand bereits vor der Corona-Pandemie vor großen Herausforderungen wie der Digitalisierung und der Konkurrenz durch den Online-Handel. Lässt sich bereits absehen, welche Folgen die aktuelle Krise für die Gewerbetreibenden, etwa in der Kreisstadt, haben wird?
Jörg Leinekugel: Die Geschäftsmodelle werden intensiver durchdacht. Der Frequenz-Rückgang in den Innenstädten und die zunehmende Abwanderung zum Online-Shoppen sind Herausforderungen, die es schon vor der Krise gab, jetzt aber ein Handeln nötig machen. Zum Beispiel hybride Einkaufsmöglichkeiten wie Click and Collect müssen – wenn nicht schon vorhanden – installiert werden. Die Innenstadt muss als Einkaufserlebnis mit Verweildauer gesehen werden. Dazu gehört ein gutes Stadtmarketing. Der Gewerbeverein und die Stadt Groß-Gerau arbeiten hier eng zusammen, um dies zu erreichen.
Welche Schlüsse ziehen Sie als Unternehmer aus der Corona-Krise, und bietet die Situation Ihrer Meinung nach auch Chancen?
Jörg Leinekugel: Das beste Geschäftsmodell nutzt nichts gegen eine solche Pandemie, und es ist immer gut, wenn man noch einen Plan B hat. Als Chance hat sich gezeigt, dass Dinge und Techniken sich plötzlich doch schneller umsetzen lassen als gedacht. Die Digitalisierung und die neue Art von Kommunikation – etwa durch Beratung per Video – werden in Zukunft stärker eingesetzt.