Widerstand in Ost und West

Von Siggi Liersch.

Vor 35 Jahren ist ein Staat untergegangen, der von sich behauptete, der bessere deutsche Staat zu sein. Das ist nun schon fast so lange her, wie die DDR insgesamt existiert hat. Sie hat bemerkenswerte Schriftsteller hervorgebracht, aber kaum einer von ihnen eckte nicht massiv an.

Thomas Brasch gehörte auch zu denen, die ihre Stimme erhoben und sich nicht mundtot machen ließen. Er wollte einen besseren, den Menschen würdigenden sozialistischen Staat und bekam doch nur die Stasi-Überwachung, das Spitzeltum und eine kleinbürgerliche Gängelei. Die vorliegende Sammlung seiner Texte gliedert sich in veröffentlichte Prosa und Prosa aus dem Nachlass. Man findet auch Faksimiles einiger Manuskriptseiten, eine editorische Nachbemerkung sowie ausführliche Anmerkungen mit bibliografischen Angaben, Notizen zu Fassungen, die Entstehungsgeschichte der Texte sowie eine Biografie. Der Band vereinigt sowohl Gedrucktes wie auch Ungedrucktes, fiktionale und essayistische Prosa (Erzählungen, Reden, Kritiken, Kommentare und Stellungnahmen) von 1956 bis 2000.

Nicht enthalten ist das Romankonvolut „Mädchenmörder Brunke“, von dem der Suhrkamp Verlag 1999 lediglich einen schmalen Band veröffentlichte. Vielleicht öffnet Suhrkamp auch da noch einmal seine Schatzkammer, denn immerhin liegen 15.000 Manuskript-Seiten vor. Braschs wichtigstes Buch ist „Vor den Vätern sterben die Söhne“ (bereits der Titel ist Programm), der im Hinstorff Verlag nur mit drastischen Eingriffen hätte erscheinen können und das man deshalb als Auslöser für den Staatenwechsel 1976 von Thomas Brasch bezeichnen kann. Er wurde 1977 im Rotbuch Verlag veröffentlicht. Danach wurde Brasch Suhrkamp-Autor. Der vorliegende Band mit gesammelter Prosa, der anlässlich von Thomas Braschs 80. Geburtstag erschienen ist, zeigt alle Facetten eines ständig Fragenden. Brasch gab sich nie mit einfachen stereotypen Antworten zufrieden. Auch als er in die BRD übergesiedelt war, eckte er an und blieb wie ein Fremdkörper unbequem. Er liebte den Sozialismus auf eine romantische Art und Weise, die Realität sah wie so oft völlig anders aus, und er fühlte sich trotzdem marxistischen Überzeugungen verbunden, aber für seine anarchischen Fragen fanden beide Gesellschaftsformen nur kleinbürgerliche einengende Antworten. So blieb er sowohl in der DDR als auch in der BRD ein Außenseiter.  Brasch war kein Schablonen-Dichter, er bediente weder mit seiner Prosa noch mit seinen Gedichten und schon gar nicht mit seinen Theaterstücken und Filmen den unersättlichen Markt der Unterhaltungsindustrie. Anhand dieser Textsammlung können wir nun Braschs Entwicklung als Sohn eines Vorzeigekommunisten und SED-Funktionärs zu einem systemkritischen Literaten nachvollziehen.

In Texten, die etwa das Verhältnis des Individuums zum Kollektiv beleuchten, wird die DDR mit so viel Spott bedacht, dass diese dort nicht erscheinen konnten und hier nun in Erstveröffentlichung vorliegen. Hier zeigen sich Parallelen zu Biermann und Jürgen Fuchs. Der Stasi-Staat reagierte nur noch mit Rundumschlägen. Für Brasch folgte eine Haftstrafe. In erster Linie ist der Staat an sich Braschs Feind. Nach seiner Ausreise in die BRD 1976 war ihm zwar kurzfristig Erfolg beschieden, aber er hatte keine Lust darauf, sich als Vorzeige-Dissident vereinnahmen zu lassen.

Thomas Brasch, Du mußt gegen den Wind laufen,
Gesammelte Prosa, herausgegeben von Martina Hanf,
Suhrkamp Verlag, Berlin 2025, 885 Seiten

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