Der Wehrpass

Von Klaus Meinke.
Wenn man die Wohnung eines verstorbenen Verwandten ausräumen muss, findet man Erinnerungsstücke, von denen man nichts ahnte. Doch sie öffnen den Blick in die Welt der Verstorbenen.
So ging es auch uns, als wir die Wohnung einer verstorbenen Verwandten ausräumten. Wir fanden einen Wehrpass, Erinnerung an einen Toten, den wir nur aus Erzählungen kannten und von dem wir nicht ahnten, wie wichtig er der Verstorbenen gewesen war. Ein typischer Deutscher seines Jahrgangs. Erwin D., geb. 21.10.1922 steht auf der vierten Seite und links daneben auf Seite drei ist sein Passfoto mit Unterschrift: ein braver Schüler mit kurzem, streng gescheiteltem Haar und einer Fliege am Hals. Der noch etwas kindliche Namenszug schräg über dem Foto. Ein Major des Wehrbezirks Stettin hat dies am 9.7.1940 bestätigt.
Auf den nächsten beiden Seiten ist festgehalten, dass er noch Gymnasiast der 8. Klasse mit Französisch-Kenntnissen ist und sich mit knapp 18 Jahren als Freiwilliger gemeldet hat. Am 18.10.1940 ist die Aushebung mit der Maßgabe „zur Offizierslaufbahn vorgesehen“ vermerkt. Am 25.10. tritt er schon den Dienst an im 3. Infanterie Ersatz Battaillon 25 in Stargardt in Pommern, und seine Vereidigung fand am 2.11 statt. Auf den nächsten Seiten ist nur wenig vermerkt: Ausbildung an Gewehr und MG sowie eine zweiwöchige Melder-Ausbildung und ein Lehrgang. Ein halbes Jahr später wird er zum Gefreiten befördert und drei Monate später schon zum Fahnenjunker.
Für seinen weiteren Lebensweg reicht nun eine Seite. Von November 1940 bis zum 27.9.1941 werden verschiedene Einsatzorte kurz verzeichnet. Die letzte Aufzeichnung lautet: „Bei Kämpfen um Schlüsselburg, Russland (ca. 30 km von Leningrad, heute St. Petersburg, entfernt) gefallen.“ Stempel und Unterschrift des Offiziers. Ein junger Mann – ein typisches Schicksal – ein Soldatenschicksal für dessen Leben fünf Seiten im Wehrpass reichen.

ist ehemaliger Stadtverordnetenvorsteher
in Groß-Gerau;
klaus.meinke@t-online.de





