Behindert ist jeder

Von Ulf Krone.

Die Behindertensportgemeinschaft (BSG) ist mehr als 60 Jahre alt und konnte ihren runden Geburtstag wegen Corona nicht feiern. Die Einrichtung, die sich der Inklusion verschrieben hat, ist im Kreis Groß-Gerau eine wichtige Säule der sozialen Arbeit. Grund genug, bei der Vorstandsvorsitzenden Conny Cezanne (53) nachzufragen, was die BSG ausmacht und wie sie organisiert ist.

Frau Cezanne, bitte erklären Sie unseren Leserinnen und Lesern doch kurz, wer die BSG ist und welches Ziel sich der Verein gesetzt hat.

Conny Cezanne: Die BSG ist ein Sportverein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, Sport für Menschen mit und ohne Behinderung anzubieten. Wir versuchen, in den Sportstunden Lebensfreude zu vermitteln und die körperlichen Beschwerden zu lindern. Unser Motto für jede Sportstunde ist „Sport macht Spaß“. Aber viel wichtiger ist noch das Motto des Vereins: „Behindert ist jeder – nur nicht jeder ist amtlich anerkannt“. Darüber sollten wir uns alle einmal Gedanken machen, denn schon das Tragen einer Brille, stellt doch schon eine Behinderung da – denn ohne Sie können wir ja auch nicht mehr richtig sehen. 

Stimmt. Aber es gibt gravierende Handicaps. Inwiefern ist Behindertensport wichtig und nützlich für Inklusion?

Conny Cezanne: Inklusion ist und war bei uns schon immer eine Selbstverständlichkeit. Sie hat jetzt nur endlich einen Namen, den bei uns im Verein eigentlich keiner gebraucht hätte. Bei uns treiben schon immer alle gemeinsam Sport, wir machen keine Unterschiede und fördern alle Teilnehmer nach Ihren Fähigkeiten. Unser bestes Beispiel für Inklusion ist unserer integrative Tanzgruppe „BSG In-Takt“, die bereits 1995 gegründet wurde. In dieser Tanzgruppe tanzen Behinderte gemeinsam mit nicht Behinderten, Ausländer gemeinsam mit Deutschen, Jugendliche und junge Erwachsene gemeinsam mit Senioren. Viele Freundschaften sind hier außerhalb des Sports entstanden. Das ist gelebte Inklusion.

Wie unterscheidet sich ein reiner Versehrtensport vom modernem Behindertensport?

Conny Cezanne: Reinen Versehrtensport gibt es heute kaum noch, da die Kriegsbeschädigten fast „ausgestorben“ sind. Der moderne Behindertensport bietet heute die drei Säulen an: Breitensport, Leistungssport, Rehasport.

Ist es sinnvoll, noch weiter zu differenzieren oder decken Sie mit dem gegenwärtigen Angebot alles Notwendige ab?

Conny Cezanne: Auf keinen Fall eine weitere Differenzierung, eher die Gemeinsamkeit stärken. Netzwerke aufbauen, z. B. zu Vereinen mit nicht Behinderten. Leistungssportler mit Behinderung können nicht immer von uns betreut werden, die sollte man auch „abgeben“ können. So wie es in allen Sportvereinen üblich ist.

1961 wurde die Versehrtensportgemeinschaft Groß-Gerau gegründet, aus der sich die BSG entwickelt hat. Wie kam es damals zu dieser Initiative?

Conny Cezanne: Die Kriegsbeschädigten haben sich zusammengeschlossen, um Sport zu treiben. So wie vor dem Krieg. Der Staat hat diese Zusammenschlüsse großzügig gefördert.

Welchen Stellenwert hatte der Verein etwa 30 Jahre später und wie würden Sie die BSG heute im öffentlichen Leben des Kreises Groß-Gerau einordnen?

Conny Cezanne: 30 Jahre später hatte die BSG ein ganz anderes Gesicht. Alle Menschen, die Sport treiben wollten, hieß die BSG willkommen. Damals gab es noch sehr viele Prellball-, Faustball- oder Kegelturniere und natürlich Sportfeste. Durch die Auftritte der Tanzgruppe BSG In-Takt auf Groß-Gerauer Veranstaltungen wurde die BSG in der Bevölkerung bekannter. Heute sind wir im Kreis Groß-Gerau einer der wenigen Sportvereine, der sein Hauptaugenmerk auf den Sport für Menschen mit Behinderung richtet und außerdem noch Rehasport auf ärztliche Verordnung anbietet.

Wie wird die BSG von der öffentlichen Hand bzw. anderen Institutionen unterstützt? Und was wünschen Sie sich in dieser Hinsicht für die nahe Zukunft?

Conny Cezanne: Die Stadt Groß-Gerau unterstützt uns mit einer gewissen Summe. Aber wir sind natürlich auch auf andere Spenden angewiesen, um unseren Fahrdienst für unsere geistig behinderten Mitglieder weiterhin gewährleisten zu können. Allerdings benötigen wir auch anderweitig Unterstützung. Wir suchen schon länger einen kostenlosen überdachten Stellplatz für unsere beiden Vereinsbusse. Auch benötigen wir Personen, die ehrenamtlich etwas im Verein machen möchten, ob in den Abteilungen, im Vorstand oder mal als Fahrer oder Helfer in einer Sportstunde. Jede helfende Hand ist gerne gesehen.

Benötigen Sie Übungsleiter? Wenn ja, welche Voraussetzungen müssen diese mitbringen und wohin wenden sich Interessenten?

Conny Cezanne: Ja wir benötigen Übungsleiter. Sportlich sollten sie fit sein, Spaß sollte vermittelt werden, dann kommt die Ausbildung.

Zu guter Letzt: Wie wurden denn das 60-jährigen Bestehen der BSG gewürdigt?

Conny Cezanne: Da unser 60-jähriges Jubiläum genau in die Corona-Zeit gefallen ist, wurde natürlich nicht gefeiert. Im vergangenen Sommer haben wir es dann mit einem Grillfest für unsere Mitglieder nachgeholt. Da hier noch immer viele Angst vor Corona hatten, fiel auch dieses leider etwas kleiner aus als ursprünglich geplant. Unser 65-jähriges Jubiläum werden wir dann richtig feiern – ohne Corona und mit ganz vielen lieben Gästen.

BSG Groß-Gerau

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