Gerauer Knast-Geschichten

Von Peter Erfurth.

Aus den Unterlagen des Groß-Gerauer Stadtmuseums.

Artikel aus der Kreiszeitung von 1935: (Herr Storck erzählt aus seinem Schulleben von 1850) … denn auf der Niedergasse gab es mancherlei Interessantes zu sehen. Man konnte bspw. die Postkutsche beobachten oder aber den Transport von Gefangenen, der damals sehr häufig und zwar meistens am Dienstag jeder Woche erfolgte. Fremde Gendarmen brachten und holten Gefangene aus dem Groß-Gerauer „Kittchen“. Die Gefangenen waren je nach der Schwere ihrer Vergehen an den offenen Wagen, in dem sie befördert wurden, mit Handschellen angeschlossen.

Kreisblatt von 1884: Einen frechen Diebstahlversuch verübte Donnerstag Abend eine schon mehrmals bestrafte Frauensperson aus Wixhausen. Dieselbe schlich sich im Gasthause „zum Adler“ in die Stube eines Mädchens und hatte schon verschiedene Sachen eingepackt, als sie in ihrem Vorhaben gestört wurde. Da sie keinen anderen Ausweg wußte, versteckte sie sich unter einer Bettlade. Der Sohn des Hauses verfolgte die Person und machte sie dingfest. Unter großem Zulaufe des Publikums wurde sie später von der Gendarmerie ins „Kloster“ abgeführt, wo sie über das „Mein“ und „Dein“ weiter nachdenken kann.

Kreisblatt von 1889: Wie bekannt, kann man Insassen des hiesigen Gefängnisses nach vorheriger Anmeldung an maßgebender Stelle zur Verrichtung von Arbeiten zugewiesen erhalten, doch übernimmt man damit auch zugleich die Verpflichtung, in geeigneter Weise aufzupassen. So war auch einem hiesigen Geschäfte seit einigen Tagen ein solcher Häftling, ein junger kräftiger Mensch, zur Arbeit zugewiesen. Derselbe sah sich nun gestern Vormittag einen Augenblick unbewacht und benutzte denselben, um zu entkommen. Man nahm zwar sofort dessen Verfolgung kräftig auf, doch ist es nicht gelungen, des Durchgängers wieder habhaft zu werden.

Kreisblatt von 1892: Ein herumziehender fremder Korbmacher, welcher z.Zt. am Ende der Frankfurter Straße hier sein „Domicil“ hat, gerieth Samstag Mittag mit einem zugereisten Fremden in Streit, in dessen Verlaufe der Korbmacher den Gegner mit einem Messer am Halse verletzte. Als man in Folge dieses Vorfalles später die Verhaftung des Korbmachers bewerkstelligen wollte, setzte er sich zur Wehre und griff die Polizei, welche dieselbe vorzunehmen hatte, an, worauf letztere blank zog. Später wurde das Individuum, nachdem es nochmals zum Messer hatte greifen wollen, unter Beihilfe hiesiger Einwohner gefesselt und, da es nicht willig mitgehen wollte, auf einem Karren zum hiesigen Gefängnisse gebracht.

Kreisblatt von 1914: Überfüllung des Haftlokals. Durch die fast tägliche Inhaftnahme von Bettlern und Landstreichern ist das hiesige Gerichtsgefängnis so überfüllt, daß niemand mehr Aufnahme finden kann. Zur Entlastung ist daher heute ein größerer Gefangenentransport an das Gerichtsgefängnis in Gernsheim abgegangen. Frauen müssen, solange die Überfüllung andauert, dem Provinzialarresthause in Darmstadt überwiesen werden. Gewiß ein trauriges Zeichen der Zeit.

Peter Erfurth
ist Datenbank-Spezialist des Groß-Gerauer Stadtmuseums;
pedepe@gmx.de

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