Kaum noch auszuhalten

Von Rainer Beutel.

Was macht die Corona-Krise mit den Gewerbetreibenden in den kleinen Orten? Können Sie wirtschaftlich überleben, welche Gegenmaßnahmen nutzen sie? Auf Fragen von WIR-Redakteur Rainer Beutel antwortet der Nauheimer Gewerbevereinsvorsitzende Ludwig Boßler. Zu einem Zeitpunkt, an dem noch kein Ende der Krise abzusehen ist, bedauert er, dass die Gegenmaßnahmen zu lange dauern.

Herr Boßler, mehr als ein Jahr kämpft die Welt gegen die Corona-Pandemie. Was hat das mit dem Einzelhandel gemacht, wie beurteilen Sie als Gewerbevereinsvorsitzender gegenwärtig die Lage in Nauheim?

Ludwig Boßler: Die Lage ist wie überall: Die Gastronomie ist geschlossen, Lebensmittelgeschäfte sind geöffnet, Handwerksbetriebe können arbeiten. Nauheim hat einen guten Mix von Geschäften und Handwerksbetrieben. Die Geschäftsleute, die von einer Schließung betroffen sind, kümmern sich um andere, betriebsrelevante Aufgaben unabhängig vom Verkauf. Mode Ostendorf im Atrium hat zum Beispiel die Zeit für einen Umbau genutzt.

Wie lange kann es denn noch so weiter gehen? Welcher Betrieb verkraftet andauernde Einnahmeverluste?

Ludwig Boßler: Unser Vorteil hier in Nauheim war schon immer, dass wir uns gegenseitig geholfen haben. Bei mir im Edeka-Markt gibt es beispielsweise auch die Mode von Ostendorf zu kaufen. Anderseits haben wir die Unterstützung des Staats. Nur ist das keine dauerhafte Hilfe. Wir kriegen ja nichts geschenkt und müssen das zurück zahlen.

Welche Konsequenzen hat das für einzelne Unternehmer?

Ludwig Boßler: Konkret heißt das für einige, dass sie vor dem Ruhestand ein Jahr länger arbeiten müssen und derzeit ihre Rücklagen aufbrauchen, die sie für später angespart haben. Wir haben zwölf Monate verloren. Die Pandemie verschiebt alles. Der finanzielle Verlust ist leider für manche kaum auszuhalten. Es ist auch ein psychologisches Problem: Die Geschäftsleute fühlen sich eingeschränkt. Sie wollen verkaufen, sie könnten verkaufen, aber sie dürfen es nicht. Meiner Ansicht nach könnten auch kleine Geschäfte öffnen und die Abstands- und Hygieneregeln über den Zutritt regeln. In einem großen Kaufhaus oder bei uns im Edeka-Markt ist das sicherlich schwieriger. In Nauheim könnten viele Geschäfte den Zugang super regeln, in Großstädten sieht das schon wieder anders aus.

Gibt es bereits Firmen, die wegen der Verluste schließen müssen?

Ludwig Boßler: Im Moment ist mir aus Nauheim nichts bekannt. In Königstädten weiß ich, dass ein Fachgeschäft im Einkaufszentrum schließt, aber ob das mit Corona zusammenhängt, kann ich nicht sagen. Auch vonseiten der Gemeinde wurde dem Gewerbeverein noch nicht gemeldet, dass eine Firma aufgeben würde.

Ein Ende der Beschränkungen ist angesichts hoher oder gar steigender Infektionszahlen Anfang bis Mitte April nicht in Sicht. Was sollte aus Sicht eines Geschäftsmannes passieren?

Ludwig Boßler: Wir hoffen, das bald alle oder möglichst viele geimpft sind und die Zahlen dann – hoffentlich – wieder sinken. Dann kommt sicherlich wieder Bewegung rein. Aber das wird dauern. Ich rechne mit August oder September. Es gibt einige, die sagen, wenn Bundestagswahl im September ist, dann ist wieder alles geöffnet. Meiner Ansicht nach dauert alles zu lang. Die Menschen werden ungeduldig, die Gegenmaßnahmen müssten einfach schneller funktionieren. Klar ist, dass wir uns alle an die Abstands- und Hygienerichtlinien zu halten haben.

Ist ein vermehrter Online-Verkauf für Geschäfte wie in Nauheim ein Rezept?

Ludwig Boßler: Das glaube ich eher weniger, jedenfalls nicht für Nauheim oder die umliegenden, kleineren Orte. Online-Verkauf – das ist eher etwas für die großen Handelsketten, und die trifft die Krise auch. Hier im Ort wollen die Kunden die Ware sehen, angreifen oder ausprobieren. Daher intensivieren wir unsere Kampagne „Kauf lokal“ mit Flyern und Bannern. Wir waren schon mit entsprechendem Werbematerial am Start und haben gedacht, es geht los, da kam wieder ein neuer Lockdown. Sobald wie möglich setzen wir auf noch mehr Präsenz vor Ort.

Aber für die jüngeren Generationen ist es doch normal geworden, online einzukaufen.

Ludwig Boßler: Ja, das stimmt, aber gerade die älteren Leute, die lokal einkaufen, wollen den Kontakt. Für die ist das alles schlimm, wenn das wegbricht. Es ist ja für Ältere geradezu ein Highlight, in ihrem Ort einkaufen zu gehen.

In Nauheim gibt es den Gerüstbaumeister Roland Kappes, der, wie er sagt, als Handwerker gut durch die Krise komme und deshalb mit Spenden all jenen helfe, die finanziell leiden. Ist der Gewerbeverein da integriert?

Ludwig Boßler: Von uns im Gewerbeverein gibt es einige, die helfen, aber die wollen nicht immer genannt werden. Leute wie Roland Kappes müsste es auf jeden Fall mehr geben. Wir Geschäftsleute haben auch die Vereine im Blick und unterstützen die Klubs, denen die Einnahmen aus Veranstaltungen fehlen. Die brauchen dringend Unterstützung.

Die Vereine generieren Erlöse bei großen Festen, die vom Gewerbeverein ausgerichtet werden. Wie sieht es denn damit aus?

Ludwig Boßler: Frühlingsfest? Weinfest? Weihnachtsmarkt? Ich mache derzeit hinter allem ein Fragezeichen. Aber so viel steht fest: Wenn wir dürfen, sind wir sofort am Start und geben Gas. Und lassen Sie mich das noch hinzufügen: Bei solchen Festivitäten geht es nicht nur ums Gesellige, sondern wie beim Einkaufen vor Ort um den gegenseitigen Austausch. Da werden Probleme angesprochen und gemeinsam nach Lösungen gesucht. Wie reden dann über alles und finden auch Wege. Das gelingt in Nauheim wie in keinem anderen Ort. Das fehlt uns leider allen.

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