Keine Fachkraft für 40 Euro

Von Rainer Beutel.

1975 geboren, 2001 den Meister gemacht. Im selben Jahr als Elektro- und Gebäudetechniker selbständig gemacht, ab 2018 Obermeister der Innung und nun, seit 2025, ist Kai Engroff Kreishandwerksmeister. Der 50-Jährige schildert im Interview mit WIR-Redakteur Rainer Beutel unter anderem, welche Ziele er verfolgt, was er sich von der Politik wünscht und wie er die Auftragslage beurteilt.

Herr Engroff, welche Schwerpunkte möchten Sie in Ihrer Amtszeit setzen, um das Handwerk in der Region zu stärken?

Kai Engroff: Als neuer Kreishandwerksmeister im Kreis Groß-Gerau setze ich mir das Ziel, die Bedeutung und Sichtbarkeit des Handwerks in der Region deutlich zu stärken. Das Handwerk ist nicht nur systemrelevant und innovativ, sondern auch ein tragender Pfeiler unserer regionalen Wirtschaft. Um die Rahmenbedingungen weiter zu verbessern, möchte ich den Dialog zwischen Handwerksbetrieben, Schulen und der Politik intensivieren – mit dem Ziel, das Handwerk als zukunftsfähigen und attraktiven Berufsweg zu positionieren.

Was ist mit den Innungen?

Kai Engroff: Ja, richtig, ein weiterer Schwerpunkt ist die stärkere Präsenz und Wahrnehmung unserer Innungen. Viele Betriebe kennen die Vorteile einer Innungsmitgliedschaft nicht ausreichend – hier will ich Aufklärungsarbeit leisten und die Innungen als aktive Partner des regionalen Handwerks sichtbarer machen.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Auftragslage und wirtschaftliche Situation der Handwerksbetriebe im Kreis Groß-Gerau?

Kai Engroff: Die Lage ist durchwachsen. Einige Gewerke – wie das Bau- und Ausbauhandwerk – sind trotz Konjunktureintrübung noch gut ausgelastet, andere leiden unter Investitionszurückhaltung, vor allem wegen hoher Material- und Energiekosten. Die Lieferkettenprobleme haben sich etwas entspannt, aber die Unsicherheit bleibt. Wichtig ist, dass die Politik Stabilität und Planungssicherheit schafft.

Welche Reformen halten Sie für notwendig, um die Attraktivität des Handwerks langfristig zu sichern?

Kai Engroff: Um die Attraktivität des Handwerks langfristig zu sichern, müssen wir an mehreren Stellschrauben drehen. Ein zentraler Punkt ist die Bezahlung: Wer im Handwerk arbeitet, leistet anspruchsvolle, wertvolle Arbeit – das muss sich auch im Einkommen widerspiegeln. Doch höhere Löhne sind nur möglich, wenn auch die Stundensätze entsprechend angepasst werden. Es kann nicht sein, dass Kundinnen und Kunden erwarten, eine qualifizierte Fachkraft für 40 Euro die Stunde zu bekommen. Das ist bei der aktuellen Abgabenlast und dem enormen bürokratischen Aufwand schlicht nicht darstellbar, wenn man den Beschäftigten gleichzeitig einen fairen Lohn zahlen will.

Das heißt was in Richtung Politik?

Kai Engroff: Die Politik ist gefordert, die Lohnnebenkosten zu senken und die Bürokratie deutlich abzubauen. Gleichzeitig braucht es eine gesellschaftliche Wertediskussion: Gute handwerkliche Arbeit hat ihren Preis, und den müssen wir als Gesellschaft bereit sein zu zahlen. Nur so bleibt das Handwerk zukunftsfähig, attraktiv für junge Menschen und leistungsfähig für unsere Region.

Welche konkreten Verbesserungen wünschen Sie sich auf Landes- und Bundesebene?

Kai Engroff: Wir brauchen deutlich weniger Bürokratie – von der Vergabe öffentlicher Aufträge bis zu Steuer- und Dokumentationspflichten. Auch die Förderprogramme müssen einfacher zugänglich und verständlicher sein. Darüber hinaus wünsche ich mir mehr Investitionen in die berufliche Bildung und eine Gleichstellung der dualen Ausbildung mit akademischen Wegen – auch finanziell.

Was wünschen Sie sich von den Handwerksbetrieben im Kreis Groß-Gerau, um die Zukunft gemeinsam aktiv zu gestalten?

