Kraftort am Wegkreuz

Von Rainer Beutel.
Ein besonderes Wegkreuz in der Gemarkung von Trebur-Astheim ist nicht nur Ausdruck eines tief verwurzelten Glaubens. Es steht gleichzeitig für einen markanten Ort in der regionalen Geschichte. Dass es immer wieder mal beschädigt oder Opfer von Dieben wurde, unterstreicht seine Relevanz. Das verdeutlich im Interview mit Rainer Beutel Ortshistoriker Constantin Mussel, der Spenden sammelte und dafür sorgte, dass das Symbol wieder in vollem Glanz sichtbar wurde.
Herr Mussel, welche Bedeutung messen Katholiken in der Großgemeinde Trebur dem Astheimer Flurkreuz in der Gegenwart bei?
Constantin Mussel: Katholiken in der Großgemeinde, aber auch Menschen anderer Konfession, messen dem Flurkreuz eine große Bedeutung zu. Dies wird nicht durch die Spendenbereitschaft deutlich, sondern zeigt sich auch durch die gut besuchten Gottesdienste und Flurprozessionen zur Einweihung und zum Jahrestag der Einweihung in den vergangenen beiden Jahren. Im Sommer kamen annähernd 100 Gläubige zum Freiluftgottesdienst. Das Kreuz auf dem Damm mit dem Bergahorn dahinter ist ein „Kraftort“ für viele. Fast immer, wenn ich dorthin komme, um etwa die Blumen zu gießen oder nach dem Rechten zu sehen, sitzt dort jemand, ruht sich aus, denkt nach, verweilt. Man kommt dann ins Gespräch. Oftmals sind das Radfahrer auf der Durchreise oder eben Astheimer, die einen Spaziergang gemacht haben. Das Kreuz zieht viele Menschen an, gerade auch jenseits der fleißigen Kirchgänger. Viele Menschen bestätigen im Gespräch, dass der Ort etwas Besonders ausstrahlt.
Das gilt vermutlich besonders für Ältere?
Constantin Mussel: Ja, nicht zuletzt verbinden die älteren Einwohner Kindheitserinnerungen mit dem Kreuzdamm, auf dem sich in den 1950er Jahren heimlich Liebespärchen trafen. Viele Generationen kennen den Ort aber auch vom Schlittenfahren im Winter. Das Kreuz ist auch Erinnerung an das katholische Astheim und die enge historische Beziehung zu Mainz, gehörte der Ort doch jahrhundertelang zum Mainzer Erzstift und unterstand dem Domkapitel – das prägt bis heute. Dass die Alters- und Ehrenabteilung der Freiwilligen Feuerwehr Astheim in den 1990er Jahren das Corpus nach einem Vandalismus gestiftet hatten, ist Ausdruck genau dieser Verbundenheit.

Vermutet wird, dass sich an dieser Stelle oder in der Nähe eine Siedlung befunden haben könnte. Welche gesicherten Indizien gibt es dafür, welche Überlegungen stellen Sie dazu an?
Constantin Mussel: Erstmals kann das Kreuz in Flurnamen im 14. Jahrhundert nachgewiesen werden. Noch heute gibt es in der Nähe den Flurnamen „Im heiligen Stock“. Zudem steht es in Verbindung mit dem „Langen Steinweg“, einer ehemaligen Römerstraße nach Mainz bzw. zum römischen Schiffsländeburgus. Archäologische Funde von Eugen Schenkel sowie aktuelle Funde lassen auf römische und frühmittelalterliche Siedlungsspuren schließen. Interessant ist auch der markante Verlauf des Deiches, der bereits im Mittelalter angelegt wurde und am Kreuz ein ausgreifendes Areal vor Überschwemmung schützen sollte.
Wozu mag es gedient haben?
Constantin Mussel: Ein Vergleich mit Flurkreuzen anderer Orte im Bistum Mainz lassen verschiedene Schlüsse zu. Das Kreuz könnte als Grenzmarkierung aufgestellt worden sein. Es könnte aber auch an der Stelle einer kleinen Kapelle einer wüst gefallenen Siedlung oder einem Hof stehen. Die Umgebung war im Mittelalter zudem im Besitz Mainzer Klöster („Mönchsgewann“). Letztlich ist der genaue Entstehungsgrund bisher noch nicht geklärt. Es bedarf daher eines weiteren Quellenstudiums und archäologischer Arbeit.
Was hat es mit der Inschrift
auf sich?
