Scherereien

Von Edelgard Rietz.

In einem Buch von G. Wagner lese ich, dass im Mittelalter die Technik des Haareschneidens noch nicht so perfektioniert war. Kann ich mir gut vorstellen. Mit Kamm, Schere und Messer gab es nur eine Technik, den Haaren zu Leibe zu rücken. Also wurden alle über einen Kamm geschoren.

Aber auch in späteren Zeiten gab es Mängel. Als ich kurz vor Ende meiner Schulzeit endlich mit Vaters Erlaubnis meine Zöpfe abschneiden lassen durfte, war meine erste Bekanntschaft ziemlich blutig. Die Frisörin wollte mit Schmackes meine Zöpfe abschneiden und traf mitten rein ins Ohrläppchen. Das tat weh und blutete heftig. Sie rannte rüber in den Herrensalon, um den Blutstillstift zu holen. Da floss wohl häufiger das Blut, vorwiegend bei der Rasur. Alles über einen Kamm scheren war auch eine Erfahrung meines Mannes auf einer Dienstreise. Neben seinem Hotel gab es einen Frisör, und Schneiden war mal wieder fällig. Was mein Mann nicht wusste, war, dass es in der Nähe eine Kaserne gab und die Soldaten sich alle bei diesem Frisör die Haaren schneiden ließen. So kam, was kommen musste: Mein Mann bekam einen Militärschnitt verpasst. Die Familie konnte es nicht fassen, wir kamen aus dem Lachen nicht mehr raus, bis endlich die Haare nachgewachsen waren. Mit der Hygiene nahm man es im Mittelalter auch nicht so genau, ein Werkzeug für alle, hieß es. Da hatte man Glück, wenn die Vorgängerin oder der Vorgänger nicht an einem Parasitenbefall litten. Schon bei der Vorstellung sträuben sich mir die Haare. Auch im übertragenen Sinn sollten wir uns davor hüten, alle oder alles über einen Kamm zu scheren. So einfach ist es nicht, wir sind alle viel zu unterschiedlich in unseren Interessen und der Art zu leben. Für uns alle muss nur die Voraussetzung dafür stimmen. Manchmal handeln wir uns Scherereien ein, immer dann, wenn wir etwas verkünden, was der Allgemeinheit oder einzelnen Personen nicht gefällt. Ein Politiker weiß davon schon, bevor er ins Amt kommt. Privat kann das auch mal überraschend sein. So geht es mir manchmal mit meiner Kolumne. Meine Meinung wird öffentlich, und die gefällt dann nicht allen. Das ist mir völlig klar. Es reizt mich dennoch, mich zu wehren. Das ist doch Lebenselixier, da schlaf ich nicht ein, da komm ich mit meinem Schwert vorbei. Meinungen und Erkenntnisse müssen manchmal erstritten und ausgefochten werden, Niederlagen inbegriffen.

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