Kai Engroff: Ich wünsche mir, dass sich die Handwerksbetriebe im Kreis Groß-Gerau wieder stärker aktiv in das regionale Handwerksgeschehen einbringen, sei es im Ehrenamt, bei Innungsveranstaltungen, in der Ausbildung junger Menschen oder im Austausch untereinander. Die Herausforderungen unserer Zeit – vom Fachkräftemangel über die Digitalisierung bis hin zum Wettbewerb mit großen Industriefirmen – können wir nur gemeinsam bewältigen. Das Handwerk lebt vom Zusammenhalt und davon, dass wir als starke Gemeinschaft auftreten. Nur wenn wir unsere Interessen geschlossen vertreten, sichtbar sind und Verantwortung übernehmen, können wir im Wettbewerb bestehen und unsere Zukunft selbst gestalten. Dafür brauchen wir das Engagement jedes einzelnen Betriebs – nicht nur in der Werkstatt, sondern auch darüber hinaus im Netzwerk des regionalen Handwerks.

Wie wollen Sie im Kreis Groß-Gerau junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk begeistern?

Kai Engroff: Wir brauchen eine frühe und praxisnahe Berufsorientierung – am besten schon ab den Kitas. Ich setze mich für mehr Kooperationen unter den unterschiedlichen Akteuren am Arbeitsmarkt ein, da nur gemeinschaftlich die duale Ausbildung stark präsentiert werden kann. Mitmachaktionen und die Vorstellung moderner Handwerksberufe sind entscheidend. Zudem müssen wir Eltern und Lehrer besser einbinden, um veraltete Bilder vom Handwerk abzubauen.

Welche Initiativen gibt es im Kreis Groß-Gerau, um umweltfreundliche Technologien zu fördern?

Kai Engroff: Im Kreis Groß-Gerau gibt es eine Vielzahl nachhaltiger Initiativen und Projekte – von Klimaschutz über Umwelttechnik bis hin zu Bildung und fairer Beschaffung. Besonders wichtig ist dabei, das regionale Handwerk gemeinsam mit innovativen Industriepartnern einzubeziehen.

Zum Beispiel?

Kai Engroff: Ein gutes Beispiel sind Unternehmen aus der Region, die gemeinsam mit Handwerksbetrieben nachhaltige Materialien wie recycelte Kunststoffe für Leuchten, Fassadenelemente oder Innenausbauten entwickeln und einsetzen. Diese Kooperationen verbinden Umweltschutz mit technischer Innovation und wirtschaftlicher Wertschöpfung vor Ort – ein Gewinn für alle Beteiligten. Solche Partnerschaften zeigen, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht nur eine ökologische Notwendigkeit ist, sondern auch ein echter Standortvorteil für die Region sein kann. Der Kreis kann hier als Impulsgeber, Vermittler und Förderer auftreten – etwa durch gezielte Vernetzung, Innovationsförderung und nachhaltige öffentliche Auftragsvergabe.

Welche Erfahrungen machen die Handwerksbetriebe im Kreis Groß-Gerau mit der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund?

Kai Engroff: Viele Handwerksbetriebe im Kreis Groß-Gerau machen gute Erfahrungen mit Beschäftigten aus allen Herkunftsgruppen – unabhängig davon, ob jemand einen Migrationshintergrund hat oder nicht. Letztlich kommt es auf die individuelle Motivation und Leistungsbereitschaft an, und die gibt es in allen Bevölkerungsgruppen. Entscheidend für eine erfolgreiche Integration in den Betrieb sind in erster Linie ausreichende Deutschkenntnisse. Sie sind der Schlüssel für die Kommunikation im Arbeitsalltag und im Kundenkontakt. Herausforderungen bestehen weiterhin bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse oder bürokratischen Abläufen. Umso wichtiger ist eine gezielte Sprachförderung.

Abschließend noch ein anderes Thema: Wie unterstützen Sie die Betriebe im Kreis Groß-Gerau bei der digitalen Transformation und beim Schutz vor Cyberangriffen?

Kai Engroff: Die Kreishandwerkerschaft arbeitet eng mit der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main zusammen, um Schulungen und Beratungen zur Digitalisierung anzubieten – von digitaler Zeiterfassung bis zur IT-Sicherheit. Wir planen außerdem regionale Workshops, um Betriebe gezielt zu unterstützen, etwa beim Umstieg auf digitale Geschäftsprozesse oder beim Schutz vor Phishing-Angriffen.

Kreishandwerkerschaft
E-Mail handwerk@kh-gg.de.

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