Constantin Mussel: „Siehe, wie ich dich liebe!“ lautet die Inschrift auf dem Sockel des Kreuzes. Wann genau und durch wen die Inschrift ursprünglich an dem Sockel angebracht wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Theologisch hebt sie das Liebesopfer Jesu bzw. seine persönliche Hingabe hervor, der durch seinen Tod für alle Menschen die Liebes Gottes offenbart hat. Der vorübergehende Beter soll dieser Liebestat Jesu durch die Inschrift gedenken. Da es Beispiele anderer Flurkreuze mit ähnlichen Versen gibt, kann davon ausgegangen werden, dass der hiesige Spruch aus der Frömmigkeit des 19. Jahrhunderts stammen könnte. Jedenfalls berührt er die viele Menschen, die an diesem Ort vorrüberkommen und ein kurzes Gebet vor dem Kreuz sprechen.
Über Jahrzehnte hinweg ist mit dem Kreuz einiges geschehen. Nennen Sie bitte ein paar markante Eckpunkte.
Constantin Mussel: Das stimmt. Das Kreuz hat ein „bewegtes Leben“. In den 1940er Jahren soll es von Nationalsozialisten umgefahren worden sein. 1947 wurde es dann wieder errichtet. In den 1990er Jahren wurde dann das Corpus geschändet, so dass die Freiwillige Feuerwehr Astheim das Corpus spendete, das bis zum Diebstahl 2018 dort hing. In den 1990er Jahren wurde das kleine Blumenbeet vor dem Kreuz mehrmals Opfer von Vandalismus. Als es noch die regelmäßigen Flurprozessionen vor Pfingsten in Astheim gab, war das Kreuz in den Prozessionsweg eingebunden.
Sie haben mit anderen dafür gesorgt, dass ein jahrelanges tristes Dasein endete. Wie kam es dazu und mit welchem Erfolg?
Constantin Mussel: Als ich im Sommer 2018 auf einer Fahrradtour an dem Kreuz vorbeikam, entdeckte ich den Diebstahl des Jesus-Corpus. Da sich schnell herausstellte, man wird ihn nicht wiederbekommen, war mir klar, dass ich etwas tun muss. Dieses triste Dasein durfte nicht bleiben. Das ausdrucksstarke Corpus war ein wichtiger Bestandteil dieses „Kraftortes“. Daher begann ich mit der Idee, Spenden zu sammeln, um genau dasselbe Corpus wieder gießen zu lassen – es sollte kein anderes sein.
Wie ging es weiter?
Constantin Mussel: Die Recherchen dazu dauerten über drei Jahre, bis ich die Kunstgießerei ausfindig gemacht hatte, die in den 1990er Jahren das Corpus hergestellt hatte, da wir keinerlei Unterlagen hatten. Um die ganze Aktion transparent zu machen und eine Organisation im Rücken zu haben, holte ich den Förderverein St. Petrus in Ketten ins Boot, etwa um ein Spendenkonto zu haben. Außerdem schreibt sich der Verein die Förderung des katholischen Lebens in Astheim auf die Fahnen. Da fand ich, das passte ganz gut. Der Förderverein spendete und beschaffte dann auch die schwarze Inschriftentafel.
Sind sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Constantin Mussel: Ja, der Erfolg bestand eigentlich darin, dass wir mit vereinten Kräften und der großen Spendenbereitschaft das Kreuz wieder genauso herrichten konnten, wie es vor dem Diebstahl war – dass es saniert werden konnte und vor allem aber, dass es noch mehr in das Bewusstsein der Kirchengemeinde und der Bevölkerung gerückt ist. Die Aktion hat viele Menschen zusammengebracht. In Zeiten wie diesen ist es nämlich umso wichtiger, dass sich die Menschen wieder an ihre Wurzeln und das Wirken ihrer Vorfahren erinnern, auch in Sachen Glauben. Das gibt Halt, Orientierung und Zuversicht für die Zukunft. Dafür steht das Kreuz an diesem historischen Ort.
Gibt es, mal abgesehen vom genauen Standort der Kaiserpfalz, ähnliche Aufgaben in der Großgemeinde Trebur, die anhand von Relikten früherer Tage geschichtlich aufzuarbeiten sind?
Constantin Mussel: In Astheim gibt es noch zwei weitere Flurkreuze und drei Heiligenhäuschen, die aber alle noch in einem guten Zustand sind, so dass mir nicht direkt ein weiteres Projekt einfallen würde. Wenn es um historische Orte geht, die mit einer Tafel oder einem Gedenkstein mehr ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden könnten, dann könnte man die sogenannte ehemalige „Böhmische Burg“ Richtung Ginsheim ansprechen.






